So wird der neue Wien-Tatort "Die Amme"
Der Wien-Tatort "Die Amme" ist ein spannender Wettlauf gegen einen Psychopathen. Letztlich fehlt aber Tiefgang.

Von Sarah Hinney
Wien. Ein mutmaßlicher Serienmörder tötet Prostituierte und entführt ihre Kinder. Im Tatort "Die Amme" stoßen die Wiener Ermittler Bibi Fellner und Moritz Eisner physisch und psychisch an den Rand ihrer Kräfte.
Was ist passiert? Eine Frau wird brutal in ihrer Wohnung ermordet, ihr zehnjähriger Sohn ist verschwunden, ein anonymer Anrufer meldet den Mord bei der Polizei. Schnell wird klar, dass der Anrufer als Freier regelmäßig die Dienste der Ermordeten in Anspruch nahm. Der Mann – selbstverständlich ein total schmieriger, unsympathischer Typ – gerät direkt ins Visier der Ermittler und wird zum Hauptverdächtigen, während der Zuschauer längst weiß, dass er es nicht war. Unterdessen schlüpft der wahre Mörder abwechselnd in Frauen- und Männerkleider, treibt ein seltsames Verwirrspiel mit Moritz und versetzt das entführte Kind derweil in tagelange und für die Zuschauer kaum erträgliche Todesangst.
Worum geht es wirklich? Um die unauflösbare Verzweiflung der Ermittler, die dem Verbrecher stets nur hinterher hasten und ihm nie zuvorkommen.
Wie schlagen sich die Kommissare? Großartig. Entkräftet, verzweifelt und schon vor dem Tod der Frau von zermürbender Schlaflosigkeit gequält, zeigt Adele Neuhauser als Bibi Fellner hier eine ganz große und intensive schauspielerische Leistung. Mal ist es die Schwindelattacke, die sie fast von den Füßen haut, mal nickt sie bei einer Zeugenbefragung fast ein. Bibi lächelt es weg – die Suche nach dem Kind aufzugeben ist undenkbar. Wohltuend ist die unaufgeregte und fast zärtliche Zuneigung mit der Moritz seiner Kollegin begegnet. Wenig zärtlich geht Bibi indes mit der neuen Assistentin des Kommissarteams um. Dieser Wien-Tatort ist Premiere für Christina Scherrer, die als Meret Schande die Nachfolge von Manfred Schimpf alias Thomas Stipsits antritt – und Bibi macht sie erst mal zur Schnecke.
Was ist die Stärke dieses "Tatort"? Das Katz- und Maus-Spiel des Täters mit den Kommissaren ist nervenaufreibend spannend und seine Dreistigkeit darin ist kaum zu überbieten. Sein Minenspiel ist überragend. Für die Zuschauenden ist es schwer erträglich, den Psychopaten dabei zu beobachten, wie er aus dem Fenster nach unten auf die Straße schaut. Dorthin, wo die Polizei gerade in ziellosen Ermittlungsaktivismus ausbricht, während wenige Meter entfernt ein Kind an das Eisengestänge eines Betts gefesselt ist.
Was sind die Schwächen? Genau diese Dreistigkeit. Sie ist von Beginn an unplausibel und wird spätestens an dem Punkt, an dem der Täter ohne Not Kontakt mit Moritz aufnimmt, gänzlich unglaubwürdig. Ärgerlich ist auch, dass das Motiv der Tat letztlich bis zum Schluss nur erahnbar bleibt. Die Persönlichkeitsstruktur des Täters bleibt diffus und oberflächlich.
Und sonst noch? Meistens gehen die Tatort-Zuschauer sonntagabends gemeinsam mit den Kommissaren erst auf Motiv- und dann auf Tätersuche. In diesem Tatort ist der Täter den Zuschauern von Anfang an bekannt. Umso wichtiger wäre es gewesen, das Motiv sorgsam aufzuarbeiten. Das Etikett "Psychopath mit schwerer Kindheit" allein reicht dabei nicht.
Was kann man vom "Tatort" fürs Leben lernen? Nichts.
Sonntag, 20.15 Uhr, lohnt es sich einzuschalten? Nur bedingt. Trotz der schauspielerischen Stärken und der Nervenspannung bleibt die Story insgesamt dünn und setzt ausschließlich auf den Grusel-Effekt "entführtes Kind" als Albtraum jeder Eltern.



