Von Klaus Welzel
Sie heißen EQ Electric Intelligence, I-Pace, E-Tron oder tragen einfach nur den Zusatz i. Die Autohersteller bemühen sich, schon bei der Typenbezeichnung ihrer Elektrofahrzeuge futuristisch daherzukommen. Was bei den Namen gut gelingt. Doch halten die E-Autos auch, was die jeweilige Marketing-Abteilung verspricht? Fünf Thesen, die am Beispiel des Audi E-Tron 55 quattro den Stand der Dinge festhalten.
These I: E-Autos sehen fast genauso aus wie normale Autos
Eigentlich ist bei dieser Technik alles drin: Runde Karosserien, drehbare Sitze, Glasdächer, Kofferraum vorne. Doch die Zukunft ist beim Audi E-Tron vor allem eines: eckig. Und ziemlich spitz. Sie ragt seitlich heraus, unfallträchtig. Dort, wo andere Autos Außenspiegel haben (zugestandenermaßen nicht immer die schönsten Stellen an der Karosserie) ragen hier zwei Kameras in die Fahrbahn hinein. Hoffentlich bleibt da kein Radler hängen. Eine Vorahnung.
So beginnt meine kurze Zukunft mit einem Elektroauto aus dem Haus, das völlig zurecht Vorsprung durch Technik für sich reklamiert. Ein Versprechen, das meistens in Erfüllung geht.
Schade, dass beim an sich ziemlich eleganten SUV der Oberklasse diese Design-Sünde zuerst auffällt. Schade, dass ich mich auch im Innern mit dem aufpreispflichtigen Extra (1500 Euro) nicht werde anfreunden können. Denn es nervt. Es nervt, den Blick immer wieder vom Seitenfenster nach unten korrigieren zu müssen. Es nervt, wenn dann im Regen hinter einem die anderen Verkehrsteilnehmer nur noch blenden. Doch trotz aller Nerverei gibt es den Riesenvorteil, dass dieses System keinen toten Winkel mehr zulässt. Immerhin.
These II: Wer E-Auto fährt, tut Gutes
Elektroautofahren hat – wenn alles glatt läuft – fast nur gute Seiten. Zuallererst: Der E-Tron stinkt kein bisschen. Weder bläst er Abgase in Richtung Hintermann noch sorgt er für stickige Luft im Wageninnenraum. Gäbe es nur noch Elektroautos, die Fahrten in deutsche Innenstädte, über vollgestopfte südeuropäische Landstraßen oder durch den Gotthard-Tunnel hätten fast gänzlich ihren Schrecken verloren. Schön, so abgasfrei unterwegs zu sein. Und die Passanten würden es auch danken, statt einem lauten Blitzstart eines Verbrenners dem nahezu lautlosen raketenähnlichen Erlebnis eines Stromerblitzstarts zuzuschauen. Ja, Poser aller Länder: Gebt auf!
Gewöhnungsbedürftig: Der Außenspiegelblick per Bildschirm in der Beifahrertür. Foto: JoeThese III: Nur Fliegen ist schöner
Womit wir schon mitten im zweiten dicken Plus auch dieses SUV wären, der mit seinen über 2,5 Tonnen satt auf der Straße liegt und doch gleitet wie eine sehr zügige S-Bahn. Auto-Ingenieure haben sich anscheinend dafür entschieden, dass bahntypische Anfahrtszischen zu imitieren. So klingt es dann, sobald es losgeht. Um noch mal kurz auf die Poser zurückzukommen: Vergesst es! Kein Benziner kann mithalten – obwohl der E-Tron 55 Quattro mit einen 265 kW Leistung auf dem Papier satte 6,6 Sekunden von Null auf 100 benötigt. Gefühlt viel schneller.
So sitzt man in dieser Rakete, die auspufflos keinerlei Aggressionen bei Hardcore-Ökos hervorruft, und freut sich über das fließende Fahrerlebnis. Gesteigert wird die Freude an dieser Stelle durch das eingelöste Vorsprung-Technik-Versprechen: Das Fahrzeug bewegt sich bei entsprechender Einstellung adaptiv zum Verkehr. Es bremst sich von alleine ein – vorausgesetzt, die Elektronik erfasst die Autoschlange vor einem im richtigen Winkel. "Gasgeben" muss dann aber der Fahrer wieder selbst.
