Leben mit Geschwistern

Enge Gefährten und erbitterte Rivalen in der Politik

Wenn Geschwister in die Politik gehen, bleibt es nicht immer harmonisch.

13.05.2022 UPDATE: 15.05.2022 06:00 Uhr 3 Minuten, 22 Sekunden
Die Brüder John, Robert und Edward Kennedy und ihre Schwester Jean. Die Familiendynastie der Kennedys prägt bis heute die US-Politik mit. Foto: picture alliance/dpa

Von Daniel Bräuer

> Hans-Jochen und Bernhard Vogel: Als Bernhard Vogel, Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft in Heidelberg, beschließt, 1963 für die CDU zum Gemeinderat zu kandidieren, gratuliert ihm sein großer Bruder zu dem Entschluss. Praktische Verantwortung statt Theorie! Und: "Dass Du anderen politischen Auffassungen huldigst als ich, soll unsere Freundschaft nicht stören. Wer es mit der Demokratie ernst meint, wird auch das zu ertragen wissen." Hans-Jochen ist da seit drei Jahren Oberbürgermeister in München – für die SPD. Die beiden Vogels sind vom christlichen Elternhaus geprägt, den älteren (Jg. 1926) zieht es nach dem Krieg unter anderem wegen Kurt Schumacher in die SPD, der jüngere (Jg. 1932) begeistert sich für Adenauer und geht in die Union. Beide werden das Land prägen.

Rot-schwarzes Duo: Hans-Jochen (1926-2020) und Bernhard (*1932) Vogel. Foto: picture-alliance/ dpa

Hans-Jochen wird Bundesjustizminister in RAF-Zeiten, SPD-Fraktions- und Parteichef, 1987 Kanzlerkandidat – und der einzige Bürgermeister zweier Millionenstädte (für wenige Monate regiert er 1981 Berlin). Bernhard ist während der 68er-Bewegung Chef der Kultusministerkonferenz, wird nach Helmut Kohl Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz (1976 bis 1988) und der bislang einzige Politiker, der zwei Bundesländer regierte (in Thüringen von 1992 bis 2003).

Politisch kreuzen sich ihre Wege dabei fast nie, nur kurz gehören sie zeitgleich dem Bundesrat an. Auch gemeinsame Auftritte meiden sie Jahrzehnte lang. Selbst in ihren gemeinsamen Memoiren ("Deutschland aus der Vogel-Perspektive") verzichten sie auf politischen Schlagabtausch, lassen Differenzen nur zwischen den Zeilen erkennen.

> Mario und Sebastian Czaja: Auch ihre Wege trennten sich: Der CDU-Generalsekretär (46) und sein Bruder (38) stammen aus dem Ostberliner Bezirk Mahlsdorf. Beide treten der CDU bei. Doch als Mitglied der Bezirksversammlung wechselte Sebastian zur FDP. Warum? Er begründete das mit der politischen Ausrichtung. Doch gab es auch Stimmen, dass er im Schatten des Bruders für sich keinen Weg in der CDU gesehen habe. Das damalige Zerwürfnis sei überwunden, sagte Mario 2009 der "taz". Und privat unterhalte man sich nie über Politik. Über ihr heutiges Verhältnis wollten sie sich kurz vor den wichtigen NRW-Wahlen auf Anfrage nicht äußeren. Im Berliner Abgeordnetenhaus, in dem sie mehrere Jahre beide saßen, ist Sebastian heute FDP-Fraktionschef. Mario, als Sozialsenator im Flüchtlingsjahr 2015 bekannt geworden, zog 2021 in den Bundestag weiter.

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Mario (l.) und Sebastian Czaja 2017 im Berliner Abgeordnetenhaus. Foto: picture alliance / Paul Zinken/dpa

>  David und Ed Miliband: Zerwürfnisse kann es auch in der gleichen Partei geben – oder gerade da. Vier Jahre trennen die Milibands, zwei Söhne jüdischer Flüchtlinge. Lange gleichen sich ihre Lebensläufe. Oxford. Labour. Parlament. Kabinett. Als Ed 2005 ins Unterhaus einzieht, mal wieder vier Jahre nach David, ist der bereits Minister, gilt bald als möglicher Nachfolger für Premier Gordon Brown. Doch dann greift 2010 der kleine Bruder nach dem Parteivorsitz – und schlägt David in einer Kampfabstimmung, minimal. Das Familientrauma ist perfekt, das Verhältnis zerstört. David verlässt die Politik und zieht nach New York. Als Ed 2015 die Wahl in den Sand setzt, macht David keinen Hehl daraus, dass es mit ihm anders gelaufen wäre.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Ed (l.) und David Miliband als Kabinettsmitglieder 2007. Foto: picture alliance / dpa

