Kampf um die Zukunft der Erde

Wider die Dummheit der Erwachsenen

Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg ist die Galionsfigur der Klimabewegung - Schüler sind elektrisiert und streiken weltweit / Von Ingrid Thoms-Hoffmann

24.01.2019 UPDATE: 25.01.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 50 Sekunden

Schulstreik fürs Klima: Seit August 2018 stellt sich Greta von Thunberg mit diesem Schild jeden Freitag vor das schwedische Parlament. Foto: dpa

Die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg ist die Galionsfigur der Klimabewegung - Schüler sind elektrisiert und streiken weltweit / Von Ingrid Thoms-Hoffmann

Es war im letzten Jahr die Schülerin Emma Gonzales, die dem US-Präsident Donald Trump ein "Schämen Sie sich" entgegenschleuderte. Bei einer Gedenkveranstaltung für ihre ermordeten Schulkameraden sprach sie sich für strengere Waffengesetze aus. Weltweite Massenproteste sollten folgen. Als die Palästinenserin Ahed Tamimi mit 16 Jahren festgenommen wurde, da hatte sie zuvor zwei israelische, schwer bewaffnete Soldaten attackiert. Sie kam für kurze Zeit ins Gefängnis und stieg zur Ikone im Kampf gegen die Besetzung auf.

Fast mit dem Leben bezahlte die Pakistani Malala Yousafzai ihren Einsatz für die Bildung, vor allem für die der Mädchen. Taliban schossen ihr 2012 aus nächster Nähe in den Kopf. Die 14-Jährige überlebte, bekam 2014 den Friedensnobelpreis. US-Präsident Barack Obama empfing die junge Frau als UN-Friedensbotschafterin und sie kritisierte ihn wegen seines Drohnenkrieges.

Und jetzt also Greta Thunberg, dieses autistische, kleine (1,50 Meter) Mädchen aus Schweden, mit den langen Zöpfen, das vor wenigen Tagen 16 Jahre alt geworden ist und das es innerhalb weniger Monate geschafft hat zu einer Galionsfigur einer von Schülern getragenen Klimabewegung zu werden. Im Dezember machte sie bei der Welt-Klimakonferenz in Polen in ihrer gerade mal dreiminütigen, in geschliffenem Englisch vorgetragenen Rede die Spitzenpolitiker aller 200 Länder rund: "Ihr sprecht nur darüber, mit den immer gleichen schlechten Ideen weiterzumachen, die uns in die Krise geführt haben … Ihr seid nicht einmal erwachsen genug, die Wahrheit zu sagen". Worte, die weltweit für Aufsehen sorgten. Jetzt kam sie zum Weltwirtschaftsforum in Davos und den Mächtigen (soweit vorhanden) wurde mulmig zumute.

Wer ist diese Greta Thunberg und woher rührt ihre unglaubliche Wirkung? Die Schülerin aus Stockholm ist ja nicht die einzige junge Klimaaktivistin. 2017 forderte der 12 Jahre alte Timoci Naulusala aus Fidschi beim Klimagipfel in Bonn die Politiker zu einem Umdenken auf. Felix Finkenbeiner gründete 2007 mit neun Jahren die Kinder- und Jugendinitiative "Plant-for-the-Planet". Inzwischen ist er 21 Jahre, promoviert, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und immer noch aktiver Umweltschützer.

Was also ist bei der jungen Schwedin anders, dass ihr weltweit junge Menschen in Scharen folgen? Dass sie keine Angst vor den Folgen eines Schulstreiks haben und Sätze dieses ernsten Mädchens fast andächtig zitieren: "Es gibt für uns keinen Sinn für die Zukunft zu lernen, wenn wir vielleicht keine haben".

Greta Thunberg ist anders als die meisten ihrer Altersgenossen. Greta hat das Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus. Dass die Betroffenen dabei oft intensives Interesse für ein Thema entwickeln, gehört zum Krankheitsbild. Ebenso, dass sie sprachbegabt und hochintelligent sind.

