Psychologin Anne Otto (49). Foto: zg
Von Benjamin Auber
Heidelberg. Anne Otto ist Journalistin und Psychologin und klärt in ihrem aktuellen Buch "Woher kommt der Hass?" über die psychologischen Ursachen von Rechtsruck und Rassismus auf.
Frau Otto, was zeigt der Angriff von Halle?
Wie der Täter schon selbst bestätigt hat, haben seine Taten einen rechtsextremen Hintergrund. Es liegt nahe, dass die gewalttätige und feindselige Stimmung, die momentan in unserer Gesellschaft herrscht, den Boden für solche Taten bereiten kann.
Woher kommen rechtsextreme Einstellungen in der Gesellschaft?
Sozialpsychologen messen schon seit 20 Jahren rechtsextreme Gesinnungen. Die latente Fremdenfeindlichkeit liegt je nach Studie bei 20 Prozent oder höher. Zu beobachten ist, dass sich dieses Phänomen immer deutlicher offen zeigt. Ein starker Wunsch nach Autoritäten ist doch sehr verbreitet. Autoritäre Aggression zeigt sich als eine Art psychische Dynamik, indem man unheimlich schnell zu Feindbildern greift und andere, die man für schwächer hält, abwertet.
Inwiefern sind Populisten daran schuld, dass sich Menschen rechtsextrem radikalisieren?
Das fremdenfeindliche Klima spitzt sich zu. Der Hass, der latent schwelt, kann sich ganz schnell Bahn brechen. Populisten sind nicht daran schuld, dass Menschen rechte Einstellungen haben. Erst war die Gesinnung, aber jetzt bieten die Populisten dazu etwas an. Im Angebot, andere abzuwerten, finden sich derzeit ziemlich viele Menschen wieder. Die Populisten wissen genau, dass psychische Faktoren eine Rolle spielen, dass Feindbilder dazu führen, dass Menschen sich aufgewertet fühlen.
Wie ist es möglich, dass sich ein Mensch derart radikalisiert?
Hass kann sich über Jahre und Jahrzehnte aufbauen. Wenn eine rassistische Ideologie dazukommt, kann es gefährlich werden. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen einander permanent bewerten. Hier gedeiht ein Boden für Abgrenzungs- und Abwertungs-Mechanismen, die bis zu einem bestimmten Punkt menschlich sind - aber nur dann unbedenklich bleiben, wenn man noch mitbekommt, dass man andere benutzt, um sich selbst gut und selbstbewusst zu fühlen. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hierzulande auch handfeste Rassisten und Menschenfeinde gibt.
Wie kann man der autoritären Aggression begegnen?
Wichtig ist zu sagen, dass diese rechtsextremen Gewalttaten schlimme Ausschläge sind, die es zu betrachten gilt. Wir müssen in diesem Bereich aber auch in eine völlig andere Richtung denken. In der eigenen Alltäglichkeit sollte die Auseinandersetzung mit fremdenfeindlichen Gesinnungen viele stärker eine Rolle spielen. Mit Hilfe von Selbstreflexion sollte man herausfinden, wo man selbst autoritär, abwertend oder unbewusst loyal mit Rechten ist. Dadurch wird man selbstbewusster und klarer im Kontakt mit anderen.
Sollen wir mit Rechtsextremen überhaupt ins Gespräch kommen?
Politische Diskussionen im privaten Umfeld, mit Freunden, Bekannten und Verwandten machen viel Sinn. Wichtig ist, dass man bestimmte Gesprächsregeln einhält. Manche Experten in Sachen politischer Bildung, zum Beispiel von der Berliner Initiative "Kleiner Fünf", nennen als wichtige Haltung die radikale Höflichkeit - man bleibt höflich und diskutiert in der Sache klar. So ist es möglich, Verunsicherte zurückgewinnen. Menschenfeindliche Aussagen braucht man ohnehin nicht einfach so stehenzulassen - sich hier abzugrenzen ist die einzig richtige Antwort.