"Wandern ja, Kreuzfahrt nein"
Uniklinik-Chef-Virologe Hans-Georg Kräusslich über den Sommerurlaub 2020 in Zeiten der Coronakrise

Von Klaus Welzel
Heidelberg. Hans-Georg Kräusslich ist Chefvirologe und Dekan der Medizinischen Fakultät am Universitätsklinikum Heidelberg; zugleich gehört er einem Beratergremium um Ministerpräsident Winfried Kretschmann an.
Prof. Kräusslich, die Kanzlerin und die Länderchefs haben am Mittwoch ganz schön lange gerungen, ehe sie sich auf Lockerungsmaßnahmen in der Coronakrise einigten. Sind Sie als Virologe mit dem Kompromiss zufrieden?
Ich glaube, die meisten Entscheidungen, die gestern getroffen wurden, passen mit den Überlegungen von virologischer Seite zusammen. Es entspricht ungefähr dem, worüber wir auch in den vergangenen Tagen gesprochen haben. Ich glaube, dass die grobe Richtung der Entscheidungen von allen mitgetragen werden kann, sicherlich gibt es einzelne Entscheidungen, mit denen manche unzufrieden sind oder bei denen der eine oder andere Erwartungen hatte – und das vielleicht auch berechtigt.
Bei den Schulen dürfen Abschlussklassen unterrichtet werden. Wäre das nicht auch bei Hochschulen möglich?
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Bei den Hochschulen ist die Lage eine etwas andere: Großveranstaltungen, wie Vorlesungen mit mehreren hundert Personen, sind derzeit nicht durchführbar. Stattdessen gibt es jetzt digitale Vorlesungen, die gefilmt wurden, oder auch Veranstaltungen, die online gestreamt werden und die Diskussion mit einer Gruppe erlauben. Es ist aber klar, dass größere Veranstaltungen mit vielen Menschen in einem Raum im Moment noch ausgesetzt bleiben müssen.
Wenn schon keine Konzerte oder ähnliche Veranstaltungen stattfinden können, wären doch Restaurantbesuche bei strikter Einhaltung von Abstandsgeboten schön. Wann wird das wieder möglich sein?
Die Situation in Restaurants verhält sich ja so, dass man mit Mundschutz weder gut essen noch trinken kann – das ist im Grunde trivial. Die Diskussion wird aber sicherlich in den nächsten Wochen an Fahrt aufnehmen und ich denke, dass man bei weiterhin gutem Verlauf auch in Restaurants und ähnlichen Einrichtungen Lockerungen schaffen wird.
In etwa wie ab Montag in den kleinen Geschäften?
Ja, jetzt ging es darum, dort Möglichkeiten zu schaffen, wo man mit Mundschutz und Abstandsregeln die Infektionsrate möglichst niedrig halten kann.
Fällt die Urlaubssaison 2020 aus?
Ich würde vermuten, dass Kreuzfahrtschiffe und ähnliche größere Gruppenreisen nicht möglich sein werden. Individuelle Reisen, wie Wanderungen in den Bergen oder ans Meer zu fahren und sich dort aufzuhalten, schon eher. Wann das möglich sein wird, ob schon in einigen Monaten oder später, kann ich heute nicht voraussagen. Meine persönliche Einschätzung ist aber, dass es durchaus möglich sein wird, im Sommer Individualreisen durchzuführen. Weil es ja auch keine besonderen Risikogebiete mehr gibt, könnte ich mir vorstellen, dass auch der Grenzverkehr nicht mehr sehr lange geschlossen bleiben muss.
Der Bund und die Länder raten dazu, beim Einkaufen und in öffentlichen Verkehrsmitteln Masken zu tragen. Wäre da nicht eine Pflicht sinnvoller?
Ich nehme an, dass es daran liegt, dass bei einer Maskenpflicht auch garantiert jeder eine Maske zur Verfügung bekommen muss. Das ist aktuell noch nicht gewährleiste, deshalb das dringende Maskengebot, aber eben keine Pflicht.
Ein Blick in die Region: Wie entwickeln sich die Patientenzahlen? Gibt es jetzt mehr schwere Fälle?
Nein, es gibt nicht mehr schwere Fälle. Wir sehen eine ganz langsame Verringerung der Anzahl der Patienten - und darunter auch der schweren Fälle. Dennoch kann es immer wieder kleine Ausbrüche geben, dann könnte es auch wieder aufwärtsgehen, generell sehen wir aber eine stabile Lage mit einer leichten Reduktion.
Werden hier auch deutlich mehr Männer als Frauen krank?
Weltweit ist es in der Tat so, dass mehr Männer als Frauen betroffen sind – wir wissen das aber nur für diejenigen, die wegen Symptomen getestet worden sind. Ob Männer stärker symptomatisch sind und deswegen mehr getestet wurden, oder ob sie tatsächlich öfter infiziert sind, wissen wir wegen der Dunkelziffer nicht genau. Es könnte auch sein, dass gleich viele Männer wie Frauen infiziert werden, aber die Verläufe unterschiedlich sind. Das sind Fragen, die sicherlich in den nächsten Wochen und Monaten in der Forschung geklärt werden.
Ihr Tipp: Wird 2020 das Corona-Jahr schlechthin bleiben?
Ich denke schon, dass wir in diesem Jahr eine besondere Situation behalten werden, aber dass wir vielleicht im Sommer zumindest nicht mehr regelmäßig in einem Podcast miteinander darüber reden müssen – obwohl ich das natürlich gerne tue.