"Tradition zu brechen ist schwierig" - Ethikunterricht keine Pflicht

Die Einführung von Ethikunterricht als Alternative zu Religion ist kein Muss. Das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Eine Mutter aus Freiburg will sich damit noch nicht zufriedengeben.

17.04.2014 UPDATE: 17.04.2014 08:36 Uhr 1 Minute, 37 Sekunden

Von Birgit Zimmermann

Leipzig. (dpa) Bei der Schulbildung ihrer Söhne geht es Anna Ignatius ums Prinzip. "Ich möchte, dass die Position von Menschen gestärkt wird, die nicht dem christlichen Glauben anhängen", sagt die 42 Jahre alte promovierte Philosophin aus Freiburg. Seit vier Jahren klagt sie sich deswegen durch die Instanzen. Sie verlangt vom Land Baden-Württemberg, Ethik-Unterricht als Alternative zu Religion schon in der Grundschule anzubieten. Allerdings bleibt sie damit am Mittwoch vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wie schon in den beiden Vorinstanzen erfolglos. (Az.: BVerwG 6 C 11.13)

Aus dem Grundgesetz lasse sich kein Anspruch auf Ethik-Unterricht ableiten, entscheidet der 6. Senat. Der Staat habe bei der Einrichtung von Schulfächern einen Gestaltungsspielraum, sagt der Vorsitzende Richter Werner Neumann. Baden-Württemberg bietet Ethik-Unterricht nach Angaben des Kultusministeriums bislang frühestens ab Klasse 7 an. Ansonsten herrscht bildungspolitische Vielfalt. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen können sich schon Erstklässler zwischen Ethik und Religion entscheiden, andere Länder bieten Fächer wie Philosophie oder Werte und Normen ab Klasse 5 an.

Anna Ignatius findet es insbesondere ungerecht, dass ihren drei konfessionslosen Söhnen eine Werte- und Normenvermittlung - wie sie im Religionsunterricht erfolgt - versagt bleibe. Ihr Anwalt Thomas Heinrichs argumentiert, im Religionsunterricht würden "aktuelle, ethisch motivierte Problemlagen thematisiert". Was ist Gerechtigkeit, wie geht man mit dem Tod von Großeltern um, Fukushima, die Krim-Krise - all das sei Thema. Heinrich spitzt es in der mündlichen Verhandlung zu: "Man kann sich fragen, ob das noch Religionsunterricht ist."

Die Leipziger Richter stützen ihren Urteilsspruch insbesondere auf Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der schreibt Religion in öffentlichen Schulen als Unterrichtsfach vor. Er ermögliche "den Religionsgemeinschaften in der Schule mit der Verkündung ihrer Glaubenssätze aktiv zu werden", wie der Vorsitzende Richter sagt. Daraus könne man aber nicht den Umkehrschluss ziehen, dass der Staat auch zur Vermittlung von Werten mit einem Ethikunterricht verpflichtet werden könne. Religionsgemeinschaften seien besonders geschützt, eine "von der Verfassung missbilligte Ungleichbehandlung" konfessionsloser Schüler bestehe nicht. "Der Senat ist beim traditionellen Verständnis von Artikel 7 geblieben", sagt Neumann.

Ignatius und ihr Anwalt Heinrichs wollen sich noch nicht geschlagen geben. Sie kündigen an, vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu ziehen. Die Söhne der 42-Jährigen - der jüngste wird dieses Jahr eingeschult - werden davon sicher nichts mehr haben. "Mir war von Anfang an klar, dass es nicht um meine Kinder gehen kann", sagt Ignatius. Anwalt Heinrichs erläutert, er wolle Aufmerksamkeit für das Thema erzeugen - in einer Zeit, in der die Gruppe der konfessionslosen Kinder immer größer werde. Wie Karlsruhe die Frage Ethik oder Religion entscheidet, sei offen. "Tradition zu brechen ist immer schwierig", sagt Heinrichs.