"Umso mehr Grund, Weihnachten zu feiern"
Der Berliner Erzbischof Heiner Koch zu den Folgen des Anschlags - Er fordert eine sachliche Diskussion
Von Rasmus Buchsteiner, RNZ Berlin
Berlin. Heiner Koch (62) ist seit September 2015 Erzbischof von Berlin.
Herr Erzbischof, wie lässt sich Weihnachten feiern nach dem Anschlag von Berlin und angesichts der Terrorbedrohung?
Weihnachten ist das Fest der Nacht. Gott ist zu den Menschen gekommen - nicht in glitzererfüllte Feststimmung, wie wir es heute in den Geschäften und den Weihnachtsmärkten erleben. Das Volk Israels war verzweifelt, wurde unterdrückt. Auch in Berlin ist jetzt sozusagen Nacht gewesen, haben Verzweiflung und Angst geherrscht. Und wir hören die Botschaft vom Gott, der zum Menschen wird. Vielleicht wird sie in diesem Jahr in Berlin tiefer empfunden.
Gerade ist der Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche wieder eröffnet worden. Wie hat sich Berlin verändert?
Es gibt eine Reaktion des trotzigen Dennoch. Wir lassen uns von Terroristen nicht unterkriegen und schon gar nicht dazu zwingen, unser Weihnachten anders zu feiern. Ich spüre eine große Nachdenklichkeit in der Stadt. Es ist anders geworden, deutlich stiller als sonst. Man merkt, wie dünn das Eis ist, auf dem wir stehen, und wie schnell vieles, was uns lieb und teuer war, wegbrechen kann. Viele fragen sich angesichts dieses Dramas: Haben wir in diesem Jahr überhaupt noch einen Grund, Weihnachten zu feiern?
Und was antworten Sie dann?
Wir haben dieses Jahr umso mehr Grund, Weihnachten zu feiern. Es ist ein Fest der Hoffnung. Bei meinen Weihnachts-Besuchen war ich in einem Krankenhaus, in dem auch Verletzte des Anschlags behandelt werden. Dort spürt man die ganze Ohnmacht nach diesem schrecklichen Verbrechen und hört immer wieder die Frage nach dem Warum. Natürlich gibt es auch die Sorge, was alles noch passieren kann. Aber ich erlebe auch viel Hoffnung und viel Anteilnahme.
Ein Weihnachtsmarkt vor einer Kirche als Anschlagsziel - das hat eine besondere Symbolik. Sind wir in einem Kriegszustand, wie manche Politiker meinen?
Ein Terroranschlag ist ein Akt der Gewalt, kein Krieg. Wir stehen in der Auseinandersetzung mit Menschen, die gewaltbereit sind und unsere Gesellschaft zerstören wollen. Aber wir stehen für andere Werte. Das ist uns jetzt wieder bewusst geworden. Ich habe Briefe bekommen von muslimischen Gemeinden, die diesen Anschlag verurteilen und sich davon distanzieren. Man kann also nicht sagen, dass sich hier Kulturen gegenüberstehen und gegeneinander kämpfen. Eine gesamte Religion wie den Islam unter Generalverdacht zu stellen, wäre nach den Erfahrungen, die wir jetzt in Berlin machen, ein großer Fehler.
Welches Signal wird von den Messen ausgehen an Weihnachten? Werden die Gottesdienste unter starkem Polizeischutz stattfinden müssen?
Das glaube ich nicht. Von besonderen Sicherheitsvorkehrungen ist mir nichts bekannt. Wie soll man auch die vielen Gottesdienste bei uns in Berlin schützen? Ich sehe nicht die Notwendigkeit. Wir werden den Anschlag und seine Folgen in unseren Gottesdiensten noch einmal aufgreifen, für die Opfer beten. Besonders wichtig waren aber die Gottesdienste, die wir unmittelbar nach dem Anschlag gefeiert haben. Das war ein großes Ausrufezeichen gegen Terror und Radikalität.
Der Tatverdächtige ist weiter auf der Flucht. Ein Mann, der unter Beobachtung stand und hätte abgeschoben werden müssen. Wie groß ist Ihr Ärger über Fehler der Sicherheitsbehörden?
Hier entsteht Verunsicherung. Es gibt viele Fragen, die in Zusammenhang mit den Ermittlungen auftauchen. Ich bin sicher, dass die Debatte über Konsequenzen heftig wird, über die juristische Dimension, über Abschiebehaft und Überwachung. Gerade mit Blick auf den Bundestagswahlkampf wird dies zu einem beherrschenden Thema werden.
Klingt, als wären Sie damit nicht ganz glücklich?
Ich bin nicht glücklich mit der Art und Weise, wie diese Debatte geführt wird. Bei komplexen Fragen braucht man differenzierte Antworten. Ich erlebe, dass die Debatte emotional hochkocht, was schnell zu Pauschalisierungen und dem Ruf nach einfachen Lösungen führt. Ich bin für eine klare, auch harte Diskussion, aber sachlich soll sie bitteschön sein. Sicherheit ist die Hauptaufgabe des Staats. Sonst ist Freiheit nicht mehr möglich. Wenn die Menschen den Eindruck haben, dass ihre Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist, gefährdet das unsere Demokratie als Ganzes. Politik ist für Lösungen zuständig, nicht für Erlösung. Zu glauben, dass sie das Böse aus der Welt schaffen könnte, wäre sicherlich eine Überforderung.