Von Klaus Welzel
Heidelberg. Seit März gibt Hans-Georg Kräusslich, Dekan der Medizinischen Fakultät, Auskunft über die Corona-Entwicklung in der Region. Seine geringste Sorge: Dass vielleicht kein Impfstoff entwickelt werden kann.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 25: Die Notwendigkeit des Lockdowns
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Reinhard Lask
Prof. Kräusslich, kommende Woche müssen alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen schließen – gehen Sie da in dieser Woche noch einmal schnell essen?
Nein, sicher nicht. Ich bin allerdings auch in den vergangenen Wochen nicht auswärts zum Essen gegangen. Dies tue ich generell nicht sehr oft, insofern war es keine besondere Herausforderung. Ich werde jetzt öfter etwas aus einem Restaurant bestellen. Aber kurz vor den neuen Einschränkungen schnell noch etwas zu tun, nur weil es gerade noch erlaubt ist, würde komplett ignorieren, dass es einen Grund für diese Einschränkungen gibt.
Sie haben bereits im letzten Podcast gesagt, Veranstaltungen solle man besser meiden. Haben Sie vor einer Woche noch damit gerechnet, ein zweiter Lockdown zwingend sein wird?
Ob etwas zwingend ist, kann man kaum beantworten, das ist auch nicht meine Aufgabe. Aber es war letzte Woche absehbar, dass die Zahlen schnell weiter steigen werden. Und aus den Diskussionen zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern war zu erwarten, dass weitergehende Maßnahmen kommen werden.
Auch der Lockdown wirkt nur auf Zeit, seine Effekte verpuffen wieder, wie wir es ja auch nach dem ersten Lockdown erlebt haben. Bedeutet das, dass wir immer wieder Lockdowns haben werden?
Auch dies ist im Moment schwer zu beantworten. Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr blieben die Zahlen im Sommer länger niedrig, weil eben Sommer war. Zum Herbst haben wir jetzt einen erneuten Anstieg, der aber kein sogenannter Rebound der ersten Welle ist. Nach den Sommerferien gab es vielmehr eine erhebliche Zahl reisebedingter Infektionen und dann ging es durch Veranstaltungen in die breitere Bevölkerung und zur aktuellen diffuseren Ausbreitung.
Nur wie geht es jetzt weiter?
Aktuell gibt es sehr viele und weiter steigende Infektionen. Sollten nach den jetzt beschlossenen Maßnahmen die Zahlen Mitte November wieder heruntergehen, könnte man Infektionsketten wieder nachverfolgen. Wir können aber aktuell nicht vorhersagen, ob dies hinreichend sein wird, die Fallzahlen längerfristig niedrig zu halten; natürlich ist dies das Ziel, aber vielleicht geht es auch wieder hoch.
Die strengen Maßnahmen wurden beschlossen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Wo stehen wir denn heute?
Es gibt derzeit ausreichend Intensivbetten, beim Pflegepersonal wird es eher knapp. In bestimmten Regionen und Kliniken bestehen bereits jetzt Probleme, die aber im Moment noch sehr gut aufgefangen werden können. Bei zunehmender Anzahl der Infektionen von älteren und Risikopatienten könnte das aber deutlich schwieriger werden. Wir hatten vor Kurzem noch 200, 300 oder 400 Patienten bundesweit mit Corona auf Intensivstationen, inzwischen sind es 1500 und weiter steigend. Und was jetzt passiert, wird erst in einigen Woche in den Kliniken wirksam; wir versuchen also auf einen möglichen zukünftigen Notstand vorab so zu reagieren, dass dieser gar nicht erst eintritt.
Dann beruhigt Sie also dieser Lockdown an dieser Stelle?
Wirklich beruhigt bin ich nicht. Wir müssen auch noch über einen weiteren Punkt reden, nämlich das medizinische Personal. Bei stark steigenden Infektionszahlen, werden sich auch mehr Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern anstecken oder in Quarantäne gehen müssen. Und dann fehlt das Personal zur medizinischen Betreuung. Insofern stehen wir vor einem Problem von zwei Seiten, wenn einerseits mehr Corona-Patienten versorgt werden müssten, andererseits weniger medizinisches Personal verfügbar wäre. Und Letzteres wäre natürlich über Corona hinaus für die gesamte medizinische Versorgung bedeutsam.
Um hier anzuknüpfen: Was unternehmen Sie am Universitätsklinikum, damit sich Patienten nicht mit Corona infizieren?
