Zumindest in der Lehre soll die Wissenschaft ohne Tierversuche auskommen, so das Ziel der Grünen. Foto: Philipp Rothe
Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Wie wichtig sind Tierversuche im Studium? Baden-Württembergs Universitäten laufen Sturm gegen ein geplantes Landesgesetz, das solche Experimente zurückdrängen soll. Jetzt ist auch Streit in der Koalition entbrannt. Im Regierungsvertrag haben Grüne und CDU festgehalten, dass Baden-Württemberg etwa bei der Medikamentenentwicklung derzeit noch auf Tierversuche angewiesen sei. Für den Bereich der Lehre jedoch klingt das anders: "Wir begleiten die Hochschulen dabei, das Studium so zu organisieren, dass für Ausbildungszwecke keine Tiere zusätzlich getötet werden", heißt es in dem Dokument.
Die Grünen wollen dem nun ein großes Stück näherkommen: An diesem Mittwoch berät der Wissenschaftsausschuss über eine Änderung im Hochschulrecht, die die Verwendung von Tieren in der Lehre grundsätzlich verbieten würde – wenn wissenschaftlich gleichwertige Methoden zur Verfügung stehen und die Berufsbefähigung der Studierenden nicht leidet.
Die Rektorenkonferenz der Universitäten im Land beklagt in einer Stellungnahme "eine zu weitgehende Beschränkung". Der Universitätsrat Hohenheim spricht gar von einer "nicht hinnehmbaren" Beschränkung der Freiheit von Forschung und Lehre.
Die Studiendekane der Biologischen Fachbereiche warnen in einem eigenen Schreiben vor "dem weitverbreiteten Missverständnis, dass sich das direkte Sezieren sowie physiologische und ökologische Experimente an Tieren durch Modelle und Filme adäquat substituieren ließen". Ihr Sprecher, Professor Jan Tuckermann von der Universität Ulm, kritisierte gegenüber unserer Zeitung Unklarheiten im geplanten Gesetzestext: So sei nicht eindeutig festgelegt, wer über die Gleichwertigkeit von Lehrmethoden entscheide. Dies müssten die jeweiligen Lehrenden sein. Der Begriff "Verwendung" sei im Regierungsentwurf viel zu weit gefasst, der Ausdruck "Tier" zu undifferenziert.
Die Gremien haben alternative Formulierungen vorgeschlagen: Sie wollen "eine ethische Güterabwägung zwischen Tierwohl und notwendiger Ausbildung der Fachexpertise" festschreiben und den Einsatz von "ergänzenden" Lehrmethoden ohne Tierverwendung "erweitern". Sätze, die einen Rechtsanspruch auf tierversuchsfreies Studium und Abschlussprüfung schaffen, wenn gleichwertige Methoden zur Verfügung stehen, sollen ersatzlos entfallen.
Die CDU-Fraktion im Landtag unterstützt das Ansinnen. "Wir teilen die Bedenken der Uni Hohenheim", erklärt die wissenschaftspolitische Sprecherin Marion Gentges. "Ich weiß, dass es sich bei der Passage um ein grünes Herzensanliegen handelt, gebe aber zu bedenken, dass dies den Wissenschaftsstandort Baden-Württemberg weiter schädigen würde und dass zum Beispiel die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Corona-Virus auch nicht ganz ohne Tierversuche auskommt." Sie habe Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) gebeten, die Novelle "an diesem Punkt im Sinne der Freiheit von Wissenschaft und Forschung noch zu verbessern". Am Mittwoch sei dazu im Wissenschaftsausschuss Gelegenheit.
Bauer lässt wenig Korrekturbereitschaft erkennen. "Die Forschung ist von der Regelung gar nicht betroffen, es geht allein um die Ausgestaltung der Lehre", erklärte sie gegenüber unserer Zeitung. "Die Sorge um die Freiheit der Wissenschaft halte ich für unbegründet."
Auch bei der Grünen-Fraktion stößt der Vorstoß auf wenig Verständnis. "Die CDU hat mehrfach dem jetzigen Gesetzestext in Kenntnis aller Argumente zugestimmt", sagte der wissenschaftspolitische Sprecher Alexander Salomon. Er verwies auf die Universität Freiburg, die bereits heute mit der Möglichkeit wirbt, Medizin, Biologie und Pharmazie ohne Tierversuche oder "Tierverbrauch" zu studieren. Die geplante Formulierung sehe Ausnahmeregeln vor.
Wenn es der CDU ernst ist, könnte es im Ausschuss trotzdem spannend werden. Auch die Opposition steht nämlich hinter den Hochschulen. "Angesichts der bisher bereits bestehenden Regelungen zum Tierschutz" sehe man in der geplanten Neuregelung "eher ein Einfallstor für Verwirrung, Diskussionen und Gerichtsprozesse", teilte Gabi Rolland mit, die wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.
FDP-Wissenschaftssprecher Nico Weinmann warnte vor "starken Beeinträchtigungen des Lehrbetriebs". Der Regierungstext sei "ideologisch und ohne gesetzgeberisches Geschick entworfen" sowie ein "Glanzstück des Bürokratieaufbaus".