Von Jan Draeger
Schauspieler machen oft ein Geheimnis um ihren Beruf. Da ist es dann schon verwunderlich, wenn drei aus der Branche offenherzig über quälende Castings, Quotendruck und angedichtete Liebesverhältnisse reden. Anna Maria Mühe trifft sich dafür einmal in der Woche mit Jasna Fritzi Bauer und Cristina do Rego – und jeder kann zuhören in dem Podcast "Unter Dry". Doch die Drei sind nicht nur Kolleginnen, sondern seit Jahren auch Freundinnen. Was sie vor und abseits der Kamera verbindet, verrät Anna Maria Mühe im Gespräch mit unserem Mitarbeiter Jan Draeger.
Frau Mühe, die amerikanische Moderatorin Oprah Winfrey sagte einmal über Freundschaft: "In der Luxuslimousine fährt jeder gerne mit. Aber du brauchst Menschen, die mit dir Bus fahren, wenn die Limousine liegen bleibt." Was sagt Ihnen dieses Zitat?
Es berührt mich. Man darf halt nicht immer nur miteinander zu tun haben, wenn man gerade auf einer guten Welle reitet. Es muss auch Menschen geben, die einen manchmal durch die Scheiße tragen. Und wenn das dann die gleichen Menschen sind, hat man viel richtig gemacht.
Bei Ihnen konnten sich erst spät Freundschaften entwickeln, weil Sie früher sehr oft umgezogen waren …
Das stimmt. Ich habe in meiner Jugend acht Mal die Schule gewechselt. Damals gab es noch kein FaceTime, WhatsApp oder Instagram. Insofern war es schwieriger, die Kontakte aufrechtzuerhalten.
Wie haben Sie Drei sich kennengelernt?
Cristina do Rego habe ich durch eine gemeinsame Freundin kennengelernt. Diese Freundin hatte jedem von uns voneinander vorgeschwärmt. Das wird ungefähr 15 Jahre her sein. Jasna Fritzi Bauer kenne ich noch nicht so lange. Aber wir haben uns gleich, glaube ich, gesehen gefühlt. So richtig eng ist das seit fünf Jahren.
Letztes Jahr haben sie beide sogar zusammengewohnt ...
Ich habe keine Wohnung, die WG-tauglich ist. Wir mussten uns auf kleinem Raum alle wohlfühlen. Was nicht immer einfach war. Aber wir haben es sehr gut hinbekommen.
Und Jasna Fritzi Bauer hat mit Ihrer Tochter Mathe-Hausaufgaben gemacht?
Ja, unter anderem.
Wie werden aus Kolleginnen Freundinnen?
Wir waren eigentlich nie Kolleginnen. Ich habe weder mit Jasna noch mit Crissi jemals gedreht. Unser erstes Kennenlernen fand im völlig privaten Raum statt. Aber ich würde gern einmal mit den beiden arbeiten. Das könnte lustig werden.
Haben Sie Drei sich schon von Anfang an mit Ihrem Beruf auseinandergesetzt?
Nein. Mich interessiert der Mensch mehr als der Beruf. Den Beruf kenne ich ja, da gibt es am Ende nicht so viel mehr zu erzählen. Natürlich tausche ich mich mit bestimmten Menschen auch über meinen Beruf aus. Aber ich versuche, das recht klein zu halten. Wenn ich drehe, bin ich extrem auf die Arbeit fixiert. Dann gibt es kaum einen Raum für etwas anderes – außer meiner Tochter natürlich.
Haben Sie von Ihren Freundinnen etwas gelernt?
Ich habe mir ein bisschen was abschauen können. Bei Jasna zum Beispiel, dass man in unserem Beruf nicht immer alles so ernst und vor allem persönlich nimmt. Dass man versucht, das Ganze auch mal von außen zu betrachten.
Und von Cristina do Rego?
Sie möchte mir immer Kochen beibringen. Ich kann’s selber nicht.
Sie sind ja die Älteste von den Dreien und wirken manchmal in dem Podcast auch als Disziplinierteste …
Wirklich? Das kommt vielleicht daher, dass ich Mutter bin.
Wie schaffen Sie das mit Ihrer Arbeit, wenn die Tochter zu Hause ist?
Früher hatte ich sie immer dabei. Jetzt ist sie seit anderthalb Jahren in der Schule. Die Dreharbeiten zu den beiden Filmen, in denen ich zuletzt gespielt habe, fanden hier in Berlin und in Hamburg statt. So konnte ich die Wochenenden immer mit ihr zu Hause verbringen.
Corona heißt Abstand halten – wie kann man da Freundschaften bewahren und pflegen?
