Von Peter Riesbeck, RNZ Berlin
Berlin. Der Titel klingt unscheinbar. "Saubere Luft - Stickstoffoxide und Feinstaub in der Atemluft: Grundlagen und Empfehlungen", heißt die Studie, die Vertreter der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Berlin vorstellten. Aber das Ergebnis hat es in sich: "Wir glauben, dass von den Schadwirkungen her Stickoxide deutlich weniger wichtig sind", sagte Professor Martin Lohse, der Vize-Präsident der Akademie, unserer Berliner Redaktion und kritisiert Fahrverbote (siehe Interview).
Der Mediziner Lohse leitet unter dem Dach der Leopoldina eine Arbeitsgruppe von Ärzten, Chemikern und Materialforschern, die Studien zur Luftqualität in Deutschland auswerteten. Demnach sind Feinstaub und das Klimagas Kohlendioxid langfristig gefährlicher für die Gesundheit als Stickoxide. Dennoch bleibt: Der Verkehr belastet die Luft. Deshalb fordern die Forscher eine Verkehrswende.
Die Forscher sehen Fahrverbote skeptisch. "Zu den gesundheitlich wenig sinnvollen Maßnahmen zählen kurzfristige Beschränkungen, die sich gegen einzelne Verursacher von Stickoxid-Belastungen richten", heißt es im Bericht. Zwar wird Stickoxid erst als drittes Problem für schlechte Luft benannt - nach Feinstaub und Kohlendioxid. Aber bei den Emissionen aus dem Verkehr bleibt es. "Kohlendioxid wirkt über Jahrhunderte", warnt Forscher Jos Lelieveld vor den Folgen des Klimawandels. Auch Feinstaubbildung wird durch den Straßenverkehr begünstigt. Die Forscher fordern deshalb eine nachhaltige Verkehrswende. "Notwendige Voraussetzungen sind die Vernetzung verschiedener Verkehrsmittel: öffentlicher Verkehr, Pkw, Fahrrad etc.", so die Studie.
Die Autobauer fahren verschiedene Strategien, um das Klimaproblem in den Griff zu bekommen. VW setzt auf Elektro, BMW und Daimler auf Hybrid. "Wenn die Entwicklung so weitergeht, spielt die Antriebsart keine Rolle mehr", glaubt Kommissionsmitglied Manfred Hennecke und sagt: "Neueste Dieselmotoren schneiden nicht schlechter ab als Benziner." Die Kommission urteilt zurückhaltender und empfiehlt "die verstärkte Entwicklung von emissionsarmen Fahrzeugen im Bereich Elektromobilität und alternativen Technologien".
Wie gefährlich sind in der Diskussion die Stickoxide? Sie entstehen durch Verbrennungen bei hohen Temperaturen, etwa im Diesel-Motor. Im menschlichen Körper können sie unter anderem Atemwegserkrankungen wie Asthma verursachen. In die Debatte kamen Stickoxide zuletzt wegen des Streits über Fahrverbote in Städten wie Stuttgart, München und Hamburg. "Eine neue Datenlage erlaubt neue Schlussfolgerungen", sagt Jos Lelieveld, Mitglied der Leopoldina-Kommission, der am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie forscht. Weil sich Stickoxide nur kurzzeitig bilden, andere Schadstoffe wie Kohlendioxid und Feinstaub aber länger in der Luft bleiben, stuft die Kommission die NOx-Gefahr ab.
Feinstaub sind Mikro-Partikel, die über die Atemwege bis in die Lunge gelangen können. Spätfolgen können Herzinfarkt oder Schlaganfall sein. Hauptquellen sind Ammoniak aus der Landwirtschaft, Rauch- und Rußpartikel aus Verbrennungsanlagen wie Kaminen und andere Mikroteile. "Allein durch den Straßenverkehr gelangen pro Jahr rund 150.000 Tonnen Gummiabrieb in die Umwelt", sagt Kommissions-Mitglied Manfred Hennecke, ehemaliger Chef der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM).