Von Sören S. Sgries
Mosbach/Chemnitz. Musik kann Massen bewegen. Zum Beispiel 65.000 Menschen am Montag beim "wirsindmehr"-Konzert in Chemnitz. Mit Musik politisch mobilisieren: Darauf setzen schon länger und regelmäßiger diejenigen, gegen die sich der Protest in Chemnitz richtete. Musiker, die in rechtsextremen Kreisen bejubelt werden, heißen nicht "Kraftklub", "Casper" und "K.I.Z.", sondern "Landser", "Die Lunikoff Verschwörung" oder "White Aryan Rebels". Ihre Masche: Eingängige Musik in jedweder Stilrichtung, in die schlimmste Hetze verpackt ist.
Einer, der sich intensiv damit auseinandergesetzt hat, ist Timo Büchner. "Ich habe wochenlang mit Rennicke-Ohrwürmern zu tun gehabt", erzählt der Mittzwanziger beim Treffen in Mosbach. Liedermacher Frank Rennicke ist eine der führenden Figuren in rechtsextremen Kreisen. Unter anderem arbeitete dieser an den "Schulhof-CDs" mit, mit denen die NPD insbesondere in den 2000er-Jahren auf Stimmenfang ging.
Büchner, der zum Selbstschutz öffentlich nur unter Pseudonym auftritt, hat sich systematisch durch die Musik der Szene gehört. Von "nationalen Barden" über menschenverachtende Schlager bis hin zum "NS-Rap" ist alles dabei. "Weltbürgertum statt Vaterland - Antisemitismus im Rechtsrock" lautet der Titel des Buchs, für das er das Scheinwerferlicht auf die Songs der Szene richtet.
"Ich habe den Eindruck, oftmals geraten in den gesellschaftlichen Debatten um Neonazi-Konzerte die Botschaften der Liedtexte in den Hintergrund", begründet er seine Motivation. "Das Buch soll dazu beitragen, auf die hochgradig antisemitische Sprache im Rechtsrock hinzuweisen und sie in den Fokus der gesellschaftspolitischen Debatte zu stellen." Nur wer die Abgründe dieser Texte kenne, so seine Überzeugung, der verstehe auch die Gefahr, die von der Musik ausgehe.
Antisemitismus und Gewaltaufrufe
Antisemitismus hat Tradition - und auf der bauen viele der Bands auf, wenn sie mittelalterliche judenfeindliche Mythen aufgreifen. Eine davon: Juden töteten christliche Kinder, um ihr Blut für rituelle Handlungen zu nutzen. Daran knüpfen beispielsweise die "White Aryan Rebels" an, wenn sie von den "Blutsaugern im Rabbiner-Gewand" singen. Sehr deutlich auch die Vergleiche mit Tieren. So heißt es im Lied "Ab in den Ofen" (!) der Band "Macht & Ehre": "Juden kommen aus einem Rattennest / und verbreiten Judenseuche und Pest. / Sie wollen unsere Rasse ausmerzen, / und fühlen sich dabei wohl im Herzen."
Andere Lieder scheinen direkt der nationalsozialistische Rassenlehre zu entstammen. "Mit deinen großen Ohren wie Segeln, / der riesen Nase im Gesicht, / dein Hut bedeckter Wasserschädel - / Jude, dich verkennt man nicht!", singt beispielsweise die Band "Kommando Freisler".
Etwas subtiler textet die "Division Germania". "Hepp! Hepp! Hepp! / Raus zur Wehr, raus zur Wehr! Aus allen Gassen tönt es her", heißt es in einem ihrer Lieder. Was man wissen muss: Als "Hepp-Hepp-Krawalle" sind Pogrome im Jahr 1819 in die Geschichtsbücher eingegangen, bei denen mit diesem Schlachtruf zum Angriff auf Juden aufgestachelt wurde.
Doch auch vor expliziten Aufrufen zur Gewalt schreckt man nicht zurück: "Blut muss fließen, knüppelhageldick / und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik", lautet der Kehrreim in einem der bekanntesten Lieder der Rechtsrock-Band "Tonstörung". Das Stück variiert ein Revolutionslied von 1848/49 ("Heckerlied"). Das moderne "Blutlied" wurde 1993 indiziert - wird aber, wie Undercover-Journalist und Szene-Kenner Thomas Urban meint, "fast bei jedem Konzert angestimmt." Und selbst wenn nicht: "Ein Lied unter vielen, das die Vernichtung der Juden hemmungslos benennt", schreibt Büchner dazu.
Regelmäßig mit Hassliedern bedacht werden auch Institutionen wie der Zentralrat der Juden und seine Vorsitzenden ("Paul Spiegel, du altes Judenschwein, / ich schieß dir in den Kopf ein schönes Loch hinein").
