Der tägliche Spaziergang wirkt stimmungsaufhellend. Foto: dpa
Von Constanze Werry
Die Krisenlage und noch dazu Weihnachten vor der Tür. Es ist eine Zeit, in der unverarbeitete Erlebnisse und Wunden zutage treten und wir auf uns selbst zurückgeworfen sind. Doch das Alleinsein bietet auch Chancen.
Warum belastet das Alleinsein Menschen gerade jetzt verstärkt? Es ist nicht nur eine Wiederholung dessen, was wir vom Frühjahr her kannten – es ist sogar eine Verstärkung. "Nach einem Sommer, in dem man die Hoffnung hatte, dass sich die Lage dauerhaft entspannt", erklärt Dr. Mirriam Prieß, Ärztin, Resilienz-Expertin und Autorin. Und dann spiele natürlich auch die dunkle Jahreszeit eine Rolle. "Sie verstärkt die innere unverarbeitete Dunkelheit."
Dazu komme noch, dass man Angst vor Verlust habe, Existenzangst und auch die Angst selbst zu erkranken. "Auch das Gesellschaftliche wirkt auf einen ein. Im Frühjahr gab es noch überwiegend Solidaritätsbekundungen. Aggressionen und Demonstrationen wie jetzt hat man damals kaum gesehen", so die Psychologin.
All das bedinge, dass man sich in sich selbst zurückziehe. "Das ist ein typischer Ausdruck für Überlastung – man befindet sich in einer Notsituation", so Prieß. "Es fehlen Kraft und Vertrauen. Das führt zu dem Reflex: ,Jetzt nur noch ich’."
Sollte man sich dem Alleinsein stellen oder sich ablenken? Krisenbewältigung bedeutet: keine Ablenkung. "Man sollte sein Alleinsein aktiv gestalten – und sich seinen Ängsten stellen", rät die Expertin. Dazu gehöre, alle Gefühle – auch negative – zuzulassen. Denn wer Angst verdrängt, verstärkt sie. Durch die Konfrontation könne man stattdessen durchaus eine konstruktive Antwort auf die Angst finden.
Wie schaffe ich es, das Alleinsein zu meistern? Viele fühlen erst mal gar nichts mehr – und denken, das wäre ein guter Zustand. Doch das ist ein Trugschluss. "Mit sich selbst in den Dialog treten, das heißt, sich für sich interessieren und aktiv fragen: ,Wie geht es mir? Was ist die Ursache für negative Gefühle? Was würde mir gut tun?", empfiehlt Prieß. Das könne Rausgehen sein, die Verstärkung einer Freundschaft, Dinge umzusetzen, die man schon immer mal machen wollte.
"Begegnungen mit mir selbst und anderen sind elementar für die psychische Widerstandskraft ", sagt Prieß und rät dazu, offen mit Sorgen und Nöten umzugehen. Eine Beziehung zu pflegen, heiße Mitgefühl zu zeigen – und aktives Interesse. "Wie man Freunden begegnet, so sollte man sich auch selbst begegnen. Nicht mit Vorwürfen, sondern mit Offenheit, auf Augenhöhe und Mitgefühl."
Bietet die Krise vielleicht sogar in gewisser Weise Chancen? "Vorher waren wir eher Freundschaften im Sinne von Konsum gewöhnt – die aktuelle Lage bietet die Chance, Beziehungen zu vertiefen", erläutert die Expertin. Es gehe darum anzunehmen, was ist – allein und gemeinsam. "Eine Krise legt immer den Finger in die Wunde – bei einem selbst, in Beziehungen wie auch im System. Eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe mit den Schwächen und Ängsten führt zu einer Stärkung. Verdrängen wir das Negative, können wir es nicht bewältigen."
Wie merke ich, dass ein Problem vielleicht sogar behandlungsbedürftig ist? "Wenn man merkt, dass man steckenbleibt", so Prieß. Schlaflosigkeit, Grübeln, Albträume – eine Stimmung, die sich stetig Richtung Depression neigt – in solchen Fällen ist Handlungsbedarf angezeigt. "Hilfreich sein kann ein offener Dialog mit Freunden. Bringt das keine Entlastung, kann man sich an seinen Hausarzt wenden, Therapeuten, die Krankenkasse", erläutert Prieß.
Alleinsein ist das eine – Einsamkeit das andere. Wie kann man Angehörigen in Altenpflegeheimen mit Besuchsverbot die Einsamkeit erträglicher machen? "Begegnung heilt und hilft ", sagt die Ärztin. "Das können regelmäßige Telefonate sein, bei denen man den Angehörigen sein Interesse, seine Wertschätzung und Liebe spüren lässt." Auch Briefe oder Karten und kleine Geschenke können dabei helfen, Kontakt zu halten. Geschenke und vielleicht auch Erinnerungsstücke, Fotos oder kleine Leckereien können nach Rücksprache mit der entsprechenden Pflegeeinrichtung gegebenenfalls vor Ort abgegeben werden.