Von Jan Draeger
Hannover. Eigentlich handelt Dirk Roßmann mit Shampoos, Zahnpasta oder Waschmittel. Dem Unternehmer aus Hannover gehören Tausende Drogeriemärkte. Nun hat der 74-Jährige sich auf neues Terrain gewagt und einen Klimawandel-Krimi geschrieben. Mit Erfolg: "Der neunte Arm des Oktopus" verkauft sich so gut, dass er seit Wochen auf der Bestsellerliste weit oben steht. Mit unserem Autor Jan Draeger sprach Roßmann über die hohe Kunst des klaren Gedankens, Skat mit Gerhard Schröder und darüber, wann er 25 Prozent seines Vermögens abgeben würde.
Ihr Lieblingsphilosoph Arthur Schopenhauer hat einmal über das Schreiben gesagt: "Nichts ist leichter, als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss." Kennen Sie das Zitat?
Ich kenne es in anderer Verbindung. Schopenhauer hat gesagt: Wer klar denken kann, kann auch klar schreiben und klar reden. Der klare Gedanke ist die hohe Kunst.
Das war Ihnen auch bei Ihrem Buch wichtig?
Ja. Aber bei meinem Roman musste ich nicht alles in einem Satz auf den Punkt bringen, sondern auf 400 Seiten. Ich bin ja kein Philosoph.
Wären Sie gern einer geworden?
Philosoph ist ein großes Wort. Für mich ist "Balance" wichtig. Wir hatten gestern Besuch. Eine Freundin unserer Familie. Vor acht Wochen waren wir bei ihr eingeladen. Da stand massenhaft Essen auf dem Tisch. Ich fand das total übertrieben. Gestern habe ich ihr gesagt, dass es viel zu viel gewesen wäre. Eine kleine Kritik von mir. Meine Frau meinte hinterher, dass ich das lieber für mich hätte behalten sollen. Ich ärgere mich auch, wenn ich in einem Hotel sehe, wie sich manche Leute die Teller am Frühstücksbüffet vollpacken. Nach dem Frühstück haben sie dann immer noch die Hälfte auf dem Teller. Zu Balance gehört, dass man sich überlegt, was man isst und nicht dieses "Egal, es ist doch umsonst"-Verhalten.
Sie beschreiben sich selbst in Ihrer Biografie als "ein etwas verklemmtes, in sich gekehrtes Kind". Was würden Sie heute jemandem raten, der aus einer Verklemmung heraus will?
Ich habe zehn Jahre lang eine Therapie gemacht. Das war eine total spannende Lernerfahrung: Was ist eigentlich Menschsein? Wie ist das mit dem Selbstwertgefühl? Wie ist das mit Sensibilität und Empathie? In der Generation meiner Eltern und Großeltern hieß es noch: Klappe halten und weggucken. Nicht anecken. Nicht der demokratische, mutige Bürger sein, der sagt, was ihm gefällt oder nicht gefällt.
Sie haben die Schule gehasst, der Bundeswehr haben Sie sich verweigert. Mögen Sie keinen Druck von oben?
Zur Bundeswehr wäre ich ja gegangen. Aber ich habe damals immerhin fünf Personen – meine Großeltern, meine Mutter, meinen Bruder und mich – mit dem Laden ernährt. Wovon hätten wir leben sollen, während ich bei der Bundeswehr bin? Das war unsere Existenz, diese kleine 20 Quadratmeter große Drogerie. Die Bundeswehr hat das nicht interessiert. Dann habe ich gegen sie prozessiert, der Prozess lief noch und ich wurde trotzdem eingezogen. Ein halbes Jahr lang war ich dabei. Aber nur unter Protest!
Wollten Sie immer Chef sein?
Ja. Ich bin renitent und freiheitsliebend. Mir war es immer lieber, einen eigenen Kiosk an einer Ecke zu haben, als irgendwo arbeiten zu müssen, wo es mir nicht gefällt.
Sprechen wir über Ihren Roman. Sie haben die Story geträumt …
Den politischen Kern habe ich geträumt: Dass die drei Großmächte nicht wie bisher gegeneinander arbeiten, sondern vertrauensvoll miteinander. Alles andere ist später dazugekommen.
Der Plot ist, dass Russland, China und die USA in der Klimapolitik gemeinsam agieren. Ist das nicht naiv?
Ich habe einen Roman geschrieben und auch eine Provokation. Aber nehmen wir mal an, wir beide würden uns seit 30 Jahren kennen, aber immer nur streiten. Und plötzlich von heute auf morgen sind wir die besten Freunde und haben Verständnis füreinander. Das ist natürlich eine völlig verrückte Idee. Aber diese Idee entstand unter dem Druck, dass die Menschheit in den letzten 20 Jahren in Sachen Klima so viel Zeit verdaddelt hat.
Kann Misstrauen zwischen den USA, Russland und China wirklich überwunden werden?
Wichtig ist, dass aus Misstrauen Vertrauen wird. In meinem Buch schließen sich die drei Länder zu einer Allianz zusammen, weil sie drei Ziele haben: Kampf gegen die Erderwärmung, Begrenzung der Weltbevölkerung und totale Abrüstung. Diese Ziele finde ich vernünftig. Wenn sich die Temperatur auf unserer Erde um mehrere Grad erwärmt, sind die Folgen katastrophal. Wir rasen mit 200 Sachen gegen eine Betonmauer.
Neben Kamala Harris, die in Ihrem Buch schon US-Präsidentin ist, treten auch Xi Jinping, Wladimir Putin und Gerhard Schröder auf. Wer von denen hat Ihr Buch gelesen?
Schröder hat es gelesen. Und er hat es mit nach Moskau genommen, um es jemandem zu übergeben, der es Putin gegeben hat. Ich habe da eine Widmung reingeschrieben: "Ihr kleiner Rasputin". Das heißt: Ihr kleiner Wahrsager. Ob Putin das Buch gelesen hat, weiß ich nicht, aber er hat es. Und vielleicht wird er ja mal hineinschauen.
Um alles zu finanzieren, wird in Ihrem Buch von Kamala Harris eine einmalige Vermögenssteuer angekündigt. Würden Sie zahlen?
25 Prozent! Das würde ich gerne machen. Wenn es darum geht, die Existenzgrundlage für Kinder und Kindeskinder zu erhalten, können reiche Leute locker ein Viertel ihres Vermögens abgeben.
Auf Buchrücken sind oft lobende Worte von Feuilletonredakteuren zu lesen. Bei Ihnen steht: "Das ist Hammer. Super spannend. Respekt!". Das hat Udo Lindenberg formuliert. Tut sich das Feuilleton schwer, Ihr Werk anzuerkennen?
Ich kann mich nicht über die Reaktionen beschweren, die waren zum großen Teil super. Aber es haben sich viele, was das Feuilleton angeht, zurückgehalten. Dort scheint man einen großen Bogen um das Buch zu machen. Als ob man Berührungsängste mit dem Thema hat.
Würden Sie sich ins Literarische Quartett trauen?
Sofort.
Am Ende beschreiben Sie in Ihrem Buch eine Skatrunde, unter anderem mit Gerhard Schröder und Ihnen. Wie spielt unser ehemaliger Kanzler?
Die Runde gab’s tatsächlich. Schröder ist ein ganz raffinierter Skatspieler. Er gewinnt auch meistens.
Und Sie?
Die Raffinesse von Schröder habe ich nicht. Ich verliere manchmal, weil ich Risiken eingehe. Aus Freude am Spiel.