Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Annegret Kramp-Karrenbauer (56) ist Generalsekretärin der CDU und war von 2011 bis Februar 2018 Ministerpräsidentin des Saarlandes.
>>Dies ist der zweite Teile der RNZ-Interviewserie mit den Kandidaten um den CDU-Vorsitz. Das Gespräch mit Jens Spahn gibt es hier<<
Frau Kramp-Karrenbauer, in den Umfragen zum CDU-Kandidatenwettbewerb liegen Sie bei den CDU-Anhängern deutlich vorn. Sind Sie schon auf der Zielgeraden?
Kramp-Karrenbauer: Natürlich freuen mich diese Zahlen. Aber es zählt der Bundesparteitag. Das Rennen ist offen. Jeder von uns hat ein anderes Angebot an die Mitglieder.
Wie fällt Ihre bisherige Bilanz des Kandidatenwettbewerbs und der Serie von Regionalkonferenzen aus?
Absolut positiv. Es ist belebend für die Partei. Erstmals seit 1971 findet eine Kampfkandidatur um den CDU-Vorsitz statt. Das ist per se etwas Besonderes. Bislang ist der Wettbewerb ein fairer, auch wenn es Punkte gibt, die kritisch angesprochen werden. Es ist klar, dass die Partei nach dem Parteitag gestärkt und geschlossen weitermachen soll. Dazu werde ich meinen Teil beitragen, der Zusammenhalt in der breiten Volkspartei CDU ist mir sehr wichtig.
Die CDU-Spitze will den UN-Migrationspakt beim Bundesparteitag im Dezember zur Abstimmung stellen. Was spricht für das Abkommen?
Für den Migrationspakt sprechen sehr gute Argumente. Er wird Deutschland auf lange Sicht nützen. Deswegen unterstütze ich ihn. Zum ersten Mal können wir direkt mit den Herkunftsländern vieler Migranten zusammenarbeiten: Was kann man tun, damit die Menschen dort bleiben? Was gegen Schlepper und Menschenhandel? Das ist auch in unserem Interesse. Leider haben wir es versäumt, das Thema früher offen anzusprechen. Das muss die CDU selbstkritisch einräumen. Der diskutierte Entschließungsantrag für den Bundestag trägt zur Klarstellung bei.
Neuanfang und Abschied beim Bundesparteitag. Angela Merkel gibt ihr Amt als Vorsitzende auf. Wie hat sie die CDU geprägt und verändert?
Sie hat die Partei in einer schwierigen Situation übernommen. Das war nicht leicht. Die CDU ist in einer sich verändernden Welt und einer Gesellschaft im Wandel eine starke Volkspartei geblieben. Wie sehr Angela Merkels Ära uns geprägt hat, wird man wohl auch erst mit einigem Zeitabstand ermessen können. Fakt ist aber auch, dass der heutige Zustand unserer Partei, die jüngsten Wahlergebnisse und die Umfragewerte mich und niemanden in der CDU zufrieden stellen. Wir müssen jetzt den nächsten Schritt gehen, um zu neuer Stärke zu kommen.
Jetzt ist viel von Aufbruch und Erneuerung die Rede. Braucht die "Merkel-CDU" jetzt einen Kurswechsel?
Es gibt keine "Merkel-CDU", sondern nur eine Partei mit mehr als 400 000 Mitgliedern. Ich halte nichts von einem allgemeinen Kurswechsel. Die CDU war in ihrer Vergangenheit immer dann am stärksten, wenn sie ihre unterschiedlichen Wurzeln und Ausprägungen - konservativ, liberal und christlich-sozial - gezeigt und zu einem gemeinsamen Programm zusammengebunden hat. Als ich in den 1980er Jahren eingetreten bin, konnte man das am Programm und an den Köpfen sehen. Das war eine sehr starke Phase damals. Das muss auch heute wieder unser Ziel sein und den von mir begonnen Prozess für das neue Grundsatzprogramm sollten wir dafür unbedingt nutzen.
CDU-Vizechef Armin Laschet hat davor gewarnt, beim Kandidatenwettbewerb vor allem das Migrationsthema in den Mittelpunkt zu stellen. Was spricht dagegen?
Die Zuhör-Tour und die Regionalkonferenzen haben gezeigt, dass es jede Menge anderer Themen gibt: Wohnungsnot, Digitalisierung oder das Stadt-Land-Gefälle. Aber natürlich ist auch das Thema Migration für unsere Mitglieder wichtig. Für das kommende Frühjahr habe ich ein Werkstattgespräch vorgeschlagen. Dann reden wir noch einmal darüber, was 2015 nach der Grenzöffnung in der Flüchtlingskrise war und vor allem wie wir in Zukunft bei dem Thema weiter vorankommen können.
