Das weiße Gebäude ist das Kapitol in Washington. Hier wird der neue Präsident Joe Biden seinen Eid schwören. Foto: Patrick Semansky/AP/dpa
Von Gernot Heller, RNZ Berlin
Berlin. Niels Annen (SPD; 47) ist Staatsminister im Auswärtigen Amt.
An diesem Mittwoch wird der neue US-Präsident Joe Biden vereidigt. Befürchten Sie dabei gewaltsame Auseinandersetzungen?
Ich habe die große Hoffnung, dass diese Amtseinführung eine großartige Inszenierung sein wird, die weltweit ausstrahlt: Eine Amtseinführung, die den demokratischen Wechsel zu einem neuen Präsidenten feiert. Gleichzeitig habe ich auch die Sorge, dass es zu Gewalt kommen könnte und teile die Sorge offensichtlich mit den US-Sicherheitsbehörden. Allein die Tatsache, dass diese Frage gestellt wird, zeigt leider schon, wie tief die Krise der amerikanischen Gesellschaft ist.
Niels Annen (SPD). Foto: dpaDie USA sind nach der Amtszeit von Donald Trump ein zerrissenes Land, das Biden einen muss. Bedeutet das, dass man auf der Weltbühne zunächst wenig von den USA erwarten kann?
Ich gehe davon aus, dass die neue Administration von Joe Biden sich stark auf die innenpolitische Agenda konzentrieren wird. Hinzu kommt, dass es in den USA weiterhin hohe COVID-Fallzahlen mit gravierenden ökonomischen und sozialen Auswirkungen gibt. Dies wird das Biden-Team zunächst ziemlich beschäftigen. Ich gehöre aber zu denen, die glauben, dass schon die Rückkehr zu einer geordneteren Form der transatlantischen Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Team in der künftigen US-Administration einen großen Unterschied machen wird. Joe Bidens Vereidigung wird allerdings nicht dazu führen, dass wir uns in Europa zurücklehnen können. Die Amerikaner werden nicht unsere Aufgaben übernehmen. Es gibt jedoch die Riesen-Chance, dass wir in den großen Menschheitsfragen, wie dem Klimawandel oder auch in der Pandemie-Bekämpfung, einen fundamentalen Wandel in der Kooperation erleben werden.
Ein Erbe von Donald Trump ist ein beschädigtes deutsch-amerikanisches Verhältnis. Ist das zu reparieren oder gibt es dauerhaften Schaden?
Ich bin mir sehr sicher, dass wir mit der neuen Biden-Administration in vielen Fragen zu einer sehr engen Kooperation kommen können. Das gilt auch für viele Krisen, in denen wir aufeinander angewiesen sind. So haben wir ein großes Interesse, schnell über unser jeweiliges Engagement beispielsweise in Afghanistan oder in Bezug auf den Iran mit der US-Regierung zu reden. Auch was die Wirtschaftspolitik angeht, werden sich interessierte Blicke aus Washington in Richtung Berlin richten. Präsident Joe Biden wird ein Interesse daran haben, gerade was die ökonomischen Folgen von Covid-19 angeht, möglichst rasch eine Belebung der Weltkonjunktur zu erreichen. Das wird eine enge Kooperation der USA mit Deutschland als Teil der EU bedeuten. Auf der anderen Seite gehört es zu den harten Realitäten, dass die Ära Trump weltweit Vertrauen in die USA gekostet hat. Und zwar verlässt Trump am 20. Januar das Weiße Haus, allerdings werden einige seiner populistischen Ideen auch weiterhin in der US-amerikanischen Öffentlichkeit präsent sein. Daher müssen wir eng mit Joe Biden kooperieren und gleichzeitig die europäische Souveränität stärken.
Aktuell reißt das Problemfeld Nord Stream 2 wieder auf, die USA wollen bei Sanktionen konkret werden. Wird der Konflikt unter Joe Biden entschärft?
Bislang haben wir noch keinen offiziellen Kontakt zur neuen US-Administration. Die scheidende US-Regierung hat das Thema sehr gepusht, so dass wir erwarten, dass es bald zu Gesprächen über Nord Stream 2 und zur Energiepolitik kommt. Ich hoffe, dass wir auf eine neue US-Administration treffen werden, die wieder für Argumente offen ist. Dabei muss uns klar sein: Auch in der Demokratischen Partei gibt sehr viel Kritik an dem Projekt. Daher können wir nicht erwarten, dass sich die US-Haltung grundlegend ändert. Wir bleiben aber dabei, dass exterritorial wirkende Sanktionen, egal zu welchem Thema, aus unserer Sicht illegal und illegitim sind. Sie schaden dem Verhältnis unter Partnern.
Wie ist Ihre Gemütslage angesichts des Wechsels in den USA?
Wir sind guten Mutes. Die transatlantischen Beziehungen bleiben für Deutschland von zentraler Bedeutung. Der Präsidentenwechsel ist ein Zeichen, dass die amerikanische Demokratie auch unter massivem Druck durch Feinde der Demokratie widerstandsfähig ist. Die Vereidigung von Joe Biden ist daher auch für Deutschland und den Rest der Welt ein guter Tag.