Aufbruchstimmung in Texas (Update)
Lange Zeit belasteten die US-Geschäfte Bilfinger. Heute profitiert das Unternehmen dort von der boomenden Petrochemie-Branche

Vorortbesuch auf einer Baustelle im südlichen Texas: Der zwei Meter große Amerika-Chef von Bilfinger, Terrance Ivers (59, l.) überragt selbst den groß gewachsenen Bilfinger-Vorstands-Chef Tom Blades (62). Foto: dbe
Von Daniel Bernock
Mannheim. Terrance Ivers ist in den USA für die Geschäfte des Mannheimer Unternehmens Bilfinger verantwortlich - das Land sorgt immerhin für ein Viertel des Gesamtumsatzes des Konzerns. Dabei hatte er sich eigentlich schon für den Ruhestand entschieden. Dann klingelte eines Tages das Telefon und ein alter Bekannter war am Apparat: Bilfinger-Chef Tom Blades. Er fragte den Amerikaner, ob er für den Mannheimer Konzern die Geschäfte in den USA managen wolle. Seine erste Reaktion: "Wer oder was ist Bilfinger?"
Dass in den USA kaum jemand etwas mit dem Namen Bilfinger anfangen kann, stört Ivers nicht. Im Gegenteil: "Wir sind zwar ein deutscher Konzern, werden hier allerdings als lokale Firma wahrgenommen." Das sei vorteilhaft, vor allem bei Aufträgen der öffentlichen Hand.
Nach mehreren schwachen Jahren, in denen Bilfinger in Nordamerika rote Zahlen geschrieben hat, soll das US-Geschäft wieder Gewinne verbuchen. Im abgelaufenen Geschäftsjahr erwirtschaftete die Region bei einem Umsatz von rund 600 Millionen Euro tatsächlich wieder einen Gewinn, wie viel gibt das Unternehmen allerdings nicht preis. 2019 soll der Umsatz auf 770 Millionen Euro steigen - das Ziel bis 2020 liegt bei 900 Millionen Euro. Gelenkt wird das US-Geschäft von Bilfinger von einem neuen Bürokomplex in Houston aus.
Texas ist ein weites Land, die Bundesrepublik Deutschland würde fast zwei Mal in den US-Staat passen. Stolz sind die Menschen auf die Wirtschaftskraft des Staates, die zweitgrößte im Land nach Kalifornien. Nirgendwo wird so viel Öl gefördert.
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Südlich von Houston befindet sich das weltgrößte Areal der Prozessindustrie. Kilometerlang reiht sich entlang des Highways eine Anlage an die nächste - vor allem die Öl- und Gasindustrie ist hier aktiv. Der Linde-Konzern baut dort gerade eine Polypropylen-Anlage, das Gesamtprojekt hat ein Volumen von 675 Millionen Dollar. Der Auftrag für Bilfinger hat nach Informationen der RNZ einen Umfang von mehr als 100 Millionen Dollar. Das Plastik, das hier ab 2020 produziert werden soll, landet dann in Autoteilen, zum Beispiel in Stoßstangen. Seit April 2018 arbeiten hier rund 285 Bilfinger-Mitarbeiter, gegen Ende des Projekts soll die Zahl auf bis zu 500 steigen. Die Arbeiten von Bilfinger umfassen laut Ivers den Bau der massiven Betonfundamente und der Stahlkonstruktion der Anlage sowie die Montage von kilometerlangen Rohrleitungen. Ein Highlight des Projekts: Ein rund 800 Tonnen schwerer, haushoher Reaktor, in dem später der chemische Prozess stattfindet, musste mit dem größten Fahrzeugkran in den USA passgenau in die vorher gefertigte Stahlkonstruktion von oben eingesetzt werden - pro Seite waren da lediglich 30 Zentimeter Platz. Einen ganzen Tag dauerte die Präzisionsarbeit.
Dass das Projektvolumen für Bilfinger mehr als 100 Millionen Dollar beträgt, ist bemerkenswert. Denn lange Zeit durfte die US-Tochter keine Aufträge mit einem Volumen im dreistelligen Millionenbereich annehmen. Zu viel war in der Vergangenheit schief gegangen: Risiken wurden falsch eingeschätzt, Verträge nicht gut verhandelt. 2016 musste das Unternehmen wegen aus dem Ruder gelaufenen Projekten in den USA eine Risikovorsorge in Höhe von rund 50 Millionen Euro bilden - und damit die Prognose für das Geschäftsjahr senken.