Es braucht ja keinen ständigen Körperkontakt, um eine Freundschaft aufrecht zu erhalten. Es sollte eine gewisse Basis da sein und wenn es nur darum geht, sich zu sehen, kann man das auch über FaceTime. Bei einer tiefen Freundschaft muss man sich nicht ständig in den Armen liegen.
In einer Folge Ihres Podcasts haben Sie gesagt, dass Sie das Händeschütteln überhaupt nicht vermissen.
War das zu frech?
Nein.
Vielleicht sollte man darauf weiter verzichten. Dieses ewige Händeschütteln mit Menschen, denen man nicht die Hände schütteln will. Wenn es eine klare Regelung geben würde, käme man auch nicht in so komische Situationen, in denen man sich dann plötzlich verhalten muss.
Ist es schwer, in der Schauspiel-Branche Freundschaften zu schließen? Da gibt es doch sicher viel Neid …
Es gibt bestimmt Neider. Zum Glück wurde ich damit noch nicht so stark konfrontiert. Wenn wir beim Casting mal für die gleiche Rolle vorsprechen, wünschen wir uns, dass eine von uns sie bekommt.
Können Männer gute Freunde sein?
Ich habe auch tolle männliche Freundschaften. Sie sind aber anders. Meinen Freundinnen gegenüber bin ich am Ende purer.
Was heißt das – purer?
Da gibt es keine Schutzfolien mehr, die ich vor mir hertrage.
Im Podcast sagt Jasna Fritzi Bauer, sie würde nur ins Dschungelcamp gehen, wenn ihre beiden Freundinnen mitkommen.
Jasna ist ein sehr spontaner Mensch. Ich kann Ihnen aber versichern: Ich würde nicht ins Dschungelcamp gehen! Jasna weiß das, und deshalb kann sie das auch so locker sagen.
Sie reden in dem Podcast über Probleme in der Schauspiel-Branche, über quälende Castings oder angedichtete Liebesverhältnisse. Selbst Toilettenprobleme am Set werden nicht ausgespart. Solche Dinge werden in Ihrer Branche sonst nicht öffentlich diskutiert …
Ich habe jetzt nicht das Gefühl, dass wir uns da wahnsinnig nackig machen. Bestimmt hauen wir auch mal ein paar Sätze raus, die wir in einem Interview nicht so locker-flockig sagen würden. Aber es fühlt sich für mich nicht an, als würde ich irgendwas preisgeben, was ich sonst nie preisgeben würde. Am Ende bleiben wir Schauspielerinnen und natürlich geht es auch immer um ein Geheimnis der Person. Es wird immer Themen geben, die wir nicht nach außen tragen.
Im Podcast sprechen Sie auch über ein Ihnen von einer Zeitung angedichtetes Verhältnis zu Jogi Löw. Wollten Sie das einfach mal klarstellen?
Nein. Mich hat nur damals erstaunt, was für eine Riesenwelle daraus gemacht wurde. Lustig fand ich, dass mich männliche Freunde gefragt haben, ob sie jetzt von mir Fußballkarten kriegen.
Was Ihrer schauspielerischen Arbeit zu schaffen macht, ist der Quotendruck. Sie Drei beklagen, dass Herzensprojekte nicht den Anklang finden, den Sie sich wünschen. Im Podcast gipfelt das in der Frage: Fernsehleute, warum macht ihr nicht die Quote weg? Wie kommt das in Ihrer Branche an?
Bei der Folge habe ich mich für meine Verhältnisse recht weit aus dem Fenster gelehnt. Ich war auf die Reaktionen gespannt. Aber es gab kein direktes Feedback. Was schade ist. Trotzdem, ich hätte mir mehr erwartet.
Mehr Austausch?
Ja. Ob es sich für andere Kollegen auch so anfühlt. Ob man sich eventuell gemeinsam dagegen starkmacht.
Vermiest Ihnen der Quotendruck Ihre Arbeit?
Nein. Ich spüre den Druck der Quote in dem Sinne nicht, weil ich bei manchen Projekten schon vorher weiß, dass sie sich niemand angucken wird. Aber ich nehme das in Kauf, weil die Rolle, die ich spiele, toll ist. Und am Ende gebe ich die Hoffnung einfach nicht auf.
Guckt sich das auch deshalb kaum einer an, weil solche Filme nicht selten nur im Spätprogramm versteckt laufen?
Ja. Ein Grund könnte aber auch sein, weil die Filme manchmal zu hart oder zu tragisch sind. Man muss auch gucken, in was für einer politischen Phase das gesendet wird. Aber es gibt definitiv Projekte, die mir so wichtig sind, dass ich unbedingt möchte, dass sie gesehen werden.
