RNZ-Interview

Schauspielerin Susanne Bormann über Die DDR

Das Erste präsentiert das packende Drama "3 ½ Stunden" im Rahmen eines Themenabends "60 Jahre Mauerbau" am Samstag, 7. August, um 20.15 Uhr.

30.07.2021 UPDATE: 06.08.2021 06:00 Uhr 5 Minuten, 2 Sekunden

Foto: dpa

Berlin. Am 13. August 1961 verlässt ein Interzonenzug den Münchner Hauptbahnhof mit dem Ziel Ost-Berlin. An Bord befinden sich zahlreiche DDR-Bürger. Unterwegs ereilt die Fahrgäste die Nachricht vom Mauerbau. Auch das Ehepaar Kügler mit seinen zwei Kindern muss abwägen, ob man vermutlich für immer in den Arbeiter- und Bauernstaat zurückkehrt, oder ein neues Leben im Westen beginnt. Das Erste präsentiert das packende Drama "3 ½ Stunden" im Rahmen eines Themenabends "60 Jahre Mauerbau" am Samstag, 7. August, um 20.15 Uhr. Unser Mitarbeiter André Wesche sprach mit Schauspielerin Susanne Bormann (42, "Russendisko"). Sie übernahm die Rolle der Marlis Kügler, die als Mutter vor der härtesten Entscheidung ihres Lebens steht.

Frau Bormann, die Fahrgäste des Zuges müssen in kurzer Zeit Lebensentscheidungen treffen. Wenn sie Pro und Kontra abwägen, werden sowohl die DDR als auch die BRD ambivalent dargestellt. War es gerade diese Herangehensweise, die Sie gereizt hat?

Genau, ja. Das fand ich phänomenal. Ich hatte das Gefühl, dass sich anscheinend etwas in der Erzählweise über die DDR bewegt hat. Ein solcher Stoff wäre vor zehn bis 15 Jahren bestimmt noch nicht so ambivalent erzählt worden. Vieles wurde eindimensionaler dargestellt, nach dem Motto: "Alle wollen immer nur weg aus der DDR." Dieses differenzierte, ambivalente Erzählen von "3 ½ Stunden" hat mich sehr interessiert. Der Regisseur hat schon beim Casting eine große Offenheit an den Tag gelegt. Wir haben lange über die DDR, über meine Familiengeschichte und das Potenzial der Figur geredet. Dieses Ringen der beiden Eheleute, die ihre Lebensentwürfe gegenüberstellen. Wie wäre ein Leben für uns in der BRD? Und wie wäre ein Leben in der DDR? Wir haben noch viel entwickeln dürfen, auch eigene Texte sind eingeflossen. Es war dem Regisseur wichtig, dass es nicht nur eine emotionale Entscheidung ist, sondern dass es auch wirklich einen Lebensentwurf gibt, den man dem System gegenüberstellt: "Das sind meine Werte und dafür kämpfe ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dort auf der anderen Seite zu leben. Da verrate ich mich." Diese komplexen Zusammenhänge der Identität, der Integrität.

Gestatten Sie eine hypothetische Frage: Wenn Sie mit dem Wissen von heute als Marlis Kügler in diesem Zug gesessen hätten, wären Sie ausgestiegen oder geblieben?

Ich kann das gar nicht beantworten. Genauso wie Marlis das nicht beantworten kann. Da streiten sich so viele Geister in ihrer Brust. Da ist ja auch noch diese emotionale Entscheidung für den Vater, dem sie verpflichtet ist. Einen Vater, der für die kommunistische Idee, an die er geglaubt hat, im Lager gelitten hat. Sie würde ihn verraten und ihm in den Rücken fallen, wenn sie in den Westen geht. Man kann sich ja ausmalen, was dann passiert wäre. Er würde wahrscheinlich sämtlicher Ämter enthoben und hätte kein schönes Leben mehr. Ich als freiheitsliebender Mensch, als Susanne, wäre wahrscheinlich ausgestiegen. Für das Ehepaar in dieser Situation ist das unlösbar. Deshalb lösen die Figuren das nicht, ihre Kinder tun es. Ich kann diese Zerrissenheit vollkommen nachvollziehen, dieses Nicht-fällen-Können der Entscheidung und dieses Emotional-Entzweigerissenwerden. Diese Entscheidung ist so unmenschlich.