Ihr Mitbewerber Friedrich Merz hat eine Debatte über das Asylrecht angestoßen und hält im Zuge einer europäischen Lösung einen Gesetzesvorbehalt von Artikel 16a für notwendig …
Das Beispiel zeigt, wie sensibel das Thema ist. Bei allem, was wir zur Bewältigung und Begrenzung der Migration vorschlagen, muss man immer sehr darauf achten, dass das, was man vorschlägt, hinterher auch Wirkung entfaltet. Sonst produziert man Enttäuschung. Wir haben in diesem Jahr bisher rund 2400 anerkannte Asylbewerber, die über die Grundgesetzregelung zum Asyl Schutz vor politischer Verfolgung erhalten haben. 61 000 fallen unter die Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention und anderer Regelungen. Das heißt, der Großteil der Menschen ist überhaupt nicht betroffen. Deswegen müssen wir an anderer Stelle Maßnahmen ergreifen. Wir müssen Schengen vollenden mit der Sicherung der EU-Außengrenzen und der konsequenten Rückführung derer, die kein Bleiberecht haben.
Sie fordern, straffällig gewordene Flüchtlinge ohne Bleiberecht auch nach Syrien abzuschieben. Wäre das nicht inhuman angesichts der Sicherheitslage in den Kriegsgebieten dort?
Wenn es die Lage in Syrien hergibt, muss man Straftäter wieder dorthin zurückführen. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes in Syrien hat ergeben, dass dies im Moment nicht möglich ist. Aber die Lage ändert sich ständig. Das heißt also nicht, dass man mit künftigen Veränderungen die Rückführungen nicht vornimmt.
Gesundheitsminister Jens Spahn fordert die Rückbesinnung auf Werte und Tugenden, will eine Leitkultur-Debatte führen. Was spricht dagegen?
Über den Begriff Leitkultur regt sich niemand mehr auf. Wenn jemand zu uns kommt, muss er unsere Regeln einhalten. Das ist selbstverständlich und wird auch von denjenigen anerkannt, die die Debatte damals kritisch verfolgt haben. Wir müssen uns dieser Aufgabe nun wirklich stellen und sie umsetzen. Ein Beispiel: Wenn jemand in den Aufnahmeeinrichtungen sagt, er nimmt das Essen einer Frau nicht an, dann sollte er kein Essen bekommen. Unsere Regeln besagen, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Wir erwarten, dass das jeder akzeptiert, der zu uns kommt.
Sie waren monatelang auf Zuhör-Tour bei der Parteibasis unterwegs. Wo drückt der Partei der Schuh besonders?
Eine wichtige Frage war die nach dem Selbstwert und der Arbeitsweise der Partei. Die Mitglieder der CDU möchten bei größeren politischen Entscheidungen mitdiskutieren, bevor diese von der Regierung umgesetzt werden. Wichtig ist auch eine Selbstvergewisserung: Wie ist das mit dem "C" in unserem Namen, was bedeuten christliche Werte in einer sich verändernden Gesellschaft - deshalb überarbeiten wir gerade unser Grundsatzprogramm. Viele Menschen haben das Gefühl, dass der Rechtsstaat nicht mehr willens oder in der Lage ist, seine Regeln durchzusetzen. Und es wachsen die Sorgen, dass sich Leistung nicht mehr lohnt, dass die Rente nicht mehr sicher ist und es nicht mehr fürs Alter reicht. Auf diese Fragen will ich Antworten geben.
Wie würde das 100-Tage-Programm von Annegret Kramp Karrenbauer als CDU-Chefin aussehen?
Mein 100-Tage-Programm würde direkt nach dem Bundesparteitag beginnen: Das Werkstattgespräch über den verlässlichen Staat und innere Sicherheit und Migration, darauf aufbauend die Ausarbeitung des Europawahlprogramms und im Rahmen des Grundsatzprogramms Vorschläge für Dynamik in Wirtschaft und Gesellschaft. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Mitglieder sollen sich sofort beteiligen können. Es müssen konsequent die Parteiarbeit und Kommunikation verbessert werden. Mit meinem Wechsel vom Ministerpräsidentenamt in das Parteiamt der Generalsekretärin zu Jahresbeginn haben wir mit Zuhör-Tour und anderem die Parteiarbeit bereits verändert. Jetzt ist es Zeit für den nächsten Schritt.
Friedrich Merz verspricht, die CDU wieder auf 40 Prozent zu bringen und die AfD zu halbieren. Ist das ein realistisches Ziel, trauen Sie sich das auch zu?