Wir achten strikt auf alle Regeln und testen alle Patienten bei Aufnahme. Das Universitätsklinikum ist mit Sicherheit einer der Orte in Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis, wo man am wenigsten Gefahr läuft, sich mit Corona zu infizieren. Jeder, der eine Behandlung benötigt, sollte also in die Klinik kommen.
Wie sieht es in den Wartebereichen aus – stehen dort auch jedem Patienten, wie in Geschäften, zehn Quadratmeter zur Verfügung?
Wir bemühen uns, die Regeln in allen Wartebereichen bestmöglich einzuhalten. Wir versuchen das über die zulässige Zahl von Personen im jeweiligen Bereich zu regeln. Das machen wir auch sonst überall im Klinikum so. In meinem Institut steht an jedem gemeinschaftlich genutzten Raum eine Zahl, wie viele Personen sich dort aufhalten dürfen. Wenn ich sehen sollte, dass dies nicht eingehalten, spreche ich es an. Das gilt für das Klinikum insgesamt inklusive der Lehr- und Forschungsbereiche.
Es gibt auch Virologen und Ärzte, die den neuerlichen Teillockdown für falsch halten. Weder seien Restaurants noch Theater die Treiber der Pandemie. Wie sehen Sie das?
Es stimmt, dass nach aktuellem Stand Übertragungen in Theatern selten sind. Die Daten betreffen aber vor allem den Zeitraum, in dem die Neuinfektionen noch relativ niedrig waren. Jetzt, wo die Zahlen binnen kurzer Zeit auf 16000 und mehr Infektionen pro Tag gestiegen sind, könnte dies anders sein, insofern ist das nur eine halbe Entwarnung. Es ist sehr verständlich, dass es eine kontroverse Diskussion gibt, welche Maßnahmen gerechtfertigt sind und welche nicht. Hier werden wir wohl nie zu einer einvernehmlichen Bewertung von allen Seiten kommen. Würde man zum Beispiel großen und gut belüfteten Theatern den Betrieb erlauben, kleinen Theatern mit verwinkelten Räumen aber nicht, dann ist auch das ein Problem. Die Diskussion, der eine darf, der andere aber nicht und die Diskussion, wenn ich das nicht darf, dann darf es der andere auch nicht – diese Diskussion ist zwar menschlich verständlich, führt aber leider zu nichts.
Der Schulbetrieb läuft weiter, weil …
Die Politik hat entschieden, die Kitas und Schulen offenzulassen. Natürlich gibt es auch dort Infektionen, aber die Erkrankung verläuft milder, es gibt selten schwere Verläufe und Schulen sind bisher kaum als große Ausbreitungsherde aufgetreten. Vor allem wird jedoch der Bildung von Kindern und Jugendlichen ein so zentraler Wert zugemessen, dass wir ein gewisses Risiko zu tragen bereit sind. Derartige Bewertungen könnte man auch auf andere Bereiche anwenden, man muss aber rationale und vergleichbare Maßstäbe anlegen. Wenn wir zum Beispiel alle Profi-Fußballer testen und gleichzeitig sagen würden, es gäbe zu wenig Testkapazitäten für die Kulturschaffenden, dann hätte ich dazu eine klare Meinung. Aber das ist nicht die Diskussion, die aktuell geführt wird.
Es geht im Grunde auch nicht um die nächsten vier Wochen, es geht um die Perspektive: Finden wir überhaupt einen Impfstoff, wann finden wir ihn und was, wenn nicht?
Sollten wir keinen Impfstoff bekommen, werden wir noch eine längere Zeit mit der Verbreitung des Erregers zu tun haben. Pandemien gab es schon lange vor den ersten Impfstoffen – auch sie haben irgendwann geendet, wenn auch nach unterschiedlich langen Zeiträumen. Aber es gibt schon jetzt eine Menge Daten zu ganz unterschiedlichen Impfstoffen und die bisherigen Ergebnisse sprechen dafür, dass es möglich sein wird, Immunität zu erzeugen. Wie gut diese Immunität sein wird, können wir noch nicht sagen. Schützt der Impfstoff dann 90 Prozent der Geimpften oder nur 50 Prozent? Auch die Frage, wie lange dieser Schutz anhält, ist offen. Natürlich kann man die Frage stellen, was denn wäre, wenn es gar keinen Impfstoff geben wird. Ich halte dies aber für so unwahrscheinlich, dass ich mich mit dieser Frage aktuell nicht beschäftige (lacht).