Von André Wesche
Spätestens seit seinem internationalen Besteller "Ich weiß, was du denkst" zählt Mentalkünstler Thorsten Havener zu den führenden Experten auf dem Gebiet der Körpersprache. In seinem neuen Buch "Ich sehe das, was du nicht sagst" lässt der 48-Jährige die Leser an seinen faszinierenden Erkenntnissen und Methoden teilhaben. André Wesche sprach mit Havener über menschliche Gemeinsamkeiten, geschlechtsspezifische Unterschiede und Körpersprache in Zeiten der Schutzmasken.
Herr Havener, als Familienvater müssen Sie ein ziemlicher Albtraum sein, oder?
Thorsten Havener: Ich hoffe nicht. Ich weiß natürlich, worauf Sie anspielen: dass ich jetzt jede Geste analysiere und alles, was gesagt wird, direkt in einen Kontext bringe. Ich habe mir ganz fest vorgenommen, das nie zu tun. Und ich schaffe das auch ganz gut. Das Familienleben hier spiegelt eigentlich gut, dass ich als Vater kein Albtraum bin, sondern jemand, dem man vertrauen und zu dem man immer kommen kann, wenn einen als Sohn oder Tochter etwas bedrückt. Dieses ständige Bewerten und Einordnen wäre im Privatbereich nicht nur sehr ermüdend, sondern einfach idiotisch.
Können Sie es abstellen, Menschen zu lesen?
Ich kann es abstellen, ständig zu bewerten und laut auszusprechen, was ich da sehe. Als Mensch hat man ja viele verschiedene Rollen. Man ist nicht nur der Buchautor oder nur der Bühnenkünstler oder nur der Körperleser. Man ist auch der Vater, der Ehemann und der Freund. Und innerhalb dieser Rollen ändert man sich, worauf ja auch ein Teil des Buches eingeht. Wer sind wir alles und wie können wir alle diese Rollen unter einen Hut bringen? Das sind spannende Themen.
Wäre die Welt eine bessere, wenn das, was Sie in Ihrem Buch vermitteln, zur menschlichen Grundausstattung gehören würde?
Ich denke schon. Ein Prinzip, auf das ich immer wieder hinweise, ist, dass Liebe und Zuneigung die stärksten Kräfte sind, aus denen heraus wir handeln sollten. Liebe ist natürlich ein großes Wort und mittlerweile leider schon ein bisschen abgedroschen. Aber sie ist nun mal eine unheimlich starke Kraft und letzten Endes unser Antrieb. Das sollten wir uns hin und wieder mal klarmachen, darüber reflektieren und uns in der Art und Weise, wie wir mit anderen Menschen umgehen, ins Bewusstsein rufen. Das bedeutet nicht, dass man immer nett und lieb und freundlich sein muss. Wir müssen auch mal Strenge zeigen und sagen können: Ich möchte das jetzt nicht! Wenn man in der Lage wäre, das liebevoll zu machen, dann wäre die Welt eine bessere, ja.
Wie sehr unterscheiden sich Männer und Frauen?
Ich habe herausgefunden, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen als Gruppe gar nicht so stark sind, wie die Unterschiede zwischen Männern generell und Frauen generell. Zwischen Ihnen und mir kann es in der Körpersprache, im Verhalten, im Bewerten oder in den Wünschen, die wir haben, durchaus mehr Unterschiede geben als zwischen mir und einer Frau. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern, schon rein biologischer Natur, aber auch in der Auffassung – also wie wir die Dinge betrachten – und im Denken. Aber es gibt auch Männer mit mehr Östrogen und Frauen mit mehr Testosteron. Und dann gleicht sich das schon wieder aus. Hier Pauschalurteile zu fällen, ist bedenklich.
Gibt es auch bei der Körpersprache Dialekte, also regionale Besonderheiten?
Ja, das geht schon innerhalb von Deutschland los. Je weiter nördlich wir uns bewegen, umso weniger wird gestikuliert und umso mehr Abstand halten die Menschen voneinander. Dieses Distanzierte, das man immer dem Norden zuschreibt, hat tatsächlich eine gewisse Berechtigung. Es gibt Studien, die das beweisen. Aber es mag auch Italiener geben, die überhaupt nicht gestikulieren und Norddeutsche, bei denen es ganz ausgeprägt ist. Auch hier kann man nicht pauschalisieren, aber die Tendenz ist ganz klar da. Ich hatte mal in Griechenland einen Zuschauer auf der Bühne, der mir aus meiner Perspektive immer mehr auf die Pelle gerückt ist. Immer eine Spur näher, als es für mich noch angenehm gewesen wäre. Ich bin immer einen kleinen Schritt zur Seite gegangen, bis wir am Bühnenrand standen. Im Nachhinein wurde mir klar, dass die angemessene Distanz für einen Griechen eine andere ist als für mich. So können Sie übrigens auch testen, ob Sie mit einem Gegenüber dieselbe Wellenlänge teilen und näherkommen dürfen. Weicht die Person einen Schritt zurück, müssen Sie noch daran arbeiten.
Die Schutzmasken werden noch lange Bestandteil unseres Alltags sein. Glauben Sie, dass diese Tatsache unsere Kommunikation nachhaltig verändern wird?
Ich glaube nicht, dass sich unsere Kommunikation nachhaltig verändern wird. Sie wird sich verändern, solange die Masken noch ein Thema sind. Vor sieben Jahren war mein erstes Buch ein großer Bestseller in Japan und ich wurde zu einer Lesereise eingeladen. Dort sind in der U-Bahn und auf der Straße viele Menschen mit Schutzmasken herumgelaufen. Das wirkte für mich als Europäer erst mal auffällig. Mir ist schnell aufgefallen, dass Japaner und Asiaten allgemein eine stärkere Körpersprache und eine stärkere Mimik haben. Mittlerweile führe ich das auch auf die Masken zurück, abgesehen davon, dass es ein anderer Kulturkreis ist, in dem ohnehin anders kommuniziert wird. Sobald die Japaner die Masken aufhatten, haben sie ihre Sprache stärker mit Gesten unterstützt. Diesen Tipp gebe ich den Menschen hier auch, weil wir dann einfach besser zu lesen sind. Das macht es für unser Gegenüber sehr viel angenehmer. Wenn die Masken bei uns tatsächlich bleiben sollten, was niemand weiß, ich mir aber eigentlich nicht vorstellen kann, würden sich Körpersprache und Kommunikation langfristig ändern, ja.
Info: Thorsten Havener: "Ich sehe das, was du nicht sagst", Verlag Yes Publishing, 208 Seiten, ISBN 978-3-96905-020-0, 19,99 Euro.