> Lech und Jaroslaw Kaczynski: In ihrer Kindheit treiben die Zwillingsbrüder als Filmduo "Jacek und Placek" in einem Dorf Schabernack. Ab 2001 gehen sie ganz real halb Europa auf die Nerven: Die einstigen Weggefährten von Lech Walesa gründen die nationalkonservative Partei PiS, Recht und Ordnung, und steuern Polen auf Konfrontationskurs mit der EU: 2005 wird Lech Präsident, 2006 macht er seinen Bruder zum Premier. Die PiS-geführten Regierungen legen seither Polens Justiz und Medien an die Zügel. 2010 verunglückt Lech im russischen Smolensk. Jaroslaw wird lange überzeugt sein, dass der Absturz ein Anschlag war, lässt den Bruder gar exhumieren. Er führt die PiS bis heute als graue Eminenz.

Jaroslaw (l.) Kaczynski und sein später verunglückter Bruder Lech. Foto: picture-alliance/ dpa

> George W. und Jeb Bush: Was war das für eine denkwürdige US-Wahl 2000: Es gewinnt der Sohn eines Ex-Präsidenten, dank eines hauchdünnen Siegs im letzten Swing State, den sein eigener Bruder regierte. Vorausgegangen war eine epische juristische Schlacht um Floridas ungültige Stimmen und mehrere Neuauszählungen – bei der Gouverneur Jeb Bush im Hintergrund seinem Bruder George W. zur Seite stand. Der Wahlkrimi brachte zwei Brüder einander näher, die lange eher Konkurrenten waren: Der fleißige, belesene Jeb galt als der eigentliche politische Erbe des Vaters, doch verlor er seinen ersten Anlauf auf Florida 1994, während George W. in Texas überraschend gewann. 2016 warb W., nun Ex-Präsident, für seinen sieben Jahre jüngeren Bruder als Präsidentschaftskandidat. Aus dem Rennen gegen Trump stieg Jeb, nach heutigen Maßstäben ein moderater Neokonservativer, bald chancenlos aus.

Präsidentensöhne: George W. Bush, damals selbst US-Präsident, und Bruder Jeb. Foto: picture alliance / dpa

> John, Robert, Edward und Jean Kennedy: Auch in dieser US-Polit-Dynastie gibt es nicht nur innige Bruderliebe: Dass John F. als Präsident seinen Bruder und Berater "Bobby" zum Justizminister machte, soll ein Zugeständnis an ihren Vater gewesen sein. Fünf Jahre nach JFK wurde auch RFK von einem Attentäter erschossen – mitten im Vorwahlkampf 1968, den er womöglich gewonnen hätte. Doch die Dynastie ging weiter: Edward "Ted", jüngstes von neun Geschwistern, saß 47 Jahre lang bis zu seinem Tod im Jahr 2009 im Senat. Und mindestens eine Kennedy-Schwester hat politische Spuren hinterlassen: Als Mitglied von Johns Wahlkampfteam – und als US-Botschafterin in Irland unter Bill Clinton ab 1993. Dort trug Jean Kennedy Smith maßgeblich zum Waffenstillstand und schließlich zum Karfreitagsabkommen 1998 bei.

Schwester Jean Kennedy. Foto: picture alliance / dpa

> Fidel und Raúl Castro: Erbfolge auf kommunistische Art – 2008 übernimmt Raul Castro als Präsident Kubas, später auch als Parteichef von seinem älteren Bruder Fidel. Erst zehn Jahre später endet die Ära Castro. Fast vergessen: Der älteste Bruder Ramón war ebenfalls Gründungsmitglied der KP und wichtiger Landwirtschaftspolitiker, aber nie so prominent.

Fidel Castro (l.) übergab im hohen Alter die Macht in Kuba an seinen Bruder Raul. picture alliance / dpa
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