Bilfinger-Chef Tom Blades, dessen größte Aufgabe die Stabilisierung des taumelnden Konzerns war, tauschte daraufhin die komplette Führung in den USA aus und installierte gemeinsam mit dem neuen Führungsteam vor Ort ein neues Risiko-Management-System. Der Brite, der perfekt Deutsch spricht, etablierte zudem eine neue Konzernstruktur, die regionale Vorstände umfasst, wie etwa Ivers für Nordamerika. Zuvor hatte es für jede Unternehmenssparte in den USA einen Verantwortlichen gegeben. So war es in der Vergangenheit durchaus vorgekommen, dass eine US-Tochter etwa für die Erneuerung von Rohrleitungen den Auftrag zum Bau eines Gerüsts an eine Fremdfirma vergab - obwohl auch eine andere Bilfinger-Tochter im Land genau diese Arbeiten hätte ausführen können. Mit einem einzigen US-Chef soll die Zusammenarbeit nun besser klappen.
Blades und Ivers kennen sich aus ihrer Zeit bei Siemens von 2009 bis 2012. "Tom Blades ist der Grund, warum ich zu Bilfinger gekommen bin", sagt Ivers. Früher hätte es mit den Kunden "schlechte Verträge" gegeben, sagt der US-Chef Ivers. "Da hatten wir schon verloren, bevor es überhaupt losging." Heute rechne eine Software vor Vertragsabschluss rund 2000 Risiko-Szenarien und ihre Wahrscheinlichkeiten durch. Vor allem in Texas sei es wichtig, die Gegebenheiten einer jeden Baustelle zu kennen. Durch die große Konkurrenz sei die Marge gering, so Ivers. Das "Risk-Management" in den USA ist heute laut Blades Vorbild für all die anderen Länder im Konzern.
Insgesamt beschäftigt Bilfinger in den USA 4500 Mitarbeiter. Die Zahl schwankt jedoch stark, je nachdem wie viele Projekte gerade anfallen.
Mehr als die Hälfte der Geschäfte in den USA macht die Bilfinger Tochter Westcon, die seit 2012 zum Konzern gehört. Drei Viertel aller Aufträge kommen aus der Öl- und Gasbranche. Dabei geht es vor allem um Projekte, die Flüssigerdgas, das in den USA vor allem durch die Fracking-Methode gewonnen wird, in Plastik und andere petrochemische Produkte umwandelt. Das Fracking hat in den USA einen neuen Boom ausgelöst. Im vergangenen Jahr haben die USA sogar Saudi-Arabien und Russland überholt und sich zum größten Rohölproduzenten der Welt entwickelt.
Rund drei Stunden Fahrt südlich von Houston baut ein taiwanesische Kunststoffhersteller für 1,6 Milliarden US-Dollar eine neue Anlage, die den Durst der Amerikaner nach Kunststoffen bedienen soll. Ein Großprojekt für Bilfinger, das mehrere Jahre läuft. Rund die Hälfte aller Arbeiten an der Anlage entfallen auf den Mannheimer Konzern. Die rund 900 Mitarbeiter auf dem Gelände montieren Stahlkonstruktionen, bauen Gerüste und installieren Rohrleitungen. Vor allem letztere Arbeit hat es in sich: Die Rohrleitungen sind teilweise so groß, dass eine Person darin aufrecht stehen könnte. Die meterlangen Röhrenstücke sind tonnenschwer und müssen genau positioniert und einzeln verschweißt werden. Gerade beim Einpassen der Rohre ist viel Handarbeit gefragt.
Rund 35 Prozent des Gesamtumsatzes macht Bilfinger mit der Öl- und Gasindustrie. Ist das zu viel? Ein Risiko, etwa wenn der Ölpreis stark fällt? Nein, ist Blades überzeugt. "Das Öl- und Gasgeschäft ist sehr gut." Die Branche verzeichne ein hohes Wachstum, davon wolle auch Bilfinger profitieren. Erst jüngst habe eine Studie prognostiziert, so Blades, dass in den nächsten fünf Jahren Investitionen von insgesamt rund 300 Milliarden Dollar nach Texas fließen sollen. Allerdings will Blades auch andere Aktivitäten ausbauen, etwa im Pharmamarkt. Da diese Bereiche in Zukunft schneller wachsen sollen, wird der Anteil des Geschäfts mit Öl- und Gaskunden insgesamt wohl sinken. Vor einem fallenden Ölpreis sorgt sich Blades nicht. Das würde nicht bedeuten, dass die großen Player ihre Investitionen zurückfahren, ist sich Blades sicher.
Update: 28. Januar 2019, 15.36 Uhr