Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wurden Anfang Dezember auf dem Berliner Parteitag zum neuen Vorsitzenden-Duo der SPD gewählt.
Frau Esken, Herr Walter-Borjans, Sie sind seit knapp drei Wochen im Amt als SPD-Vorsitzende. Wie war ihr Start?
Esken: Ziemlich rasant. Zwischen dem Ergebnis des Mitglieder-Votums und dem Bundesparteitag waren nur wenige Tage Zeit: Da gab es kein Durchschnaufen. Jetzt sind wir aber im Willy-Brandt-Haus angekommen und die Arbeit kann richtig losgehen.
Walter-Borjans: Wir haben schnell mit den SPD-Bundesministern und den Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion das Gespräch gesucht und eine gemeinsame Linie definiert. Was früher einmal mit 100 Tagen Schonzeit beschrieben worden ist, galt für uns nicht mal für 100 Minuten. Der Druck ist groß. Aber damit kommen wir gut klar.
Glaubt man den Umfragen, traut ihnen die Mehrheit der Deutschen den Job gar nicht zu. Fühlen Sie sich unterschätzt?
Walter-Borjans: Was wir tatsächlich durchsetzen und auf den Weg bringen, lässt sich nun mal nicht in wenigen Tagen zeigen. Ein paar Akzente haben wir aber schon jetzt deutlich machen können.
Esken: Viele Menschen kennen uns noch nicht und können noch nicht einschätzen, was sie uns zutrauen oder was nicht. Das ist einfach etwas anderes, als wenn wir schon seit Jahrzehnten auf der bundespolitischen Bühne unterwegs gewesen wären. Ich glaube aber, dass gerade darin eine große Chance liegt – die Mitglieder der SPD haben das zumindest mehrheitlich so gesehen.
Wie wollen Sie die SPD aus der Krise führen und verhindern, dass ihnen ein ähnliches Schicksal droht, wie anderen Sozialdemokraten in Europa?
Walter-Borjans: Wir müssen wieder das ausstrahlen, was Menschen von der Sozialdemokratie erwarten. Es geht dabei um Gerechtigkeit und Solidarität, um neue Zuversicht in die Zukunft. Viele Menschen haben Ängste und Sorgen. Und die SPD muss wieder die politische Kraft sein, die sich dieser Probleme und Sorgen annimmt und den Leuten den Weg in eine positive Zukunft aufzeigt.
Esken: In der Großen Koalition hat die SPD ihre Positionen nicht glaubwürdig vertreten können, auch weil die Union an vielen Stellen auf die Bremse steht. Davor gab es eine Zeit, in der die Politik der SPD sozialdemokratische Grundhaltungen selbst infrage gestellt hat. Viele Menschen wissen deshalb gar nicht mehr, wofür die SPD eigentlich steht. Das müssen wir ändern. Wir müssen wieder erkennbar und glaubwürdig für eine solidarische Gesellschaft und für einen handlungsfähigen Staat stehen, die gemeinsam eine gerechte Zukunft gestalten. Und das müssen wir im täglichen Regierungshandeln zeigen, aber auch als eigenständige politische Kraft und Gestaltungsmacht auftreten. Bei unserem Bundesparteitag haben wir genau das getan, indem wir abseits von der aktuellen Regierung wieder ganz klar definiert haben, für was die SPD steht – ohne Schere im Kopf, ohne den Kompromiss mit der Union schon mitzudenken.
Warum wird die SPD heute noch gebraucht?
Esken: Die SPD wurde gegründet, um die erste industrielle Revolution, die die Gesellschaft damals auf den Kopf gestellt hat, so zu gestalten, dass sie den Menschen dient. Sie war die starke Stimme derer, die eigentlich keine eigene Stimme hatten. Die SPD erkämpfte damals Rechte, die heute nicht mehr wegzudenken sind. Ohne die SPD gäbe es keine Arbeitnehmerrechte, gäbe es keine starken Gewerkschaften. Das ist unsere Geschichte und unser Auftrag. Denn heute befinden wir uns wieder inmitten einer großen Umwälzung, der Digitalisierung. Und die SPD ist bereit, denjenigen eine Stimme zu geben, die mit den neuen Entwicklungen zu kämpfen haben. Wir wollen den Wandel für und mit den Menschen positiv gestalten.