Der Umgang mit Auschwitz
Holocaust-Leugnung gehört zu den gängigen Stilmitteln in der Szene - ebenso wie die Verächtlichmachung der Opfer. Einer der brutalsten Texte kommt von der Band mit dem eindeutigen Namen "Gaskammer": "In den Duschen geht das Licht aus, ja, jetzt fängt die Party an! Du darfst drei Mal raten, schnupper hier und schnupper da, / 100 Punkte für den Kandidaten, Zyklon B, na klar!". Auch Variationen auf populäre Melodien wie die "Vogelhochzeit" finden sich: "In Buchenwald, in Buchenwald, da machen wir die Juden kalt, Fidiralala, fidiralala, fidiralalalala" ("Kommando Freisler").
Glorifizierung des Nationalsozialismus
Timo Büchner warnt davor, sich allein auf explizite Juden-Vernichtungs-Drohungen im Rechtsrock zu konzentrieren. Verbreitet seien auch Verharmlosung und Verherrlichung des Nationalsozialismus. Einprägsames Beispiel: "Unser Führer" von "Xenophobic", ein Lied, das Adolf Hitler als "Retter unserer Nation, / des deutschen Volkes größter Sohn" feiert. Und die Band "Radikahl" fordert in "Hakenkreuz" gar: "Hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um!"
Kritik am "Schuldkult"
Das Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande"? Die musikalischen Anführer der rechtsextremen Szene verbreiten solche Ideen schon lange. "Tausend Stelen stehen sinnbildhaft / für ein Volk in moralischer Sippenhaft" singt "Stahlgewitter" im Jahr 2006 im Song "Tätervolk-City". Und 2015 veröffentlichen "Gigi & die braunen Stadtmusikanten" ein Spottlied über die Stolperstein-Initiative ("So kann man sich schön biegen und auf die Schnauze fliegen").
Die "jüdische Weltverschwörung"
Eine große Weltverschwörung, und natürlich stecken "die Juden" dahinter: Das ist die Idee hinter Liedern über die "Schattenregierung", die "Protokolle von Zion" oder die "New World Order" (NWO), mit der angeblich die USA eine Weltregierung etablieren wollen, die die unterschiedlichen Völker abschaffe. "Ihr strebt eine One World an, / in der kein Mensch mehr frei sein kann. / Ein Einheitsmensch ist euer Ziel, / der Völkermord im hohen Stil", behauptet "Killuminati". Gern wird auch auf "Familie Rothschild" verwiesen.
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Es sind harte Zitate, die hier präsentiert wurden. Viele der Songs sind verboten. Eigentlich dürfte man diesen Liedern damit doch nicht begegnen. Oder?
"Man kann auch hier in der Region erleben, dass in den Jugendheimen viel zu oft Rechtsrock läuft", sagt Büchner, der im Neckar-Odenwald-Kreis aufwuchs. "Ich kenne es bei mir aus der Gemeinde. Ich bin damit groß geworden." Irgendjemand sei immer dabei, der solche Musik gut finde. "Dann haben die ihren USB-Stick dabei - und dann läuft das." Dass Jugendliche darauf abfahren, kann er sogar verstehen: "Es gibt viele Rechtsrock-Projekte, die hält man für guten Metal!" Wenn man nur nicht zu genau hinhört, was da gesungen wird. Und bei Schulveranstaltungen, die Büchner mit der Initiative "Bad Mergentheim gegen Rechts" organisierte, hätten Schüler schon geäußert: "Das hört mein Vater beim Autofahren."
Büchner hält die Neonazi-Musikszene daher für "brandgefährlich". Sicherlich seien viele Songs reine Provokation. Doch die Konzerte an sich stiften Identität, führen langsam in die Szene rein. Und die sei gut organisiert. Klandestin organisierte "Geheimtreffen" gebe es an jedem Wochenende - mit den entsprechenden Kontakten bekomme man die Koordinaten übermittelt. Und auch offen angekündigte Festivals - beispielsweise im sächsischen Ostritz oder im thüringischen Themar - haben sich etabliert. "Da gab es lange Zeit kaum bis wenig Widerstand gegen", kritisiert Büchner.
Der Berliner Politikwissenschaftler Dieter Rupp sagte in einem "Zeit"-Interview: "Ein Musikkonzert ist einfach unverfänglicher als eine Demo. Zu einem Konzert zu gehen ist eine weniger eindeutige politische Positionierung, und es ist auch weniger riskant, weil man kaum mit Gegenveranstaltungen und Gewalt rechnen muss." Er meinte damit die 65.000 von Chemnitz. Es trifft aber auch auf die rechtsextreme Szene zu.