Es ist nicht so, dass man durch diese Bedienungshilfen wirklich das Steuer abgeben würde, aber gerade im Stadtverkehr wirkt das alles äußerst entspannend. Womöglich hupt der E-Tron noch in letzter Sekunde. Habe ich aber nicht ausprobiert. Dafür treibt er ein anderes Spielchen mit mir.
These IV: Auto-Ingenieure sind gelegentlich zu technikverliebt
Manchmal ist die Technik nämlich vorlaut. In der Dunkelheit hinter einem – sagen wir einmal etwas langsamer fahrenden Auto –, blendet die Elektronik des Testfahrzeugs frech und blitzhell auf. Der Grund für diesen Alarm des Nachtsichtassistenten ist aber nicht die übertriebene Schleicherei, sondern ein Fußgänger, der brav an der Ampel auf "Grün" wartet. Ergebnis: Der Wartende hebt drohend die Faust, der Vordermann, der sich als Vorderfrau entpuppt, fährt eingeschüchtert rechts ran. Der Testfahrer ist als Rüpel blamiert. Ohne eigenes Zutun. Einen schönen Salat haben die Ingolstädter Tüftler mir da beschert.
Dafür entschädigt das Interieur des Geländewagens, in dem Zwei-Meter-Menschen auch zu viert ausreichend Platz finden. Alles edel verarbeitet (was man in dieser Preisklasse natürlich auch erwartet). Besonders erfreulich jedoch das Raumklima, das sich deutlich vom schmuddeligen Herbstwetter abhebt und sich auch deshalb gut temperieren lässt, weil Audi auch die digital abgebildeten Schalter in gewohnter Anordnung platziert. Freilich ist das Agieren auf dem nahezu tastenfreien Armaturenbrett gewöhnungsbedürftig. Zumal die tollen Displays zum Blackout neigen, sobald sich der E-Tron einem Funkloch nähert. Dann wird alles schwarz. Das Telefonat via Freisprechanlage – unterbrochen. Kein Navi. Nichts. Gut 500 Meter später rebootet das System und fährt wieder hoch. Beim ersten Mal sorgt der Zusammenbruch für einen Schrecken in der Nacht, beim zweiten und dritten Mal wirds Routine. Dennoch ärgerlich.
These V: E-Autos sind für den Sommer gebaut
Die Reichweite ist bekanntlich der Lackmustest eines jeden Elektroautos. Und da patzt der E-Tron, bei dem es sich ansonsten um ein tolles, auch schön designtes Auto handelt, leider sehr heftig. Bei sommerlichen Temperaturen von 25 Grad ohne großen Gegenwind können es (oder sollen es laut Hersteller) gut 400 Kilometer sein. Dass dieser Wert im Winter nicht zu halten sein wird, macht schon der Fahrer deutlich, der den Wagen von Ingolstadt nach Heidelberg brachte. Zweimal musste er auf der 300 Kilometer langen Strecke tanken. Ging bei Ionity, dem Stromtankstellennetz der deutschen Autobauer, auch fix. Doch die 50-kW-Ladestationen gibt es ausschließlich längs der Autobahnen. Müssen hier 20 bis 30 Minuten Ladezeit eingeplant werden, sind es an den herkömmlichen "Zapfsäulen" gut eineinhalb Stunden, die es zu überbrücken gilt. Die übliche Tankdauer übrigens, die mich zumindest im Sommerhalbjahr veranlasst, stets ein paar Laufschuhe in den Kofferraum eines E-Autos zu legen, um mir joggend die Zeit zu vertreiben. Das ist jetzt auch wieder fällig, macht im regnerischen November aber effektiv keinen Spaß. Und wenn bei einer reellen Reichweite von maximal 250 Kilometer die Reserve schon bei 60 Kilometern Reststrecke Alarm schlägt, dann dämpft das den Fahrspaß ungemein.
Das Gegenrezept? Schwierig. Denn es ist nicht das Tempo, das hier den Strom aus der 700 Kilogramm schweren Batterie zieht, sondern das Wetter. In der Startphase benötigt der E-Tron fast 40 kW auf 100 Kilometer, auf der Landstraße kann die 30 geradeso unterboten werden. Ideal wären aber 23 bis 24 kW. Die 200er-km/h-Grenze, die das Werk vorgibt, wird während des Tests kein einziges Mal auch nur anvisiert. Trotzdem war ich noch nie so oft und so lange tanken wie in diesem tristen November.