Walter-Borjans: Dazu kommt, dass der Wohlstand, den wir erarbeiten, immer ungleicher verteilt wird. Das gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt, der als Grundlage für sozialen Frieden in der Gesellschaft aber erhalten und wieder gestärkt werden muss. Aufstieg darf nicht nur eine Sache des Portemonnaies der Eltern sein. Und bei Investitionen zum Beispiel in den Klimaschutz gilt es, darauf zu achten, dass nicht die Pendler, Rentner, die einfachen Leute die Lasten tragen. Es muss gerecht zugehen, der Wohlstand muss vielen, möglichst allen zugutekommen. Das macht die Sozialdemokratie notwendiger denn je.
Der Unternehmer Hasso Plattner hat angekündigt, Deutschland zu verlassen, sollten die SPD-Pläne zur Einführung einer Vermögensteuer umgesetzt werden. Werden die Sozialdemokraten zum Unternehmerschreck?
Walter-Borjans: Ich kenne Vermögende, Vorstände von großen Unternehmen und Mittelständler, die sich für eine Vermögensteuer auf große Vermögen aussprechen. Es gibt aber auch diejenigen, die meinen, wenn sich jeder der Nächste ist, ist an alle gedacht. Das nützt aber am Ende niemandem.
Wie sehen Ihre Pläne für eine Vermögensteuer konkret aus?
Walter-Borjans: Schon die Vermögensteuer, die 1997 ausgesetzt worden ist, hat selbst Menschen mit höheren Einkommen nie etwas abverlangt. Es ging immer um richtig hohe Vermögen. Nach unseren Plänen sollen Vermögen bis zwei Millionen Euro steuerfrei bleiben. Bei höheren Vermögen soll es nur einen geringen Steuersatz von 1 bis 1,5 Prozent geben. Davon wäre nur ein Prozent der Bevölkerung betroffen. CDU und CSU wollen die oberen Einkommensschichten weiter entlasten. Wir wollen die wirklichen Durchschnittsverdiener entlasten: Erzieherinnen, Pflegerinnen, Paketboten und Polizisten. Sie gehören doch wohl auch zu den Leistungsträgern und sie brauchen das. Wir müssen wieder dazu kommen, dass die höchsten Einkommen und Vermögen auch prozentual den größten Anteil von ihrem Einkommen beisteuern. Das ist definitiv nicht mehr der Fall. Das müssen wir korrigieren.
Die Union fordert eine Unternehmensteuerreform. Sind solche Entlastungen für die Wirtschaft mit der SPD zu machen?
Esken: Die Konjunktur kühlt ab. Wir haben immer gesagt, dass wir die Binnenkonjunktur anregen müssen, durch öffentliche Investitionen und durch bessere Löhne im Niedriglohnsektor. Dann können wir auch etwas für die Unternehmen tun. Eine solche steuerliche Entlastung muss aber ausgeglichen werden und darf dabei nicht auf Kosten derer gehen, die ohnehin wenig haben. Das muss auf der richtigen Seite kompensiert werden.
Warum wollen Sie die Schwarze Null aufgeben und zur Politik der Neuverschuldung zurück?
Walter-Borjans: Wir wollen kein Investieren nach Kassenlage. Wenn die finanzielle Situation so ist, dass wir investieren können, ohne dafür Kredite aufnehmen zu müssen, werden wir doch nicht verlangen, das zu tun. Es geht nicht darum, die Schwarze Null um jeden Preis aufzugeben. Sie ist aber auch keine heilige Kuh. Der Investitionsbedarf ist in Deutschland extrem hoch. Wir brauchen aber eine verlässliche Planungsgrundlage, zum Beispiel für die Bauwirtschaft. Wenn sich die Kassenlage verschlechtert, dürfen wir nicht wieder aufhören, zu investieren. Wir müssen mehr gegen marode Straßen, kaputte Schulen und ein rückständiges Mobilfunknetz tun. In Zeiten von Null-Zinsen dürfen wir dann nicht dringend notwendige Investitionen in die Zukunft verschieben. Da ist es bei Bedarf auch richtig, das auch mit Krediten zu finanzieren. Das müssen wir schnell angehen und können angesichts des Verfalls der Infrastruktur nicht noch länger warten.
Esken: Es wäre dringend notwendig, das Investitionsprogramm in Höhe von 45 Milliarden Euro pro Jahr noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen. Eine marode Infrastruktur ist auch eine soziale Frage.
