Geld für jeden

Kommt jetzt das bedingungslose Grundeinkommen?

In der Corona-Krise ist die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen neu entbrannt - Das Modell bleibt umstritten

03.05.2020 UPDATE: 04.05.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 57 Sekunden

Von Michael Abschlag

Heidelberg. Es klingt wie eine paradiesische Vision: Eine Gesellschaft, in der jeder eine bestimmte Summe Geld bekommt, unabhängig davon, ob und was er arbeitet. Das "bedingungslose Grundeinkommen" ist die wohl kühnste Sozialutopie unserer Tage – und die umstrittenste. Was den einen als leuchtender Weg hin zu einer freien und gerechten Gesellschaft erscheint, ist für die anderen ökonomischer Wahnsinn. Nun hat die Corona-Krise der Debatte neuen Schwung verliehen.

Ein Grundeinkommen würde mehr Freiheit bringen – "und zwar für alle, weil jeder mit der Freiheit des anderen ganz anders rechnen müsste", sagt der Ökonom Philip Kovce (hier unser Interview mit ihm), der sich seit langem für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt. "Die freie Entfaltung der tatkräftigen Persönlichkeit wäre ausgehend von einem gesicherten Existenzminimum ganz anders möglich", so Kovce. Eine Summe von 1000 Euro monatlich hält er für gerechtfertigt; sie soll ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. "Nicht mehr, nicht weniger sollte ein bedingungsloses Grundeinkommen garantieren", so Kovce. "In einer Überflussgesellschaft wie der unsrigen ist das wahrlich nicht zu viel verlangt".

Prominente Befürworter für das bedingungslose Grundeinkommen: Katja Kipping. F.: dpa/zg

Er ist nicht der Einzige, der so denkt. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens geht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Heute hat es zahlreiche Unterstützer aus unterschiedlichen politischen Lagern: Die Linken-Politikerin Katja Kipping gehört etwa dazu – aber auch Unternehmer wie Dirk Rossmann oder dm-Chef Götz Werner. Vielen geht es um mehr soziale Gerechtigkeit, anderen um Bürokratieabbau, manchen auch um einen völlig neuen Gesellschaftsentwurf.

Dominik Enste vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ist da deutlich skeptischer (hier unser Interview mit ihm). "Das große Problem beim bedingungslosen Grundeinkommen ist, dass es nur wenige Menschen gibt, die anderen bedingungsloslos etwas geben möchten", sagt der Ökonom. "Sie wollen entweder eine Gegenleistung oder sie wollen wissen, dass der andere bedürftig ist und tatsächlich unsere Hilfe braucht."

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Zudem hält er ein solches Grundeinkommen für nicht finanzierbar. "Wenn alle 81 Millionen Bürger in Deutschland 12.000 Euro im Jahr bekommen, sind Sie schnell bei rund einer Billion Euro im Jahr", so Enste. "Das ist der komplette Sozialhaushalt der Bundesrepublik, und das würde bedeuteten, dass man Dinge wie etwa die Renten abschaffen müsste."

Bei der Frage nach den Kosten sieht Philip Kovce dagegen ein großes Missverständnis. "Es ist kein zusätzliches, sondern ein grundsätzliches Einkommen", stellt er klar. Das Grundeinkommen solle nicht automatisch ausgezahlt, sondern garantiert werden: "Es sorgt nicht dafür, dass jeder 1000 Euro mehr, sondern dass jeder wenigstens 1000 Euro hat", so Kovce. Eines der Hauptargumente der Befürworter: die rasante Veränderung der Arbeitswelt. Noch ist unklar, welche Folgen die Digitalisierung genau haben wird, doch eines erscheint jetzt schon sicher: Die Umwälzung wird gewaltig sein, vergleichbar allenfalls mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Digitalisierung und Automatisierung könnten, wenn es schlecht läuft, unzählige Arbeitsplätze vernichten – und das bedingungslose Grundeinkommen sich als Rettungsnetz erweisen, das die Menschen zumindest vor dem Absturz in Armut bewahrt.

Prominente Befürworter für das bedingungslose Grundeinkommen:  Götz Werner. F.: dpa/zg

In dieser Arbeitswelt gehe es vor allem darum, "grundsätzlich freiwillige Tätigkeit zu ermöglichen", so Kovce. Er ist sich sicher: "Freiwilligkeit wird in der künftigen Arbeitswelt immer wichtiger." In der Praxis aber würden sich einige Fragen ergeben – etwa, wer überhaupt Anspruch auf ein solches bedingungsloses Grundeinkommen hätte. "Bekommen das nur Deutsche, oder alle, die seit einem bestimmten Stichtag in Deutschland leben, oder auch alle Asylbewerber?", formuliert Dominik Enste das Dilemma. Geht man noch weiter, stellt sich die Frage, warum ein Grundeinkommen eigentlich an nationalen Grenzen halt machen sollte. Sollte es nicht mindestens europaweit gelten? Und wären die deutschen Steuerzahler auch bereit, ein Grundeinkommen in Italien, Spanien und Griechenland zu finanzieren?

Bisher gibt es eine Reihe von nationalen und regionalen Modellversuchen. Finnland etwa zahlte ab 2017 in einem auf zwei Jahre angelegten Experiment ein Grundeinkommen an 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose. Sie erhielten monatlich 650 Euro steuerfrei, dafür aber keine Sozialhilfen. Die Bilanz fiel gemischt aus: Die Teilnehmer erklärten zwar später, dass sie sich freier fühlten – fanden aber weder schneller noch langsamer einen Job. Frühere Versuche in den USA und Kanada zeigten ähnliche Resultate. In der Schweiz scheiterte ein Projekt an der Finanzierung. Erfolgreicher war ein privates Projekt in einer Gemeinde in Kenia (allerdings wurde das Geld dort nur an die Ärmsten ausgezahlt). Und in Schleswig-Holstein vereinbarte die Jamaika-Koalition 2017 ein "Zukunftslabor", das verschiedene Modelle diskutieren soll.

Einen Versuch, der tatsächlich alle Bürger eines Landes umfasst, hat es bisher noch nicht gegeben, und so geht die Diskussion weiter. In einem allerdings sind sich Befürworter und Kritiker einig: Auch nach dem Ende der Corona-Krise wird die Diskussion nicht abflauen. Er glaube, "dass die Diskussion uns weiter begleiten wird", sagt Dominik Enste. Und Philip Kovce erklärt: "Wenn wir die anderen nicht länger als Faultiere abstempeln, sondern endlich als freie Menschen anerkennen, dann wird es soweit sein."