Von Volker Österreich
Heidelberg. Was kann sie eigentlich nicht? Bei Adriana Altaras ist diese Frage kaum zu beantworten, denn sie ist als Opernregisseurin, Schauspielerin und Schriftstellerin ein wahres Multitalent, geadelt mit einem hellwachen Geist, einem kritischen Blick auf unsere Gesellschaft und einem quirligen Naturell.
Wie sehr sie vor Energie sprüht, zeigt sich sogar beim Termin mit der RNZ-Fotografin: "Ich kann nicht stillhalten", entschuldigt sich die gerade herbeigeradelte Künstlerin beim Fotoshooting vor dem Heidelberger Theater. Dort probt sie derzeit Giacomo Puccinis "Madama Butterfly", am kommenden Samstag steigt die Premiere im Marguerre-Saal.
Es ist das Heidelberg-Debüt der in Berlin lebenden Künstlerin, die bereits an vielen großen Häusern gespielt und inszeniert hat: in der Berliner Staatsoper und im dortigen Maxim-Gorki-Theater, im Staatstheater Wiesbaden, aber auch in Kassel, Osnabrück, Bern oder Linz: Figaro hier, Adriana da. Ihre Regiearbeiten und die vielen Autorenlesungen aus ihren Büchern bringen es mit sich, dass sie jährlich rund sechs Monate unterwegs ist, nicht einfach für einen ausgeprägten Familienmenschen wie sie.
Das Kino- und Fernseh-Publikum kennt Adriana Altaras aus Petra Haffters Tatort "Gefährliche Übertragung" (1997), aus Dani Levys grandioser Komödie "Alles auf Zucker" (2004) oder aus der wunderbar durchgeknallten Comic-Groteske "Kondom des Grauens". Auch in Filmen von Rudolf Thome oder Veit Helmer war sie zu sehen. Und im Heidelberger Gloria-Kino wurde gerade Regina Schillings Film "Titos Brille" (2014) gezeigt, basierend auf dem gleichnamigen autobiografischen Buch von Adriana Altaras. In diesem Roadmovie reist sie auf der Suche nach ihrer Familiengeschichte durch Kroatien. Dort wurde sie 1960 als Tochter ehemaliger jüdischer Partisanen geboren.
Der Opern-Virus hat Adriana Altaras vor etwa zehn Jahren angesteckt. Seitdem inszeniere sie jährlich drei Werke, "Puccini bereits zum zweiten Mal." Beim Gespräch mit der RNZ gesteht sie, dass ihr manche der allzu simpel und gefühlsduselig gestrickten Opernlibretti keine Freudentränen in die Augen treiben: "Die Form, in der Frauen auf der Opernbühne sterben, geht mir zunehmend auf die Nerven."
Sagt’s, nimmt einen Schluck Cappuccino und ergänzt ihre Sicht auf die arme Butterfly, die ein Opfer der reinen Männerfantasie sei: "Sie wird regelrecht filetiert, ist arm, wird verlassen, des Kindes beraubt und ist am Ende tot." Diese Figurenzeichnung sei schwer zu ertragen, "erst recht seit der MeToo-Debatte". Besser gefalle ihr da schon der Charakter von Puccinis Tosca.
Sie stürze sich zwar am Ende von der Engelsburg in Rom, aber wenigstens würden die Denkprozesse und die konsequente Haltung der Titelheldin deutlich. Bei Butterfly, der japanischen Geliebten des amerikanischen Marineoffiziers Pinkerton, sei das nicht der Fall. Also eine echte Herausforderung für die Regisseurin, sich der "Madama Butterfly" zu stellen. Puccini selbst bewertete sie als "die empfindungsreichste Oper, die ich je geschrieben habe".
Mit dem Blick auf die Partitur sei das auf jeden Fall gerechtfertigt, bestätigt Adriana Altaras: "Die Musik geht direkt in die Blutbahn - ohne den Umweg über das Gehirn." In anderen Worten: Die emotionalen Kräfte und die sinnlichen Klangwelten sind das ganz große Plus der 1904 an der Mailänder Scala uraufgeführten Oper.
Über die Jahre hat sich Adriana Altaras enorm viel Wissen angeeignet über die praktische Theaterarbeit - sowohl bei freien Gruppen wie dem legendären "Theater zum westlichen Stadthirschen" oder in der Neuköllner Oper, aber auch in großen, etablierten Kulturtankern. Die Arbeitsprozesse hätten sich in den letzten Jahren stark verändert, stellt sie fest, es werde immer mehr von immer weniger Leuten produziert: "Die Theater geraten zunehmend unter Druck, weil sie sich gegen Netflix & Co. behaupten müssen."
Auf die "Stadthirsche" in Berlin-Kreuzberg angesprochen, bekommt die Künstlerin leuchtende Augen. Von dieser Truppe, die in den 1980er- und 1990er-Jahren in einer ehemaligen Fabriketage spielte, wurde enorm viel in Bewegung gesetzt. Alle sprühten nur so vor kreativer Energie. Als noch niemand die spätere Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek spielen wollte, schnappte sich die freie Truppe die Uraufführung ihres Stücks über Clara Schumann. "Darin habe ich Klavier gespielt", sagt Adriana Altaras, eine Pianistin sei sie aber nicht.
Die "Stadthirsche" konnten auf fantastische Weise Tiergeräusche nachahmen, sodass man sich als Zuschauer mitten im Dschungel wähnte, ein andermal luden sie zu einer mobilen Performance in einen Doppeldeckerbus ein und rumpelten quer durch die Halbstadt West-Berlin. Mal machte er Station an einem Friedhof, mal an einer gespenstisch anmutenden S-Bahn-Station, wo lauter kleine Szenen gezeigt wurden. Kurzum: Die "Stadthirsche" probierten Spielformen aus, die danach Frank Castorf und etliche andere als den allerneusten Schrei deklarierten. Denkste!
