Putin will Atomwaffen in Belarus stationieren
Entspannte Reaktionen aus Deutschland auf russische Drohgebärde: "An der Balance des Schreckens ändert das nichts".

Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin
Berlin. Der Krieg in der Ukraine war gerade mal drei Tage alt, da fand im Nachbarland Belarus eine Abstimmung statt. Die war lange vorbereitet, hatte eigentlich mit dem Krieg nichts zu tun. Und doch stand sie damit in einem unmittelbaren Zusammenhang. Die Bevölkerung stimmte Ende Februar vor einem Jahr über eine Verfassungsänderung ab. Die enthielt, was solche Abstimmungen in Diktaturen meist enthalten: bessere Bedingungen für den Despoten, in dem Fall Alexander Lukaschenko. Teil der Abstimmung war aber auch ein Passus, der die Stationierung von russischen Atomraketen in dem Land erlaubte. Rund 60 Prozent stimmten in dem alles andere als freien Referendum für die Änderungen. Der Westen erkennt das Ergebnis bis heute nicht an.
Nun, mehr als ein Jahr später, wird der zweite Teil der Verfassungsänderung Realität. Russlands Präsident Wladimir Putin hat angekündigt, taktische Atomwaffen auf dem Gebiet von Belarus zu stationieren. Und Belarus‘ Diktator Lukaschenko feiert sein Land als neue Atommacht. Freilich hat er keinerlei Kontrolle über das Arsenal. Vielmehr opfert er wieder ein Stück der staatlichen Souveränität des Landes.
Putin wiederum dreht damit die Zeit zurück. Denn nach dem Ende der Sowjetunion wurde 1994 das Budapester Memorandum unterzeichnet. Es sah vor, dass die Atomarsenale auf dem Gebiet des heutigen Belarus, der Ukraine und Kasachstans abgebaut und nach Russland gebracht werden. Die Ukraine hatte zu dem Zeitpunkt das drittgrößte Atomarsenal der Welt. Doch der "Knopf" dafür befand sich weiter in Moskau. Aus heutiger Sicht wird das Memorandum bisweilen als Fehler gesehen, da Putin wohl keine atomwaffenfähige Ukraine angegriffen hätte. Auch Belarus wurde atomwaffenfrei. Das ändert sich nun also wieder. Putin bricht damit das Budapester Memorandum, auch wenn man sich in Moskau auf die Minsker Verfassungsänderung beruft und erklärt, dass ja auch die USA in verbündeten Staaten Europas Atomwaffen stationierten.
Das ist richtig. Aber die Nato hielt bisher ihren Teil der Vereinbarung ein, keine Atomwaffen auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Pakts, also etwa in Polen zu stationieren. Atomwaffen gibt es in Deutschland, den Niederlanden, Italien und Belgien, abgesehen davon natürlich auf dem Territorium der Atommächte Frankreich und Großbritannien. Polen würde dies gerne ändern. Entsprechende Wünsche und Angebote richtete die polnische Seite schon im vergangenen Jahr an die Nato und vor allem die USA. Entsprochen wurde dem bisher nicht.
Polen wird noch von einer anderen Seite bedroht. In der russischen Exklave Kaliningrad (Königsberg) hat Putin bereits Fakten geschaffen. So wurden dort Anlagen gebaut, die Atomwaffen aufnehmen können, Raketen in das Gebiet verlegt, die in der Lage sind, Atomsprengköpfe zu tragen, bis Berlin oder Warschau. Zudem gab es im vergangenen Mai eine Übung in Kaliningrad, die einen nuklearen Schlag simulierte.
Mit der geplanten Verlegung der Waffen erbaut sich Putin wieder ein Stück mehr der kleinen Sowjetunion, die er erträumt. Belarus wird von Moskau gewissermaßen kalt übernommen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die beiden Staaten eines nicht so fernen Tages eine Art "Wiedervereinigung" zelebrieren würden.
Doch was bedeutet die neue Entwicklung für den Rest Europas, insbesondere für Deutschland? Außen- und Sicherheitspolitiker sind bemüht, den Schritt vor allem als Teil der Propaganda Putins darzustellen. "Der Schritt Russlands, Atomwaffen in seinem Marionettenstaat Belarus zu stationieren, ist eine Eskalation und bedeutet eine Zuspitzung der Lage. An der Balance des Schreckens ändert das aber nichts, dann die Atomraketen der Nato sind ja bereits in Europa, gerade auch in Deutschland", sagte der SPD-Außenpolitiker Ralf Stenger unserer Redaktion. Ein Wettrüsten müsse nun verhindert werden. "Eine Stationierung von US-Atomwaffen in Polen würde die Lage verschärfen." Es bestehe nun umso mehr der Bedarf an Gesprächen, meint Stegner: "Man sollte etwa versuchen, über Kontakte mit China auf Russland einzuwirken. China hat kein Interesse an einem nuklearen Szenario. Aug’ und Aug’ ist nicht die Lösung."
Am vergangenen Dienstag hat Putin mit Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping in Moskau tatsächlich eine Erklärung verabschiedet, in der sich beide dagegen aussprachen, Atomwaffen in Drittstaaten zu stationieren. Die Aufforderung richtete sich aber an die USA. Putin hatte immer wieder gefordert, das Land möge etwa seine Atomwaffen aus Deutschland abziehen. Inzwischen ist eher von einer Modernisierung und nicht mehr von einem Abzug die Rede.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte dazu: "Durch eine modernisierte glaubwürdige nukleare Teilhabe in Europa benötigen wir keine Stationierung von Nuklearwaffen in weiteren Nato-Staaten, sollten sie aber langfristig nicht ausschließen. Derzeit stellt sich diese Frage aber nicht." Kiesewetter sieht vor allem Deutschland im Fokus Putins: "Bislang wirken Putins Nukleardrohungen insbesondere bei uns in Deutschland. Putin zielt hier auf Angst und Selbstabschreckung durch permanente Betonung eines völlig unrealistischen Atomkriegs. Damit erreicht Russland das Ziel permanenter Verunsicherung. Das dürfen wir nicht zulassen, sondern müssen unsere Bevölkerung ruhig und sachlich aufklären."
Auch Kiesewetters CDU-Kollege Norbert Röttgen sieht Deutschland als Hauptziel von Putins Propaganda: "Die von Putin angekündigte Stationierung von Atomwaffen in Belarus stellt keine zusätzliche Bedrohung für Europa dar, sondern ist ein weiterer Versuch der Einschüchterung, die nicht zuletzt auf die deutsche Bevölkerung gerichtet ist."