Nachhaltiger Konsum

"Wir haben uns auf unseren Lorbeeren ausgeruht"

Die Heidelberger Politologin Jale Tosun zur Umweltpolitik und den Klimaprotesten

04.06.2019 UPDATE: 05.06.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 27 Sekunden
Jale Tosun. Foto: zg

Von Michael Abschlag

Heidelberg. Jale Tosun ist Professorin für Politik an der Universität Heidelberg.

Frau Tosun, warum entsteht gerade jetzt so eine starke Umweltbewegung?

Heute kommen da, denke ich, verschiedene Faktoren zusammen. Zum einen gibt es mit Greta Thunberg eine Person, die sehr stark mobilisiert. Sie ist ein sympathisches junges Mädchen, sie kommt sehr unprätentiös daher und sie wirkt authentisch und bodenständig. Das macht sie zu einem Gegenmodell dessen, was wir in der Politik oft vorfinden. Zudem gewinnt das Thema Klimaschutz gerade bei jüngeren Menschen an Bedeutung. Klima- und Umweltschutz sind Themen, die in den letzten Jahren von der Politik nicht gerade in den Vordergrund gerückt wurden. Da ist ein Vakuum entstanden. Und dass in dieser Situation eine Person wie Greta erschienen ist, hat stark zur Mobilisierung beigetragen.

Das heißt, der Zeitpunkt ist Zufall?

Auch interessant
Nachhaltiger Konsum: Mode-Schnäppchen und was sie wirklich kosten
Nachhaltiger Konsum: "Beim Bäcker packt der Käufer die Brötchen selbst in den Beutel"
Nachhaltiger Konsum: RNZ-Redakteurin testete den Wiesenbacher Warentauschtag
Nachhaltiger Konsum: In Ladenburg und Heidelberg gibt es "Unverpacktes" (plus Video)
Nachhaltiger Konsum: Weinheim will weg von der Plastiktüte
Nachhaltiger Konsum: Kunden benutzen im Supermarkt häufig noch Plastiktüten
Nachhaltiger Konsum: Beim Einkaufen an morgen denken
Schädliches Shoppen: Klamotten und ihre Auswirkungen auf die Umwelt

Nein, ich denke nicht. Viele politische Parteien sind derzeit an einem inhaltlichen Punkt angelangt, an dem sie die Jugend nicht mehr erreichen. Es gibt einen Meinungsaustausch im Netz, an dem die Parteien gar nicht mehr teilhaben - das hat man ja gerade an der CDU gesehen. Wir haben heute neue Medien und eine ganz andere Form der Kommunikation, weil die etablierten Parteien - bis auf die Grünen, muss man sagen - die Themen wie Umwelt- und Klimapolitik, die insbesondere jüngere Menschen interessieren, kaum aufgreifen oder ihnen die inhaltliche Glaubwürdigkeit auf diesem Gebiet fehlt. Wenn es eine solche Lücke gibt, dann entstehen neue Bewegungen.

Die Grünen haben damals den Weg in die Parlamente gewählt, "Fridays for Future" findet noch auf der Straße statt. Was kann so eine Bewegung erreichen?

Sie kann Aufmerksamkeit für ein Thema schaffen. Wenn Schüler freitags nicht zum Unterricht erscheinen, dann muss sich die Politik damit auseinandersetzen. Wenn so eine Bewegung groß genug ist, entsteht entweder eine neue Partei, oder es wird eine Allianz mit einer bestehenden Partei geschmiedet. Und mit den Grünen gibt es ja bereits eine Partei, die dieses Thema aufgreift. Über sie wird das Thema im Parlament vertreten.

Ist das ein Hype, der in ein paar Jahren verschwunden sein wird? Oder wird die Klimabewegung die Gesellschaft dauerhaft verändern?

Ich glaube letzteres. Die wissenschaftlichen Fakten sind ja eindeutig. Es gibt weltweit junge Menschen, die sehen, dass sich ihre Umwelt verändert und ihre Existenzgrundlagen gefährdet sind. Deshalb hat diese Bewegung das Potenzial, längerfristig zu existieren.

Hat die Politik das Thema verschlafen? Deutschland war ja im Klimaschutz schon mal weiter...

Das ist richtig. Wenn wir uns anschauen, wo europäische Umwelt- und Klimapolitik herkommt, kann man feststellen, dass Deutschland da in den 1980er und 1990er Jahren der Motor Europas war. In unseren Schlüsselindustrien, vor allem der Automobilindustrie, hatten wir Innovationen und auch ein wirtschaftliches Interesse daran, strenge Umweltstandards zu etablieren. Dann aber hat man sich auf den Lorbeeren ausgeruht. Heute ist Deutschland in Europa nicht mehr der Vorreiter bei einer ambitionierteren Umwelt- und Klimagesetzgebung, sondern drückt, im Gegenteil, auf die Bremse. Ich denke, dass liegt unter anderem an der Wirtschafts- und Finanzkrise. Dadurch wurde aus der Klima- die Wirtschaftskanzlerin. Meiner Meinung nach hat die deutsche Industrie zuletzt auch nicht mehr die Innovationen hervorgebracht, die nötig wären, um auf nationaler und europäischer Ebene Druck zu machen.

Was könnte die Politik denn ändern?

Ein erster richtiger Schritt ist, dass es ein Klimakabinett gibt, in dem sich die Minister ressortübergreifend Gedanken machen, was beim Klimaschutz getan werden kann. Bei der Umsetzung hapert es, weil die Ministerien von verschiedenen Parteien besetzt sind und daher durch die Notwendigkeit der Kompromissbildung nicht immer optimale Lösungen gefunden werden. Auch der Kohleausstieg ist ein Schritt in die richtige Richtung. Zwei weitere sinnvolle Instrumente, über die bereits nachgedacht wird, sind eine CO2-Steuer und eine Neuregelung des Emissionshandels. Die Tatsache, dass bei den Europawahlen die Wähler allen Parteien bis auf die Grünen so gut wie keine Kompetenz beim Klimaschutz zugesprochen haben, wird dazu führen, dass künftig alle Parteien etwas grüner werden.