"Wenn man Montgomery hörte, fragt man sich: Warum soll ich mich impfen lassen?"
Von Klaus Welzel
Heidelberg. Zweimal die Woche steht Hans-Georg Kräusslich, Chef-Virologe am Heidelberger Universitätsklinikum im Corona-Podcast der RNZ Rede und Antwort.
Prof. Kräusslich, wie war das Osterwochenende in der Klinik? Gab es deutlich mehr Patienten?
Nein, über das Osterwochenende hat sich das nicht signifikant verändert. Wir haben heute etwas weniger Patienten als bei unserem letzten Gespräch, aber das ist noch nicht so deutlich, als dass man daraus bereits einen sicheren Trend ableiten könnte.
Befinden wir uns folglich auf einem Plateau oder flacht die Kurve bei den Neuinfektionen deutlich ab?
Die Kurve der Neuinfektionen ist deutlich abgesunken. Bereits seit circa zehn Tagen sehen wir einen Rückgang der Neuinfektionen und das macht sich jetzt auch allmählich in der Klinik bei den Neuaufnahmen bemerkbar.
Vorletzte Woche sagten Sie, bisher sei in Heidelberg niemand vom medizinischen Personal durch Patienten angesteckt worden – gilt das weiterhin?
Nein, wir haben inzwischen Infektionen beim Personal, die vermutlich auf die Tätigkeit in der Klinik zurückgehen, auch wenn das formal nicht bewiesen ist. Wir gehen aber davon aus, dass einzelne Infektionen von Patienten auf das Personal übergegangen sind. Zum Glück sind das bisher nur wenige Fälle.
Immer wieder wird argumentiert, Covid-19 sei auch nur eine Art Grippe, die Zahl der Todesfälle gar nicht so dramatisch. Wenn man aber das Krankheitsbild betrachtet, müssen erschreckend viele Patienten gleichzeitig auf die Intensivstationen. Stimmt das?
Es ist sicher so, dass eine Pandemie als Welle mit einer gewissen Gleichzeitigkeit auftritt. Das ist für einen neuen Erreger zu erwarten und eben auch, dass dann gleichzeitig viele schwere Erkrankungen auftreten können. Die Verläufe sind jedoch sehr unterschiedlich. Oft ähneln die Symptomen einer Grippe aber es können auch weitere Organe betroffen sein. Da gibt es also durchaus Unterschiede und bei Covid-19 sind nicht nur die Atemwege betroffen.
Angeblich soll die Dunkelziffer bei den Infektionen sehr hoch sein, wie wichtig ist das für Sie als Virologen?
Für die Frage der Lockerungen der Schutzmaßnahmen ist dies durchaus von Bedeutung. Wenn wir wüssten, wie viele Personen den Erreger schon hatten, ohne das zu wissen – das wäre die Dunkelziffer –, könnten wir sagen, ob schon eine gewisse Immunität in der Bevölkerung besteht. Und wenn die Dunkelziffer hoch wäre, würde dies darauf hindeuten, dass der Anteil schwerer und tödlicher Verläufe geringer ist als angenommen. Andererseits hilft uns die Kenntnis der Dunkelziffer für die unmittelbare Behandlung nichts.
Zum Thema Lockerungen: Sie plädierten vergangene Woche dafür, in den Schulen die oberen Jahrgänge zuerst wieder zu unterrichten. Jetzt sagt die Leopoldina, nein, es sei besser, erst die jüngeren Jahrgänge zu unterrichten.
Es ist wirklich eine schwierige Frage. Die Leopoldina betont, dass in der jüngeren Altersgruppe die Bedeutung des Lernens, des gemeinsamen Lernens, wichtig ist – das ist sicher so. Weil aber die Hygienemaßnahmen wie Abstand halten und Mundschutz tragen, bei jüngeren Kindern viel schwerer einzuhalten sind, wäre es aus meiner Sicht besser, z.B. bei den Prüfungsjahrgängen zu beginnen: Vierte Klasse Grundschule, Hauptschulabschluss, Mittlere Reife, Abiturjahrgänge. Die ersten und zweiten Klassen würde ich da eher nicht an den Anfang stellen.
Sie sind seit einigen Tagen auch Berater von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Sachen Corona: Was interessiert denn den Regierungschef am meisten an diesem Thema?
Die Aufgaben, die wir in dem kleinen Beratergremium haben, sind die, die wir auch hier ansprechen: Wie gehen wir mit Kindergärten um? Was ist generell zu erwarten für den Verlauf der Epidemie, wenn wir diese oder jene Maßnahme ergreifen? Wie verfahren wir zukünftig mit Tests? Wie sieht es mit den Notkapazitäten aus? Das ist eine offene Diskussion im Austausch mit dem Ministerpräsidenten und dem Chef der Staatskanzlei.
Zum Schluss eine ganz praktische Frage: Am Wochenende tauchte eine "Studie" auf, die davor warnte, wenn Jogger nur eineinhalb Meter Abstand zu anderen Menschen hielten; die Coronaviren könnten diese Distanz locker überwinden. Ist das wieder eines von den vielen Gerüchten – oder ist da etwas dran?
Dass ein Jogger, wenn er hustet oder niesen muss, auch Coronaviren ausscheiden kann, ist klar. Es heißt aber, die Tröpfchen könnten auch bis zu 20 Meter fliegen, das halte ich für wenig realistisch. Diese Studie stammt von einem belgischen Ingenieur, der sich mit Radrenen und Strömungen beschäftigt, und der modelliert hat, wie weit Tröpfen theoretisch fliegen könnten. Insofern scheint mir dies eine sehr theoretische Situation, die wenig mit der praktischen Wirklichkeit zu tun hat. Wir empfehlen generell, dass man eineinhalb bis zwei Meter Abstand halten soll – also auch beim Joggen.
Info: Alle Folgen dieses Podcasts gibt es auf www.rnz.de/corona-podcast.