Sie waren Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission "30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit". Was haben Sie dort bewirken können?
Ich hatte einen etwas schwierigen Stand, weil 18 Politiker und nur zwei Schauspieler dabei waren: Jan Josef Liefers und meine Wenigkeit. Jan Josef ist selbst sehr politisch und war es schon zu Ostzeiten. Das ist mir nicht gegeben, weil ich damals noch zu jung war. Insofern gab es viele Themen, bei denen ich einfach nicht mitsprechen konnte, weil ich keinen Vergleich hatte. Aber ich konnte für die jüngere Generation hier und da das Wort einlegen und damit hoffentlich was bewirken.
In Ihrem Podcast stellen Sie Drei sich eine emotionale Intelligenz aus, hadern aber mit Ihrer Allgemeinbildung. Vermissen Sie es, nicht studiert zu haben?
Nein. Überhaupt nicht. Aber es gibt Themenbereiche, in denen ich mich nicht gut auskenne. Das ist auch völlig in Ordnung. Zum Glück bin ich mittlerweile alt genug, um zu sagen: Du, erklär’s mir mal. Es ist mir nicht mehr peinlich.
War es Ihnen früher mal peinlich?
Mit Anfang 20 hatte ich eine Phase, in der es mir unangenehm war, nachzufragen, wenn ich etwas nicht verstanden hatte. Ich dachte oft, dass ich das doch wissen müsste.
Wer hört sich Ihren Podcast an?
Vor allem Kollegen, auch viele junge angehende Schauspieler und Schauspielerinnen und Journalisten. Ich kann mir vorstellen, dass auch der eine oder andere Fan dabei ist.
Sie Drei machen den Podcast seit ein paar Wochen. Haben Sie sich dadurch neu kennengelernt?
Bisher hatten wir tatsächlich nur wenig über den Beruf gesprochen. Nun zeigen mir meine Freundinnen neue Seiten, von denen ich bisher noch nichts wusste. Das ist spannend.
Kommt das auch spontan?
Sehr. Manchmal besprechen wir vorher, worüber wir heute reden wollen, was uns wichtig ist oder wo wir landen wollen. Ansonsten geht es einfach los.
Bei den Drei Musketieren heißt es: "Einer für alle, alle für einen".
Wir Drei wissen, dass wir wahnsinnig loyal sind. Das heißt, zu 100 Prozent für die anderen da sind. Das gilt im Übrigen für den gesamten Freundeskreis.
Beziehungen gehen vorbei, Freundschaften bleiben ein Leben lang, sagt man.
Ja, meine Freunde sind meine Familie. Meine selbst ausgesuchte Familie!
BIOGRAFIE
Name: Anna Maria Mühe
Geboren am 23. Juli 1985 in Ost- Berlin
Familie: Ihr Vater ist der Schauspieler Ulrich Mühe, der vor allem durch seine Rolle des Stasi-Offiziers Gerd Wiesler in dem oscarprämierten Film "Das Leben der Anderen" berühmt wurde. Er starb 2007. Auch ihre Mutter Jenny Gröllmann und ihre Stiefmutter Susanne Lothar standen bis zu ihrem Tod vor der Kamera. Anna Maria Mühes Halbbruder ist der Fotograf Andreas Mühe.
Werdegang: Bereits mit 15 Jahren spielt sie in dem Jugend-Drama "Große Mädchen weinen nicht" gemeinsam mit Karoline Herfurth eine Hauptrolle. Einem breiten Publikum wird sie durch ihre eindrucksvollen Darstellungen in Kino-Filmen wie "Was nützt die Liebe in Gedanken" und "Novemberkind" bekannt. 2016 stellt sie in den Fernseh-Filmen "Die Täter – heute ist nicht alle Tage" und "Die Ermittler – nur für den Dienstgebrauch" die Rechtsextremistin Beate Zschäpe dar. Zuletzt ist sie unter anderem in dem Nachkriegs-Mehrteiler "Unsere wunderbaren Jahre" zu sehen. In der ZDF-Krimireihe "Solo für Weiss" gibt sie die Zielfahnderin Nora Weiss.
Preise: Anna Maria Mühe wird 2006 mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. Zehn Jahre später bekommt sie nach zahlreichen anderen Preisen auch den Bambi.
Privat: Sie lebt mit ihrer Tochter in Berlin.
Podcast: Mit Jasna Fritzi Bauer und Cristina do Rego gestaltet Anna Maria Mühe jede Woche eine neue Folge für "Unter Dry". Der Titel spielt sprachlich auf einen Journalistenkodex an, dass Informationen vertraulich behandelt werden sollen.