"Wir müssen früh Stoppschilder aufstellen"
Der Landesjustizminister wünscht öfter "beschleunigte" Strafverfahren - Personal müsse aufgestockt werden

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Justizminister Guido Wolf will Konsequenzen aus der mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung von Freiburg ziehen und fordert mehr Personal für Gefängnisse und Gerichte.
Herr Wolf, Ende 2018 hat Ministerpräsident Kretschmann ein Maßnahmenpaket gegen "Tunichtgute" angekündigt. Auch Sie sollten zuliefern. Was ist daraus geworden?
Tatsächlich hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Dezember 2018 nach der mutmaßlichen Freiburger Gruppenvergewaltigung auf eine rasche Reaktion gedrängt. Auf Wunsch des Staatsministeriums hat auch mein Ressort Vorschläge geliefert. Ich bedaure, dass die Vorlage bislang in den Schubladen verschwunden ist und den Ankündigungen keine Taten gefolgt sind. Nun sollen die Ideen offenbar wieder aufgegriffen werden. Mir ist es wichtig, dass wir gerade auch vor dem Hintergrund dieser Gruppenvergewaltigung zeigen: Der Staat hat verstanden und zieht für die Zukunft Konsequenzen.
Was sind Ihre Vorschläge?
Wir haben derzeit landesweit vier Häuser des Jugendrechts, wo in enger Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendämtern Taten junger Menschen rasch sanktioniert werden. Das hat einen hohen erzieherischen Effekt und verhindert kriminelle Karrieren. Ich will, dass wir flächendeckend Häuser des Jugendrechts schaffen - am besten in jedem Landgerichtsbezirk eines.
Was noch?
Nach der Strafprozessordnung können in bestimmten Fällen beschleunigte Verfahren durchgeführt werden. Voraussetzung ist, dass bei einfachen Sachverhalten oder klarer Beweislage und einer Straferwartung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe die Hauptverhandlung binnen sechs Wochen erfolgt. Leider wird das Instrument zu wenig genutzt, es bindet natürlich auch Personal. Wir wollen in Freiburg und in anderen Städten in Modellversuchen eine konsequente Anwendung des beschleunigten Verfahrens erproben. Auch das soll zeigen, dass die Justiz in der Lage ist, schnell zu reagieren. Gerade Menschen aus autoritären Staaten dürfen nicht das Gefühl bekommen, der deutsche Staat sei handlungsunfähig. Wir müssen früh Stoppschilder aufstellen, damit es möglichst gar nicht zu schweren Straftaten kommt.
Derzeit finden Haushaltsberatungen statt. Wie viele neue Stellen haben Sie angemeldet?
Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, für eine volle Personalausstattung in der Justiz zu sorgen. Nach der bundesweit anerkannten Personalbedarfsberechnung fehlen uns noch 95 Richter und Staatsanwälte. Diese Stellen habe ich für den Doppelhaushalt angemeldet. Dabei ist auch zu sehen, dass wir in dieser Legislaturperiode zu Recht die Polizei verstärkt haben. Es wäre aber nichts gewonnen, wenn die Justiz deren Fälle nicht abarbeiten könnte.
Was ist mit dem Justizvollzug?
In den Justizvollzugsanstalten fehlen 400 bis 500 Stellen. Wir haben für den Doppeletat 250 angemeldet, weil mir klar ist, dass dieser Aufwuchs in einem Haushalt nicht zu leisten ist. Wir haben schon heute hohe Krankenstände in der Belegschaft, weil die Gefängnisse überfüllt sind, die Klientel teils hochproblematisch und die Personalausstattung im Ländervergleich mangelhaft ist. Das müssen wir dringend ändern. Bei Innovationen wie Video-Dolmetschen oder Telemedizin sind wir dagegen führend.
Was tun Sie gegen überfüllte Gefängnisse?
Wir planen aktuell Containerbauten in den Justizvollzugsanstalten Schwäbisch Hall, Ravensburg und Heimsheim. Es ist eine Investitions-Offensive für Justizgebäude über knapp 106 Millionen Euro geplant. Für den kommenden Doppeletat sind Planungsraten für ein neues Gefängnis in Rottweil und ein neues Justizvollzugskrankenhaus in Stammheim vorgesehen. Diese Offensive kann aber nur ein erster Schritt sein, das Investitionsdefizit bei den Justizgebäuden beläuft sich auf insgesamt 650 Millionen Euro.
Wo soll das Geld herkommen?
Die Justiz hat dieses Jahr allein gegen Porsche und Bosch infolge des Dieselskandals Geldbußen in Höhe von 625 Millionen Euro verhängt. Diese Gelder fließen in den Haushalt des Landes. Anders als bei der Polizei ist bislang keine unmittelbare Beteiligung der Justiz an diesen Beträgen vorgesehen. Mir erscheint es angemessen, bei der Aufstellung des Doppelhaushalts die Justiz an den erzielten Vermögensabschöpfungen zu beteiligen, damit die dringend benötige Personalaufstockung erfolgen kann.