Fazit: So schön das E-Auto-Fahren auch ist, die Technik hinkt hinterher. Und ohne die Steuerzuschüsse würden sich die überteuerten Fahrzeuge auch kaum verkaufen. Zur Ökobilanz lässt sich keine verlässliche Aussage machen. Alles hängt davon ab, wie lange die Batterien im realen Betrieb halten. Die Zukunft bleibt hier Zukunft. Im Jetzt ist die E-Mobilität eine luxuriöse Spielerei – Spaß macht sie trotzdem.
HINTERGRUND
Der Elektroboom
Jahrelang dümpelten die Zulassungszahlen vor sich hin. Doch seitdem die Bundesregierung die Anschaffung von Elektrofahrzeugen steuerlich fördert (bis zu 9000 Euro) boomt der Markt. Waren es 2019 noch 60.000 E-Autos, so wurden in diesem Jahr bis November über 150.000 reine E-Autos zugelassen und fast eine Viertelmillion Hybridfahrzeuge, die über einen zusätzlichen Elektromotor mit Reichweiten von 40 bis 60 Kilometern verfügen. Zugleich besitzen über sieben Millionen Bundesbürger ein E-Bike, Tendenz steigend.
Problem Nachhaltigkeit
Entscheidend ist vor allem, wie der getankte Strom zuvor produziert wurde. Stammt er aus regenerativ gewonnener Energie wie z.B. Wind, Sonne, Erdwärme, dann ist die CO2-Bilanz des E-Fahrzeugs eindeutig "grüner" als die herkömmlicher Motoren. Stammt er aus Kohlekraftwerken, bleibt ein Diesel-Fahrzeug bei bis zu 80.000 Kilometer Jahresleistung die sauberere Alternative. Problematisch ist beim E-Auto auch die Batterieherstellung, deren Herstellung mit bis zu 15 Tonnen CO2-Belastung veranschlagt wird (s. a. Haltbarkeit).
Zu wenige Ladestationen
Bundesweit gibt es mehr als 21.000 Ladestationen in Deutschland (und gut 14.000 Tankstellen für Verbrennungsmotoren). Benötigt würden aber deutlich mehr. Die Bundesregierung hat als Ziel eine Million öffentliche Ladepunkte bis zum Jahr 2030 vorgegeben. Da E-Autos teilweise mehrere Stunden geladen werden müssen und viele Menschen eben nicht über die Möglichkeit verfügen, ihr Fahrzeug vor der Haustür über Nacht an einer Wallbox aufzuladen, ist der Bedarf so hoch. Das Laden an der heimischen Steckdose würde Tage dauern.
Thema Haltbarkeit
Die Elektroflotte ist weltweit noch zu jung, um hier ein abschließendes Urteil zu treffen. Im November 2019 sorgte der Deutsche Hansjörg-Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg für Furore, der mit seinem Tesla S bei einer Jahresleistung von 200.000 Kilometern bereits eine Million Kilometer gefahren war – mehr als ein Verbrenner je leisten kann. Allerdings kaufte der Freiherr mit dem Tesla eine Achtjahresgarantie auf Motor und Batterie ohne Kilometerbegrenzung. Der Motor wurde zweimal auf Garantie getauscht, die Batterie einmal.
Der Audi E-Tron
Die Ingolstädter belegen in Sachen E-Auto-Verkauf mit dem E-Tron in diesem Jahr vermutlich einen Spitzenplatz: circa 25.000 Fahrzeuge weltweit. Zum Vergleich: Der Renault Zoe ist bisher in Deutschland der beliebteste Stromer (über 10.000) und überholt damit Tesla und den eGolf. Der Grundpreis des E-Tron liegt bei 82.350 Euro, die Motorstärke misst 300 kW, die Akkukapazität 95kWh. Der E-Tron ist bei 200 km/h abgeriegelt. Getankt wird entweder per Chip oder Smartphone-App. Die Kosten liegen circa bei acht Euro pro Tankfüllung.