Sie wollen Wochenendarbeit begrenzen. Ist das angesichts einer immer flexibleren Arbeitswelt und der Digitalisierung wirklich der richtige Schritt?
Walter-Borjans: Es gibt an vielen Stellen die Notwendigkeit, am Wochenende zu arbeiten. Im Moment erleben wir aber, dass sich die Technik quasi den Menschen zu eigen macht, auch weil wir alle zu wenig darüber nachdenken. Da spielen Ruhezeiten und Privatleben keine Rolle mehr. Das müssen wir ändern und die Arbeitszeiten am Wochenende begrenzen. Gleichzeitig wollen wir mehr Flexibilität für Arbeitnehmer. Die Digitalisierung darf nicht nur den Arbeitgebern nutzen. Daher fordern wir ein Recht auf Homeoffice, aber auch ein Recht auf Nichterreichbarkeit.
Rechtsextremismus und Antisemitismus nehmen in Deutschland immer mehr zu. Wie lässt sich diese Entwicklung wirksam bekämpfen?
Esken: Das ist kein neues Phänomen. Es gibt in Deutschland manifeste rechtsextreme Strukturen. Der Kasseler Regierungspräsident und CDU-Politiker Walter Lübcke ist von einem Rechtsextremen ermordet worden, nachdem er sich Jahre zuvor in Thüringen mit rechten Strukturen angelegt hatte. In Halle haben wir einen rechten Anschlag auf eine jüdische Synagoge erlebt, begangen durch einen jungen Mann, der offenbar schon im Elternhaus antisemitische Grundhaltungen kennengelernt hat. Rechtsextremismus und Antisemitismus sind ernsthafte Bedrohungen für unsere Gesellschaft und Demokratie.
Walter-Borjans: Wir sind alle gefordert, entschlossen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus vorzugehen. Als SPD haben wir einen klaren 7-Punkte-Plan gegen Rechts beschlossen. Zum Beispiel wollen wir eine systematische Erfassung rechtsextremistischer Gefährder, wir wollen Rechtsextremisten entwaffnen, aber genauso wollen wir endlich ein Demokratiefördergesetz.
US-Präsident Donald Trump hat Sanktionen gegen das Pipeline-Projekt 2 verhängt. Wie sollten Europa und die Bundesregierung darauf reagieren?
Walter-Borjans: Der amerikanische Präsident versucht, Europa wirtschaftlich zu unterwerfen. Das ist absolut indiskutabel. So geht man nicht miteinander um. Die USA haben bei Nord Stream 2 definitiv nicht mitzuentscheiden. Nord Stream 2 ist im Übrigen nur ein Strang der europäischen Energieversorgung und keine Verpflichtung, nur noch Gas aus Russland zu beziehen.
Esken: Diese brachiale Art und Weise, wie hier Politik gemacht wird, können wir so nicht akzeptieren. Dem US-Präsidenten und seinem Botschafter in Deutschland sollte deutlich gemacht werden, dass es sich hier um innere Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland handelt. Sonst wird dieses Negativbeispiel Schule machen.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lehnt ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen, wie es die SPD auf ihrem Parteitag beschlossen hat, weiterhin ab. Was spricht für eine solche Geschwindigkeitsbegrenzung?
Esken: Ein Tempolimit ist nicht nur gut für den Klimaschutz, sondern auch für die Nerven der Autofahrer und es dient der Sicherheit und dem Verkehrsfluss. Rund um Deutschland ist ein allgemeines Tempolimit der Normalfall und Deutsche auf Reisen machen gute Erfahrungen damit. Eine Mehrheit der Bürger ist bereits für die Einführung eines Tempolimits. Herr Scheuer stellt sich quer, auch um von seinem Maut-Debakel abzulenken, aber das lassen wir nicht gelten.
Der Bundestag hat die Einführung eines Tempolimits gerade mit klarer Mehrheit abgelehnt. Wie wollen Sie es dennoch einführen?
Walter-Borjans: Es gab keine Einigkeit in der Großen Koalition, weil CDU und CSU ein Tempolimit gegen die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ablehnen. Das bindet eine Koalition dann. Wir werden also weiter Gespräche führen müssen. Man darf sich aber auch vom Verhalten der Grünen nicht blenden lassen. Im Bundestag waren sie für ein Tempolimit, im Bundesrat haben sie dafür nicht die Hand gehoben. Also wir glauben, da ist noch Bewegung drin.