Was hat das unter spektakulären Umständen an die Macht gekommene Vorsitzendenduo seither aber erreicht? Und wohin steuert die SPD unter ihrer Führung?
Vorgeschichte: Andrea Nahles löste am 2. Juni 2019 mit der Ankündigung ihres Rücktritts von der Parteispitze eine beispiellose Selbstbeschäftigung der SPD aus. Nach einer langen Deutschlandtour von zuletzt noch sechs Kandidatenduos stimmten 53 Prozent für die Bundestagsabgeordnete Esken und den früheren NRW-Finanzminister Walter-Borjans - nur 45 Prozent für die Brandenburgerin Klara Geywitz und Finanzminister Olaf Scholz. Nur 230 000 der 426 000 Mitglieder hatten sich an der Abstimmung beteiligt. Am 6. Dezember 2019 wurden Esken und Walter-Borjans dann auf einem SPD-Parteitag in Berlin zu den neuen Vorsitzenden gewählt.
Start: Am Anfang rumpelte es ziemlich. Esken und Walter-Borjans fehlte es an einem eigenen Team im Willy-Brandt-Haus und an einem klaren Plan. Weite Teile des Parteiestablishments beäugten argwöhnisch jeden Schritt. In der Öffentlichkeit dominierten kritische bis hämische Kommentare. Kopfschütteln riefen Esken und Walter-Borjans mit Interviews hervor. Mal forderten sie ein Tempolimit, mal eine neue Steuer auf Bodenspekulationen. Doch die beiden Neuen bewahrten sich durch ihren Erfolg an der Basis Selbstbewusstsein. Sie und die, die vorher schon wichtig waren in der SPD, Ministerpräsidenten, Fraktionsspitze, Minister, rauften sich zusammen - und schafften ein geräuschloses Miteinandern. Basta-Politik und internes Dauerhickhack war plötzlich gestern.
Versprechen: Mit vielem aus dem SPD-internen Wahlkampf und den ersten Tagen als Chefs konnten sich Esken und Walter-Borjans nicht durchsetzen. Vor allem ihre Groko-Kritik verebbte recht folgenlos. Gespräche mit der Union über Nachbesserungen am Koalitionskurs wollten sie führen - und sich dabei nicht aus Koalitionsdisziplin heraus schon vorher festlegen lassen. Allerdings ist eine Kernforderung Realität geworden. "Wenn die schwarze Null einer besseren Zukunft für unsere Kinder entgegensteht, dann ist sie falsch, dann muss sie weg", hatte Walter-Borjans gefordert. Mittlerweile hat auch die Union ihr jahrelanges Mantra aufgegeben, dass die Schuldenbremse heilig sei. Allerdings nicht, weil die SPD sie überzeugt hätte, sondern wegen der Corona-Krise, von der vor einem Jahr noch niemand etwas ahnte.
Inhaltliche Erfolge: Das SPD-Spitzenduo hält für sich zugute, dass viele wichtige Entscheidungen der vergangenen zwölf Monate im Koalitionsausschuss bei Kanzlerin Angela Merkel getroffen worden seien. Auch sie hätten das Gremium im Kanzleramt zu einem Motor für politische Beschlüsse gemacht - etwa beim Konjunkturpaket, bei der Absage einer Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor und einer Digitalisierungsinitiative Schule. Nicht unerwähnt lassen sollte man allerdings auch, dass Vizekanzler, Finanzminister und mittlerweile Kanzlerkandidat Olaf Scholz kein ganz unwesentliches Wörtchen mitredet, wenn es um den Kurs der SPD in der Gesundheits- und Wirtschaftskrise in Deutschland geht.
Erfolg beim Wähler: Vor einem Jahr wurde Esken gefragt: "Was sind denn die Ziele, die Sie bis Ende 2020 erreichen wollen?". Sie antwortete: "Zustimmungswerte für die SPD von 30 Prozent und vielleicht mehr." Heute liegt die SPD in Umfragen bei 15 bis 17 Prozent. Die Grünen bei 17 bis 21, die Union bei 34 bis 37 Prozent. Für den Bundestagswahlkampf setzt die SPD vor allem auf eine Frau: Angela Merkel. Oder besser gesagt darauf, dass die Unionswähler noch rechtzeitig erschrecken, wenn sie merken, dass es nach der Wahl im September 2021 tatsächlich Schluss ist mit der gefühlt ewigen, verlässlichen und beliebten Kanzlerin.
Aussichten: Die SPD will nach der Wahl keine große Koalition mehr - aber über ein rot-rot-grünes oder ein Ampelbündnis wird im Regierungsviertel derzeit viel seltener spekuliert als über Schwarz-Grün. Esken lässt sich dadurch nicht beirren. "Was mit CDU/CSU nicht zu verhandeln war, zeigt, wie dringend wir in Deutschland ein progressives Bündnis unter SPD-Führung brauchen", sagt sie. Esken nennt ein paar Punkte, etwa "mehr Respekt auf dem Arbeitsmarkt" oder den Abbau von Ungleichheiten im Land. Egal, ob man sich bei Ministern der Regierung oder maßgeblichen Leuten in den Fraktionen umhört, vernimmt man parteiübergreifend dieser Tage eines immer wieder: Wohl kaum war unmittelbar vor einer Bundestagswahl so unberechenbar, wie der Wahlkampf laufen wird, wie zur Corona-Weihnachtszeit dieses Mal.