Hat die Brutalität der Mauer auch in Ihrem Umfeld Menschen vor diese unmenschliche Frage gestellt?

Absolut. Eine Tochter von Freunden meiner Eltern hat als Teenager mit einigen Klassenkameraden "Neue Männer braucht das Land!" an die Wand gesprüht. Die ganze Gruppe ist dafür in Untersuchungshaft gekommen und die meisten haben sich ganz schnell vom Westen freikaufen lassen. Sie aber wollte nicht weg aus der DDR und hat ein halbes Jahr im Knast verbracht und musste danach feststellen, dass sie durch diese Geschichte keinerlei Ausbildungsmöglichkeiten und Berufschancen in der DDR bekam. Sie hat dann doch einen Ausreiseantrag gestellt und musste innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen. Aber eigentlich wollte sie in der DDR bleiben und von innen heraus etwas verändern. Klar, mit dem Wissen von heute hätte man natürlich sagen können, dass diese Utopie von einer Systemänderung von innen und die Idee von einer besseren Welt in der DDR gescheitert sind.

Sie haben zehn Jahre lang die DDR erlebt. Wurde bei Familienfeiern vom Westen geträumt oder war man im Großen und Ganzen glücklich?

Wir konnten die Familienfeiern nicht zusammen begehen, weil mein Onkel im Westen war. Er ist ganz kurz vor dem Mauerbau abgehauen und hat sich nie wieder zurückgetraut. Er hatte immer Angst, dass die ihn einsacken und dabehalten. Man konnte sich dann nur zum Beispiel in Prag treffen. Uns Kinder haben sie da nicht mitgenommen. Das war immer noch irgendwie heiß. Ich habe meinen Onkel erst nach der Wende gesehen. Das war für meinen Vater ganz schlimm, es war sein einziger Bruder. Er hat ihn sehr geliebt und ihn kaum gesehen.

Marlis Kügler würde in der BRD wahrscheinlich Hausfrau und Mutter werden. Auf der anderen Seite porträtiert der Film eine ostdeutsche Lokführerin. Waren Frauen in der DDR emanzipierter, standen ihnen mehr Wege offen als in der Bundesrepublik?

Dass Frauen berufstätig waren, hatte in der DDR eine ganz andere Normalität. Im Westen war es damals gar nicht erwünscht, man musste als Frau den Arbeitsvertrag vom Mann unterschreiben lassen, der entscheiden durfte, ob seine Frau arbeiten geht oder nicht. Was diesen Punkt angeht, war man auf der anderen Seite in der Emanzipation schon weiter. Frauen haben sich ganz anders definiert. Man hat nicht in Frauenberufe und Männerberufe unterschieden, als Frau hatte man Zugang zu allen. Andererseits gab es zum Teil eine Benachteiligung der intellektuellen Familien. Kinder aus intellektuellen Haushalten durften mitunter nicht studieren, weil man die Arbeiterkinder bevorzugt hat. Da gab es dann halt andere Ungleichgewichte und du konntest an sehr vielen Punkten trotzdem durchs Raster fallen, bestimmt auch als Frau. Es war auch nicht so, dass du deinen Beruf ganz frei wählen durftest, es wurde danach geguckt, was gebraucht wird. Als Mann musstest du manchmal ewig in der Armee dienen, um dir ein gewisses Studium sozusagen zu erkaufen. Und die Frauen durften den Haushalt und die Kinderbetreuung dann auch noch machen, neben der beruflichen Tätigkeit.

Eine ewige Frage lautet: "Dürfen westsozialisierte Filmemacher DDR-Themen aufgreifen?" Also: Dürfen sie?