Apropos Castorf: Der hat bei den Bayreuther Festspielen Richard Wagners "Ring"-Zyklus inszeniert. Für Adriana Altaras käme das nie in Frage. "Bloß kein Wagner", diesen Antisemiten wolle sie auf keinen Fall inszenieren, obwohl sie ganz genau wisse, dass ein Daniel Barenboim wie selbstverständlich Wagner dirigiere und dass es auch in Israel viele Wagner-Anhänger gäbe. Trotzdem wolle sie sich treu bleiben und dessen Werk ignorieren.
Seit mehreren Jahren treibt Adriana Altaras das Thema Antisemitismus um - verstärkt seit den rassistisch und antisemitisch motivierten Mordanschlägen vor der Synagoge von Halle. Danach habe sie sofort Anrufe von Freunden und Bekannten bekommen. Alle wollten von ihr wissen, ob sie sich noch sicher fühle in Deutschland. "Seid ihr blöd", lautete ihre spontane Reaktion, "ich habe es doch so gut hier und lebe in einer so guten Umgebung." Trotzdem spüre sie den latenten Antisemitismus. "Das Schlimme ist, dass er so salonfähig geworden ist."
In welcher Weise, das erlebte Adriana Altaras zum ersten Mal, als sie Bekannten davon erzählte, ihr Sohn sei einmal ohne Führerschein in Amerika Auto gefahren, und sie habe befürchtet, er werde von der Polizei ertappt. Wie selbstverständlich sei ihr dann vom Gesprächspartner geraten worden: "Ach, macht doch nichts, ihr könnt doch in solchen Fällen sagen, dass ihr Juden seid." Ein Satz, schlimmer als eine Ohrfeige, weil er eine gefährliche Geisteshaltung offenbart. Die Weltoffenheit des Musiktheaters spreche zum Glück eine ganz andere Sprache: "Die Oper ist die beste Antwort auf den Rassismus."
Die Vorkämpferinnen
Maria Callas. Foto: dpa> Die Primadonna: Maria Callas
Sie gilt bis heute als die Primadonna assoluta schlechthin: die Sopranistin Maria Callas (1923-1977). Wo immer sie auftauchte, gab es Blitzlichtgewitter der Fotografen. Als Geliebte des griechischen Tankerkönigs Aristoteles Onassis wurde die Sängerin zu einer Größe der Yellow Press. Sie sang an den bedeutendsten Opernhäusern der Welt - von der New Yorker Met bis zur Mailänder Scala. Ihren Abschied von den Opernbühnen gab sie mit der "Tosca"-Aufführung am 5. Juli 1965 im Royal Opera House Covent Garden in London.
Ruth Berghaus. Foto: dpa> Die Brecht-Schülerin: Ruth Berghaus
Die Opern- und Theaterregisseurin Ruth Berghaus (1927-1996) war Palucca- und Brecht-Schülerin und mit dem Komponisten Paul Dessau verheiratet. Von 1971 bis 1977 leitete sie als Nachfolgerin Helene Weigels das Berliner Ensemble. Dort förderte sie unkonventionelle Künstler wie Heiner Müller oder Einar Schleef. Noch vor der Maueröffnung war sie als Regisseurin auch an zahlreichen Bühnen im Westen gefragt. 1980 inszenierte sie mit Richard Strauss’ "Elektra" erstmals im Opernhaus des Nationaltheaters Mannheim.
Nike Wagner. Foto: dpa> Die Festival-Managerin: Nike Wagner
Die Intendantin des Beethoven-Festivals, Nike Wagner, ist Ururenkelin des Komponisten Franz Liszt, Urenkelin des Komponisten Richard Wagner und Tochter des Wagner-Regisseurs Wieland Wagner. Sie wuchs in der Bayreuther Villa Wahnfried auf und gehört zu den schärfsten Kritikerinnen der NS-Verstrickungen des dortigen Festspielbetriebs. Bevor sie nach Bonn ging, leitete sie das Kunstfest Weimar und war Beraterin des Heidelberger Frühlings. Es gelang ihr nicht, die Bayreuther Festspiele selbst zu übernehmen.
Adriana Hölszky. Foto: dpa> Die Komponistin: Adriana Hölszky
Die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Komponistin Adriana Hölszky wurde 1953 in Bukarest geboren, 1976 kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Ihr Werkverzeichnis ist staunenerregend lang und umfasst Sonaten, Quartette, experimentell instrumentierte Stücke und Opern, darunter auch die Vertonung des Ingeborg-Bachmann-Hörspiels "Der gute Gott von Manhattan", uraufgeführt 2004 in Schwetzingen. Ihre "Innere Welten III" für Bassettklarinette und Streichquartett wurden 2014 in Mannheim uraufgeführt.
Mirga Gražinyte-Tyla. Foto: dpa> Die Dirigentin: Mirga Gražinyte-Tyla
Sie ist ein wahrer Shootingstar: Schon im Alter von 29 Jahren übernahm die aus Litauen stammende Dirigentin im Jahr 2016 die Leitung des international renommierten City of Birmingham Symphony Orchestra. Sie ist Spross einer Musikerfamilie aus Vilnius, wo sie 1986 geboren wurde. Gražinyte-Tyla studierte in Graz, Bologna und Leipzig. In der Saison 2011/12 war sie Zweite Kapellmeisterin im Heidelberger Theater, 2013/14 Erste Kapellmeisterin in Bern, 2015/16 Musikdirektorin in Salzburg. Dann wechselte sie nach England.