Von Klaus Welzel
Heidelberg. Hans-Georg Kräusslich analysiert seit Ende März die Coronalage für die Rhein-Neckar-Zeitung.
Prof. Kräusslich, vor einer Woche hieß es abwarten – kann man denn heute sagen, der Lockdown light hat die Trendwende nicht geschafft?
Zielsetzung war es, einen deutlichen Rückgang der Neuinfektionen zu erreichen. Fast drei Wochen nach Beginn der Maßnahmen sehen wir aber keinen deutlichen Abfall, sondern eine Seitwärtsbewegung. Es ist also klar, dass das eigentliche Ziel nicht erreicht worden ist. Hinzukommt, dass die Kurve der Neuinfektionen schon vor Beginn der Maßnahmen abflachte, vermutlich weil die Menschen bereits zuvor ihr Verhalten geändert haben. Alles in allem war der Effekt der Maßnahmen vom 2. November nicht ausreichend – leider.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 28: Wie sinnvoll sind regionale Lockdowns?
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Lydia Dartsch
Wir beobachten seit einiger Zeit die Kapazitäten der Intensivbetten. Im Rhein-Neckar-Kreis sind die Kapazitäten bald ausgeschöpft – beunruhigt Sie das?
Es ist natürlich beunruhigend, wenn pandemiebedingt zunehmend mehr Intensivbetten für diese Patienten benötigt werden. Im Moment ist das im Rhein-Neckar-Kreis noch steuerbar. Wir machen ja eine regelmäßige Bestandsaufnahme gemeinsam mit den Ärztlichen Direktoren der Krankenhäuser der Region und schätzen auf der Grundlage des Infektionsgeschehens, wie sich die Situation entwickeln könnte; aktuell scheint es noch beherrschbar, aber die Projektion geht nicht über die nächsten fünf bis sieben Tage hinaus.
Stand Freitagmorgen sind im Rhein-Neckar-Kreis noch vier Betten frei, dann müsste also verlegt werden, sobald diese vier auch benötigt werden?
Es werden aber auch wieder Intensivbetten frei. Nach Operationen ist der Aufenthalt auf der Intensivstation in der Regel ja kurz.
Ein paar Fragen zu den Verhaltensweisen der Menschen: Es gibt immer Beschwerde über überfüllte Busse, wenig Abstand in Bahnen. Sehen Sie hier Regelungsbedarf?
Ich finde schon, dass es sinnvoll wäre, während der Ballungszeiten mehr Busse beziehungsweise Bahnen einzusetzen, wo das möglich ist. Ich weiß auch, dass in manchen Schulen in Baden-Württemberg der Schulbeginn von 7.45 bis 8.30 gestaffelt wurde, um eine Entzerrung zu erreichen. Solche Maßnahmen halte ich für sinnvoll.
Bisher heißt es immer wieder Schulen seien kein Hotspot, eine Hamburger Studie bestätigt das. Haben Sie eine Idee, weshalb Schüler sich seltener infizieren?
Für mich stellt sich die Datenlage so dar: Jüngere Kinder unter 10 Jahren sind seltener infiziert, noch deutlicher für Kinder unter 5 Jahren. Die Altersgruppe der Zehn- bis Zwanzigjährigen scheint sich dagegen nicht von etwas älteren Jahrgängen zu unterscheiden.
Bundesweit tobt eine Debatte, ob man Schulklassen nicht besser teilen sollte – quasi, um auf Nummer sicher zu gehen. Wie stehen Sie zu dem Vorschlag?
Man muss die Gesamtperspektive im Blick behalten. Man reduziert die Kontakte in der Schule, aber zuhause haben die Kinder und Jugendlichen auch Kontakte. Ob sie dort genauso vorbildliche Verhaltensweisen zeigen, wie in den meisten Schulen praktiziert, bleibt offen. Ich zweifle daran, dass dies epidemiologisch besser wäre, als wenn die Schüler weiterhin zur Schule gehen.
Wir sprachen letzte Woche auch über den mRNA-Impfstoff, am Donnerstag wies das Paul-Ehrlich-Institut Kritiker in die Schranken, die behauptete, dieser Impfstoff könne das Erbgut verändern. Ist das Ihrer Meinung nach wirklich vollkommen ausgeschlossen?
Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage, wie ein mRNA-Impfstoff eine Veränderung der DNA auslösen könnte. Kategorisch auszuschließen, dass etwas möglich ist, wäre aber auch unwissenschaftlich. Um das Erbgut zu verändern, müsste die mRNA jedoch in die DNA eingebaut werden – und dafür gibt es in unseren Zellen keinen Mechanismus. Insofern erscheint mir diese Diskussion nicht sinnvoll.
Sind Sie zuversichtlich, dass wir schon im Dezember einen ersten Impfstoff zur Verfügung haben werden?
Biontech/Pfizer haben die Notfallzulassung in den USA beantragt, ich gehe davon aus, dass Moderna in Kürze folgen wird und auch die Zulassung in Europa in Kürze beantragt wird. Auf der Grundlage der Mitteilungen beider Firmen gehe ich davon aus, dass die Notfallzulassung voraussichtlich erteilt werden wird; das kann noch im Dezember erfolgen oder Anfang Januar. Dann haben wir aber noch keine großen Impfstoffmengen, das heißt, es werden zunächst nur wenige geimpft werden können, für die breite Bevölkerung haben wir den Impfstoff dann noch nicht zur Verfügung.
Abschließend: Haben Sie eine Idee, wie in diesem Jahr die Weihnachtsgottesdienste pandemiegerecht gestaltet werden?
Wirklich pandemiegerecht wären sie im Internet; also eine Predigt über Videoübertragung oder im Fernsehen. Wir wissen im Moment nicht, wie sich die Infektionszahlen bis Weihnachten entwickeln werden. Angesichts der aktuellen Zahlen sehe ich aber nicht wirklich, wie man in einem voll besetzten Gotteshaus Weihnachten feiern und Weihnachtslieder singen kann, ohne die Gefahr zahlreiche weitere Infektionen auszulösen. Vielleicht kann man Gottesdienst mit Abstandsregelung und Maskenpflicht abhalten, auch dann würde ich auf den gemeinsamen Gesang verzichten. Einen normalen Weihnachtsgottesdienst, wie wir ihn kennen, sehe ich für dieses Jahr nicht. Sehr wohl aber im nächsten Jahr.