Von Rolf Kienle
Heidelberg. Ein Fahrrad ist wie ein Maßanzug. Es muss zum Radler passen wie der Anzug zum Träger. Und dann kommt es auf den Verwendungszweck an. "Willst Du damit auf große Tour gehen oder nur durch die Stadt zum nächsten Straßencafé fahren," fragt Oswald, der Inspiration abverlangt. Wir vier wollen eigentlich nur eins: Wir haben uns alle auf das Material für den Rahmen festgelegt, und das ist Bambus.
Bambus ist extrem leicht, stabil, ein schnell nachwachsender Rohstoff und langlebig. Dass das Ding sehr schick daherkommt und zudem eine Botschaft aussendet, wollen wir nicht verheimlichen. Und komplett abbaubar ist es auch, aber das ist am Beginn unseres Workshops unwesentlich. Es wird erst mal Maß genommen. Weil ein Fahrrad ja ein Maßanzug ist. Wir befinden uns in einer Werkstatt in Heidelberg.
Am Anfang fühlt man sich überfordert. Oswald, der mit seinem Partner Faz das Zwei-Mann-Unternehmen Smartgrassbicycle gegründet hat und Bambus-Workshops anbietet, drückt uns ein paar Meter dicke und dünnere Stangen Bambus in die Hand, mit dem Hinweis: "Fast ein Fahrrad." Fünfzig Stunden später ist es ein Fahrrad, aber bis dahin stehen viel handwerkliche Arbeit und Geduld an. Messen, Schleifen, Sägen, Bohren, Kleben, Streichen, Montieren. Vier Meter Bambus reichen für ein Rad.
Gerd Müller aus dem Kraichgau spielt nicht Fußball, er ist Weltenbummler. Mit dem Fahrrad durchquerte er Australien oder Kirgisien. Und er hat eine Idee, die man exotisch nennen kann. Gerd, Anfang fünfzig, will mit einem Bambus-Laufrad von Anchorage in Alaska bis nach Feuerland in Patagonien laufen. 17 Länder, 30.000 Kilometer.
So weit der Plan. Der erste Schritt ist der Bau des Laufrades. Karl Drais, der fast an gleicher Stelle, nur gut zweihundert Jahre zuvor, ein Rad aus Holz zusammenschraubte, hätte Augen gemacht. Bambus ist leichter, stabiler und elastischer als seine Holzkonstruktion, die ein Knochenschüttler gewesen sein dürfte.
Matthias und sein neunjähriger Sohn Jakob aus Heidelberg sind ambitionierte Radwanderer. Die Donau entlang, soweit die Reifen tragen, soll es gehen, in Etappen versteht sich, weil Jakob nur in den Schulferien auf große Tour gehen kann. Dafür gab es zu Weihnachten die Zusage des Vaters: "Wir bauen für Dich ein Bambusrad." Dass Vater Matthias der aktive Teil der Partnerschaft war, ist klar. Dass er bei einem Walldorfer Softwarehaus sein Geld verdient, erstaunt jedoch.
Während des Workshops wird vor allem am Bambusrahmen gearbeitet. Foto: Rolf KienleRigo aus der Nähe von Karlsruhe ist ein Naturbursche mit handwerklichem Potenzial. Der könnte auch sein Haus in Eigenregie bauen. Seine Frau hat ihm den Bambus-Workshop zum Geburtstag geschenkt. Werkeln ist Rigos Leben. Das Fahren mit dem Bike ist nur deshalb wichtig, weil man Neugierige über den Baustoff Bambus informieren kann.
Mich selbst zähle ich zur Gruppe der überzeugten Nicht-Bastler. Dennoch bin ich fasziniert von dem Gedanken, dass man sein Fahrrad selbst "zimmern" kann. Nicht aus Stahl oder Carbon, sondern einem Material, das vor der Haustür wächst. Mein Bambus wuchs auf einer Plantage bei Freiburg. Der Bezug zum Bambus, einer populären Grasart, die seit Generationen rund um den Globus als Baumaterial verwendet wird, musste sich bei mir erst zu einer Hingabe intensivieren.
Es ist ein schönes Material, hell, leicht, von angenehmer Haptik, vielseitig einsetzbar, aber versucht man, ein Loch in eine Bambusstange zu bohren - so wird man scheitern. Oder den Holzbohrer ruinieren, weil dieses Gras von beeindruckender Härte ist.
Löcher müssen aber rein. Die Bremszüge und die Schaltung verlaufen im Bambusrohr. Da läuft der Metallbohrer heiß. Auch das Sägen eines Bambusrohres ist ein zweifelhaftes Vergnügen.
Die Bremszüge und die Schaltung verlaufen im Bambusrohr. Foto: Rolf KienleDie Auswahl des Bambus steht nach der Frage, welches Einsatzgebiet das Rad bedienen soll, Mountainbike, Trekking- oder Rennrad, an erster Stelle. Der indonesische "Tiger" ist fleckig und dunkel und schindet Eindruck. Er verspricht ein optimales Verhältnis zwischen Stabilität und Gewicht. "Das Stabilste, was Du kriegen kannst. Darauf schwört die Welt". Sagt unser Coach Oswald Wieser. Er ist in Sachen Bambus rund um die Erde gereist.
Nach dem Maßnehmen bringen alle Workshop-Teilnehmer ihre Sattelrohre, Vorder- und Oberrohre auf die entsprechende Länge und übertragen die Koordinaten 1:1 auf Papier. Und bauen das Ganze in eine Rahmenlehre ein. Es folgt das Verbinden der Einzelteile zum finalen Rahmen. Dafür werden Lagen Flachsgewebe und Epoxitharz verwendet. Wir kommen dem Fahrrad etwas näher.
Laufradler Gerd Müller braucht sich über eine Gangschaltung, Bremsen und ein Tretlager samt Pedalen keine Gedanken zu machen. Ihn treibt allenfalls die Frage um, welche Art Schuhsohle die beste ist. Wir anderen entscheiden uns zwischen Zwei-Gang-Nabe und Acht-Gang-Schaltung. Sattel, Lenker, Räder und Reifen sind die nächste Herausforderung, die einen Gang ins Fahrradgeschäft oder die Recherche im Internet nötig machen. Dort tummeln sich zahllose Anbieter solcher Komponenten.
Oswald bietet mit seinem Partner Faz Bambus-Workshops an. Foto: Rolf KienleWir nähern uns der Jungfernfahrt. Das Bambusrad steht keine zehn Minuten vor dem Straßencafé, da finden sich die ersten Neugierigen ein. Und man wartet auf die erste Frage, wo man das Rad denn kaufen könne. Eine längere Geschichte.
Was das Bambusrad kostet: Der Basispreis für einen Workshop liegt bei 600 Euro. Dazu kommt Material im Wert von etwa 100 Euro. Während des Workshops wird vor allem am Bambusrahmen gearbeitet. Die Ausstattung liegt beim Teilnehmer: Zwei-Gang-Schaltung oder mehr, neue Teile wie Räder, Reifen und Sattel oder gebrauchte Komponenten. Oder man baut sich ein E-Bambus-Bike.
Info: Frame Building Workshop