Klar. Ich finde es toll, dass dieser Stoff vom westsozialisierten Regisseur Ed Herzog souverän erzählt wurde. Der Autor Robert Krause wiederum stammt aus dem Osten und das merkt man dem Buch auf positive Weise an. Ich finde es wichtig, dass Filme über diese Thematik gemacht und Geschichten aus der DDR erzählt werden. Wenn sich jetzt mehr Westleute daran trauen, ist das gut. "Barbara" von Christian Petzold fand ich einen tollen Film. Da dachte ich zum ersten Mal: "Ja, das ist meine DDR! Ich rieche die, ich schmecke die, wenn ich diesen Film gucke. Das ist ja krass, das ist meine Heimat." Und Christian Petzold kommt ja auch aus dem Westen. Auch hier bei 3 ½ Stunden konnte ich Vorschläge machen: "Guck mal, bei mir in der Familie war das so und so. Vielleicht können wir da was rausziehen?" Die Frage ist, inwieweit man diese emotionale Tragweite nachfühlen kann, wie schmerzhaft diese Geschichten waren. Wenn man diese Zerrissenheit kennt und weiß, wie es ist, mit der Gewissheit auf eine Landkarte zu gucken, viele Orte niemals sehen zu dürfen. Ich würde mich freuen, wenn auch mehr Leute aus dem Osten Filme über den Osten machen, weil ich glaube, dass dieser Schmerz und die Ambivalenz der DDR dann sehr präsent sind und sehr gut nachempfunden und umgesetzt werden können.

Erinnern Sie sich noch an die Dreharbeiten zu Michael Gwisdeks Regiedebüt "Treffen in Travers" aus 1987?

Ja klar! Es war toll, ein Spielplatz für mich, Wahnsinn! Ich war als Kind schon ein großer Verkleidungsfan und durfte das ungebremst in einem richtigen Film machen, einfach so eintauchen. Ich habe immer schon meine Geschichten gespielt und eigene Fantasiewelten gebaut. Und dann stand ich in der Kulisse mit ondulierten Haaren und durfte in die Vollen gehen – das war großartig! Mit Corinna Harfouch habe ich direkt danach noch mal einen Film gemacht, wo sie auch wieder meine Mutter gespielt hat. Es war eine sehr schöne Beziehung, die sich da entwickelt hat. Eine ganz tolle Erfahrung.

Hintergrund

BIOGRAFIE

Name: Susanne Bormann

Geboren am 2. August 1979 in Kleinmachnow (DDR).

Ausbildung: Susanne Bormann war schon während ihrer Schulzeit in der Schauspielerei tätig. Von 2000 bis 2005 studierte sie an der Hochschule für Musik und

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BIOGRAFIE

Name: Susanne Bormann

Geboren am 2. August 1979 in Kleinmachnow (DDR).

Ausbildung: Susanne Bormann war schon während ihrer Schulzeit in der Schauspielerei tätig. Von 2000 bis 2005 studierte sie an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Bis 2006 gehörte sie dem Ensemble des Staatstheaters Nürnberg an.

Filme:Bereits im Alter von acht Jahren stand Susanne Bormann für Michael Gwisdeks Defa-Film "Treffen in Travers" vor der Kamera. Zu ihren bekanntesten frühen Kinoauftritten zählen "Schlaraffenland" (1999, mit Franka Potente, Heiner Lauterbach und Daniel Brühl), "Freunde" (2000, mit Benno Fürmann und Matthias Schweighöfer) und "Liegen lernen" (2003). 2005 spielte Bormann die Titelrolle in dem Kinofilm "Polly Blue Eyes", 2014 die warmherzige Hanna im Film "Russendisko". Im Fernsehen war sie vor allem in Krimiserien wie "Die Männer vom K3" zu sehen. Von 2012 bis 2015 spielte Bormann in der ZDF-Krimi-Serie "Letzte Spur Berlin" mit.

Theater: Bei den Nibelungenfestspielen Worms 2009 gab Susanne Bormann in John von Düffels Komödie "Das Leben des Siegfried" die Kriemhild.

Privat: Sie lebt mit dem Schlagzeuger Nicolai Ziel ("Dota und die Stadtpiraten") und zwei Töchtern in Berlin. teu

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