"Ein Untersuchungsausschuss wäre ein Fehler"
Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Der Heidelberger SPD-Politiker Lothar Binding (70; Foto: Henschel) ist finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Herr Binding, Sondersitzung des Finanzausschusses zur Wirecard-Affäre. Hat die Bundesregierung nicht genau hingeschaut und die Finanzaufsicht versagt?
In der Privatwirtschaft gab es jede Menge kriminelle Energie und Aktionen. Jetzt muss geklärt werden, wer dafür die Verantwortung trägt. Die Schuldigen sitzen nicht in der Regierung. Olaf Scholz hat ja bereits eine Übersicht darüber vorgelegt, welche Kontakte es zwischen dem Finanzministerium und der Aufsichtsbehörde Bafin gegeben hat, und einen Aktionsplan für eine Reform der Finanzaufsicht präsentiert. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier muss Klarheit schaffen, welche Informationen er wann über Wirecard hatte und wann und wie er aktiv geworden ist. Das wird sicher in der Sondersitzung des Finanzausschusses geschehen.
Es gibt Vorwürfe gegen die Bafin. Deren Chef Felix Hufeld soll das Parlament falsch informiert haben.
Die Bafin hat ziemlich lückenlos darüber informiert, was sie gemacht hat. Da gab es allerdings auch einen Fehler. BaFin-Chef Hufeld hat uns Abgeordneten gesagt, die BaFin habe die Polizei in Singapur kontaktiert. Tatsächlich hat die BaFin die Aufsichtsbehörde in Singapur kontaktiert, die dann die Polizei angesprochen hat. Und außerdem hat Herr Hufeld davon gesprochen, dass es keine Antwort aus Singapur gäbe - tatsächlich hätte er sagen müssen, dass es kein Ergebnis gab. Eine Antwort ohne Analyseergebnis. Nun wird dieser Versprecher total aufgebauscht - damit wird von den wahren Schuldigen abgelenkt.
Nicht nur die Opposition kritisiert den Bundesfinanzminister wegen mangelnder Kontrolle bei Wirecard und wirft ihm Versäumnisse vor. Auch die Union schießt sich auf ihn ein. Wie bewerten Sie das Verhalten des Koalitionspartners?
Im Moment sind alle etwas nervös. Man merkt auch, dass der Wahlkampf seine Schatten vorauswirft. Wenn die Union jetzt den Bundesfinanzminister angreift, will sie offenbar von der Verantwortung von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und des Kanzleramtes ablenken. Das ist ein sehr durchsichtiger Versuch und der falsche Weg. Die Union sollte sich nicht davonstehlen. Die Regierung trägt hier gemeinsam die Verantwortung. Das Parlament, insbesondere die Koalition müssen sich gemeinsam gegen die Kriminellen verbünden. Olaf Scholz hat vorgelegt. Peter Altmaier sollte jetzt auch liefern und seinen Beitrag leisten. Das gilt auch für das Kanzleramt und die Bayrische Landesregierung.
Die Kanzlerin hat noch im September 2019 in Peking für Wirecard geworben, obwohl es bereits Hinweise auf Betrug bei Wirecard gegeben hatte. Welche Verantwortung trägt Angela Merkel?
Auch hier gilt die Unschuldsvermutung. Damals war das Ausmaß des Wirecard-Skandals nicht klar. Vermutlich wollte sich die Kanzlerin nicht dem Vorwurf aussetzen, sie kümmere sich in China nicht um die Wirtschaftsförderung. Man muss auch die Frage nach der Rolle von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder stellen. Wirecard sitzt schließlich in Bayern. Was hat Söder für Wirecard gemacht? Jetzt geht es um die vollständige Aufklärung. Schnellschüsse sind da eher kontraproduktiv.
An einem Untersuchungsausschuss des Bundestages führt kein Weg vorbei, oder?
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschuss wäre ein Fehler. Das Parlament ist keine Staatsanwaltschaft. Die Verantwortung für die Aufklärung liegt vor allem bei der Justiz und nicht im politischen Raum.