Bei der Schwedin begann der Klimaaktivismus , so erzählt sie es in einem Video der Initiative "Democracy Now", mit acht oder neun Jahren. "Ein Lehrer hat uns von der Erderwärmung erzählt und ich dachte: Wenn das wirklich passiert, dann würden wir doch über nichts anderes mehr sprechen, es müsste höchste Priorität haben! Aber niemand hat darüber geredet. Also habe ich mich informiert, habe Schulbücher und Artikel gelesen, Filme angeschaut, meine Eltern gefragt, bis ich verstanden habe, was gerade passiert. Und dann habe ich angefangen, bei uns daheim immer das Licht auszuschalten. Das war der erste Schritt".

Genaueres wissen wollte sie über die "tipping points". Die Momente in der Klima-Entwicklungen, nicht mehr rückgängig gemacht werden können und die dramatische Umweltveränderungen in kurzer Zeit bewirken. Greta erkannte, dass "unsere Zivilisation dafür geopfert wird, dass eine sehr kleine Anzahl von Menschen weiterhin enorme Mengen Geld machen kann." Mit elf Jahren wurde sie depressiv, sprach und aß kaum noch. Ein Jahr lang ging sie nicht zur Schule. Und sie begann ihr Leben umzustellen und das ihrer Eltern. Heute ernährt sich die Familie vegan, die Mutter, eine bekannte Opernsängerin, hat der Fliegerei abgeschworen, gefahren wird nur noch mit dem Zug oder dem Elektro-Auto. Und Greta streikt.

Als sie am 20. August, dem ersten Schultag nach dem heißen Sommer 2018, in Stockholm zum Unterricht gehen sollte, dachte sie überhaupt nicht daran. Sie marschierte zum Parlament, setzte sich vor das Gebäude und protestierte. Für eine Trendwende in der Klimapolitik. Die Idee zum Schulstreik hatte sie aus den USA. Im Frühjahr streikten dort nach dem Attentat auf die Schule in Parkland hunderte von Schülern für eine Verschärfung der Waffengesetze. "Am Anfang wollte keiner mitmachen und ich musste allein gehen", erzählt Greta "Democracy Now". Das hat sich schon am zweiten Tag geändert. Drei Wochen lang protestierte sie jeden Tag. Inzwischen geht sie wieder zum Unterricht und gestreikt wird nur noch freitags - weltweit. In der Schule hinkt sie trotzdem nicht hinterher, weil sie ihre Bücher immer dabei hat.

In einem Gastbeitrag für den britischen "Guardian" schrieb Greta kürzlich: "Ich sehe die Welt anders: schwarz oder weiß. Ich schaue auf die Mächtigen und frage mich, warum sie alles so kompliziert machen. Wenn der Klimawandel gestoppt werden muss, dann müssen wir ihn stoppen. Das ist schwarz oder weiß. Es gibt keine Grauzone, wenn es ums Überleben geht".

Greta will ihren Kampf weiterführen. Solange, bis ihr Land die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erfüllt hat. Sie ist dabei nicht alleine. Der Twitter-Hashtag FridaysForFuture steht für eine Generation, die es anders machen will. Und offenbar braucht es eine Jugendliche, die wie ein Kind aussieht und wie eine Erwachsene spricht, kaum Freunde hat, am liebsten mit ihren Hunden spielt und unglaublich konsequent und ehrlich ist. "Mir ist es egal, ob ich beliebt bin", sagte sie auf dem Klimagipfel. "Ich sorge mich um Klimagerechtigkeit". Vielleicht ist es diese Anderssein, das aus der kleinen Schwedin eine Weltpolitikerin macht, der die Jugend vertraut.

"Mit ihren Anklagen gegen die Erwachsenenwelt hat die Jugendliche einen Nerv der Zeit getroffen. Das birgt auch die Gefahr, dass sie instrumentalisiert wird. Es wird sich zeigen, wie lange sie auf dieser Welle weiter reiten kann und das Greta-Thunberg-Fieber Europa und die Welt ergreift", kommentiert das Schweizer Fernsehen. Dazu passt das Greta-Zitat: "Ihr seid nicht reif genug, um zu sagen, was wirklich ist. Auch noch diese Last bürdet ihr uns Kindern auf … Wir sind gekommen, um euch zu sagen, dass der Wandel kommen wird, ob es euch gefällt oder nicht."