Der eine traut es sich zu, und die andere hat es bewiesen. Schauen Sie sich mein Wahlergebnis 2017 an: Die CDU lag bei über 40 Prozent und die AfD bei etwas mehr als 6 Prozent. Auf der Bundesebene ist das natürlich schwieriger zu erreichen. Ich warne jedoch davor, nur auf die AfD zu schauen. Zuletzt haben wir gleichermaßen an die AfD und die Grünen verloren. Wenn wir in einer Position der Stärke und eine Volkspartei bleiben möchten, müssen wir von beiden zurückgewinnen.
Kanzlerin Kramp-Karrenbauer, wie klingt das für Sie?
Ich würde mich zunächst freuen, wenn es nach dem 7. Dezember "Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer" heißen würde. Natürlich muss eine CDU-Vorsitzende innerlich dazu bereit sein, für die Kanzlerschaft zu kandidieren. Wir haben aber eine Kanzlerin Angela Merkel und ich möchte, dass das auch so bleibt. Auch die Menschen haben die Erwartung, dass sie das, wofür sie und die CDU gewählt worden sind, nämlich zu regieren, auch wirklich fortsetzt. Außerdem: Wer in Deutschland Kanzlerin oder Kanzler wird, das bestimmen immer noch die Wählerinnen und Wähler.
Wenn Sie nicht zur CDU-Chefin gewählt werden, wollen Sie kein Parteiamt mehr übernehmen, nicht mehr hauptamtlich für die CDU tätig sein. Würden Sie in die Regierung gehen?
Wenn ich nicht gewählt werde, werde ich nicht mehr als Generalsekretärin weitermachen. Das ist ein Gebot der Fairness. Der Parteivorsitzende muss die Freiheit haben, sein Team neu aufzustellen. Das bedeutet für mich nicht, dass ich der Partei den Rücken kehren würde. Wo immer die Partei mich um Mithilfe bittet, kann sie das tun. Ich werde mich nicht verweigern.
Friedrich Merz gilt als der verlorene Sohn, der jetzt nach seinem Rückzug 2009 wieder zur Partei zurückgekehrt ist. Wird er unabhängig vom Ergebnis des Kandidatenrennens künftig in der CDU gebraucht?
Friedrich Merz ist herzlich willkommen, in der Partei mitzumachen. Alle drei Kandidaten für den Vorsitz wollen eine große Steuerreform. Da wäre mein Vorschlag, dass wir uns gemeinsam an die Steuerreform machen und Friedrich Merz hilft dabei mit. Er hat bisher nicht widersprochen.
Sie haben sich gegen die Ehe für alle ausgesprochen. Was haben Sie gegen gleichgeschlechtliche Paare?
Ich bin nicht gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Auch als Ministerpräsidentin habe ich mich dafür stark gemacht, Diskriminierungen gesetzlich abzubauen. Die Entscheidungen, die mit parlamentarischen Mehrheiten getroffen worden sind, akzeptiere ich selbstverständlich. Allerdings habe ich einen sehr traditionellen Ehebegriff, der sich aus der Gemeinschaft von Mann und Frau definiert. Das ist meine Grundüberzeugung, zu der ich stehe.
Die Digitalisierung verunsichert viele Menschen. Sind die Ängste und Sorgen nicht berechtigt?
Jeder ist Teil der Digitalisierung und treibt sie mit seinem Verhalten. Man darf den Menschen weder das Blaue vom Himmel versprechen noch sollte man Horrorszenarien über wegfallende Jobs verbreiten. Beides ist nicht gerechtfertigt. Man muss ehrlich sein mit den Menschen: Wir können den Wandel nicht stoppen, aber sie dabei gut begleiten. Und wir müssen immer wieder deutlich machen, was bringt die Digitalisierung dem Einzelnen, wie kann Digitalisierung den Menschen nützen? Die Technik ist kein Selbstzweck. Sie muss den Menschen dienen. Sie kann beispielsweise im ländlichen Raum Mobilität aufrechterhalten. So könnte man künstliche Intelligenz viel besser nutzen, wenn man in Zukunft einen Bus oder eine Mitfahrgelegenheit braucht.
Es gibt Stimmen aus den Reihen der CDU, die sagen, es wäre nach 18 Jahren Angela Merkel an der Zeit, mal wieder einen Mann an der Spitze zu haben …
Das hört man schon hier und da mal. Aber wenn ich mir die gesamte Geschichte der CDU anschaue, muss man feststellen: Wir hatten ununterbrochen 50 Jahre lang Männer an der Spitze der Partei. Jetzt hatten wir 18 Jahre eine Frau. Wenn man da von Parität spricht, haben die Frauen noch ein bisschen was aufzuholen. Wenn die CDU in der Vergangenheit nicht darunter gelitten hat, dass ein Mann auf einen Mann gefolgt ist, ist sie auch stark genug zu verkraften, wenn eine Frau auf eine Frau folgt.