Aus von Lackkunst-Museum in Münster wäre herber Verlust
Hiobsbotschaft zum 30. Geburtstag: Die einzigartige Sammlung ist in Gefahr.

Von Matthias Roth
Ludwigshafen. Wer an Lack denkt, der hat zumeist Autos im Sinn, den Anstrich von Balkongeländern oder eine moderne Veredlung von Möbeln. Dass Lacke zum Schutz von Holzgegenständen in China aber schon im 5. vorchristlichen Jahrtausend bekannt waren, setzt viele in Erstaunen.
Denn unsere Vorstellung von Lack fußt meist auf der Erfahrung mit Industrielacken. Das Harz des Lackbaums allerdings ist ein seltenes Naturprodukt, dessen Möglichkeiten besonders in Asien früh bekannt waren und das erstaunlich kunstfertig gestaltete Objekte hervorbrachte. Eine Sonntagsführung im Museum für Lackkunst im westfälischen Münster kann da sehr erhellend sein.
Es ist weltweit das einzige Museum seiner Art, andernorts sind Lackobjekte aus China, Korea oder Japan sowie dem arabischen Raum meist nur als Teil größerer Kunstsammlungen zu sehen, und selbst die Lack-Begeisterung August des Starken in Dresden wird neben seiner Faszination für chinesisches Porzellan oft übersehen. Aber dieser Barockherrscher forcierte nicht nur die europäische Neu-Erfindung des Porzellans, sondern auch die Kunst der Naturlack-Verarbeitung.
Vor 30 Jahren übernahm die BASF Ludwigshafen zwei bedeutende Lacksammlungen aus Wuppertal und Köln und führte rund 2000 Objekte in Münster zusammen, wo der Konzern Kunstlacke produziert. Wertvolle alte Naturlack-Preziosen wurden in einer Stadtvilla in der Nähe des Bahnhofs konzentriert und sind seither nicht nur beliebtes Ziel asiatischer Gäste, sondern auch kunstinteressierter Westfalen geworden.
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Bei freiem Eintritt kann man herrlich schöne, durch unterschiedliche Kulturen geprägte Gegenstände bewundern, die nicht nur dem täglichen Gebrauch dienten: Teeschalen, Schmuckschatullen, Kleiderkästen oder Schränke, daneben auch Wandbilder, Schreibutensilien und Behältnisse, deren zeitlose Eleganz über Jahrhunderte glänzt und die mit höchst kunstvollen Intarsien beeindrucken.
Doch bei der BASF blättert nun der Lack im übertragenen Sinn. Der Chemieriese will sich bis Ende des Jahres aus Kostengründen von diesem einzigartigen Museum trennen. Findet sich kein neuer Träger, könnte die Sammlung der Lack-Fabrikanten Erich Zschocke und Kurt Herberts, die erst kürzlich mit Hilfe des Landes um wertvolle Stücke des sächsischen Barock erweitert wurde, in alle Winde zerstreut werden. Das wäre ein unwiederbringlicher Verlust, nicht nur für Münster.
Am Beginn des Rundgangs stehen Objekte, die die unterschiedlichen Verarbeitungen des Rohmaterials demonstrieren: Der Naturlack, der von 10 bis 15 Jahre alten Bäumen nur ein Mal geerntet werden kann, indem die Rinde tief eingeritzt wird, ist trüb-milchig und färbt sich in Verbindung mit Sauerstoff dunkelbraun. Der Baum stirbt danach ab, die Wurzel treibt aber schnell neu aus.
Der Lack wird erhitzt und mit zerstoßener Asche oder Ruß sattschwarz sowie mit Zinnober leuchtend rot gefärbt: den Farben der chinesischen Kaiser. In bis zu 100 und mehr Schichten aufgetragen, lässt sich der Lack schleifen, schnitzen oder mit Intarsien aus Perlmutt, Gold oder Silber bearbeiten, wobei die einzelnen Prozesse aufwendig und zeitintensiv sind.
Ein chinesischer Schnitzlackteller (Mitte des 14. Jahrhunderts), eine mit einem eingravierten Gedicht verzierte Teeschale aus dem 18. Jahrhundert, aus der Kaiser Qianlong getrunken haben soll (das Gedicht stammt aus seiner Feder), oder ein drachenverzierter Kleiderkasten aus Korea (19. Jahrhundert) zeigen die Bandbreite dieser Kunst.
Das Ergebnis aber, ob glatt poliert oder mit eher rauer Struktur, ist bemerkenswert und wurde seit Anbeginn hoch geschätzt. Denn die so behandelten Gegenstände sind nicht nur gegen Insektenbefall, sondern auch gegen Licht und manchen Stoß geschützt. Nicht zuletzt deshalb hat man Musikinstrumente, dünnwandiges Geschirr oder Schmuck damit behandelt. Die ältesten Stücke, die in Münster zu sehen sind, stammen aus dem 3. Jahrhundert vor Christus – ihre Oberflächen glänzen fast wie neu.
Die Verarbeitungen sind je nach Region unterschiedlich. Wurde der Lack in China und Korea gemalt oder geschnitzt bzw. mit Perlmutt-Ornamenten verziert – Techniken, die im 14. Jahrhundert bereits perfektioniert waren –, so überwog in Japan schon ab dem 9. Jahrhundert die Streutechnik. Dabei wird Gold-, Silber- oder Perlmuttstaub auf den noch feuchten Lack aufgetragen.
Der Staub kann später überlackt und geschliffen werden oder reliefartige Erhöhungen bilden. Überraschend ist in allen Techniken der über lange Zeiträume entwickelte Formenreichtum, der wohl auch August den Starken in Dresden faszinierte. Der Fürst an der Elbe importierte neben chinesischem Porzellan vor allem Lackkunst aus Fernost. Ein äußerst kostspieliges Vergnügen, so dass es, wie beim Versuch, selbst Porzellan herzustellen, in Sachsen auch bei der Lackkunst entsprechende Anstrengungen gab.
Ein Kabinettschrank von 1715 ist ein hervorragendes Beispiel für diese Adaption fernöstlicher Lacktechniken im deutschen Barock. Aber auch im islamischen Raum, vor allem in Persien und Indien, gab es seit dem 15. Jahrhundert Lackkunst: Als Trägermaterial wurde neben Holz und Leder auch Pappmaschee benutzt.
Zurzeit würden von der BASF Optionen geprüft, "wie die erfolgreiche museale Arbeit des Museums weitergeführt werden kann. Wir sind uns unserer Verantwortung für die weltweit einzigartige Sammlung in ihrer Gesamtheit als Kulturgut bewusst", heißt es auf Nachfrage. Keine leichte Aufgabe, auch für Museumsleiterin Patricia Frick, einer Spezialistin für ostasiatische Kunst. Beratend zur Seite steht dem Team von BASF Coatings die Kulturstiftung der Länder.