Besonnene Polizisten treffen auf friedliche Protestierer
Die Polizei macht Platz für Stuttgart 21: Tausende Beamte räumten den Stuttgarter Schlossgarten. Hunderte Gegner leisteten Widerstand - aber es blieb weitgehend friedlich
Stuttgart. Pünktlich um acht kommt die Müllabfuhr. Zu diesem Zeitpunkt ist der Widerstand gegen Stuttgart 21 im Schlosspark fast schon Geschichte. Die angeblich letzte Schlacht um die letzte Bastion der Gegner ist geschlagen - aber sie verlief, auf beiden Seiten, friedlich-schiedlich.
Der Einsatz der Polizei beginnt mitten in der Nacht. In leichtem Schneegestöber besetzen nach und nach mehr als zweieinhalbtausend behelmte Beamte das Gelände. In wenigen Stunden, so ihr Einsatzplan, soll ein 800 Meter langes Gitter die Stuttgart-21-Gegner auf Distanz halten.
Die Uniformierten strömen aus allen Himmelsrichtungen in den Park, blockieren damit den möglichen Zuzug weiterer Gegner - und warten erst mal ab. Jetzt, kurz nach Zwei in der Früh', haben sich rund 1000 Demonstranten versammelt. Ihr Getrommel ist weithin zu hören, aber lauter ist der Lautsprecherwagen der Polizei: Die Versammlung verstoße gegen das Betretungsverbot der Stadt Stuttgart, "sie kann deshalb nicht stattfinden". Die Demonstranten werden gebeten, den Park zu verlassen. "Bitte kommen Sie in Ihrem eigenen Interesse dieser Aufforderung nach."
Der Ton ist freundlich, er stammt von einem geübten Stadionsprecher in den Reihen der Polizei, und er wird quittiert mit gellenden Pfiffen. Vor allem, als die Stimme mit den Konsequenzen droht, der Feststellung der Personalien und, wir sind schließlich mitten in Schwaben, "einer Kostenbeteiligung".
Drei Ausgänge hat die Polizei geöffnet, zum Bahnhof und in die Innenstadt, hat sie hell beleuchtet mit einem weithin sichtbaren Transparent. Noch geht keiner, aber es kommen eben auch keine neuen Protestierer hinzu. "Die Lage ist friedlich", bestätigt Thomas Züfle, der Stuttgarter Polizeipräsident. Ohne Hut und im halb offenen Mantel steht er im Schneeregen und versprüht Zuversicht: "Ich denke, wir bekommen die Lage in den Griff." Kurz nach drei sind alle angeforderten Kräfte da. Und weit heller als die Grablichter um die zu fällenden Bäume herum sind die Lichtmasten der Bereitschaftspolizei.
Langsam, ganz langsam rücken die Reihen vor. Immer wieder wird die Menge aufgefordert, zu gehen - und immer mehr folgen. "Die warten bis zur letzten Minute, bis sie die Beamten vor der Nase haben, und erst dann stehen sie auf", sagt einer aus dem Anti-Konflikt-Team. Viel zu tun hat er nicht: Es gibt keine Konflikte, von der einen oder anderen Verbalinjurie abgesehen. Wenn der Sprecher der selbsternannten Parkschützer, Matthias von Herrmann, der immer wieder telefonierend vor dem Führungs-Container seiner Parkschutzgruppe stolziert, hernach Ruppigkeit und Rücksichtslosigkeit beim Einsatz diagnostiziert, dann ist das eine eher kühne Interpretation ganz vereinzelter Schlagstockeinsätze. Zumal die Beamten später, als die Lage eben nicht eskaliert, demonstrativ die Helme auch wieder abnehmen.
Es sind auch nicht viele, die sitzen bleiben. Als die Polizisten voranmarschieren, schreit eine Frau "Blockieren! Blockieren!", doch drei Männer in nächster Nähe denken nicht daran und streben lieber den bis zum Schluss offenen Ausgängen zu. Eine andere lässt sich abführen, weil sie den freien Weg ins Freie als Verletzung ihrer Ehre empfindet und lieber 80 Euro Kostenbeitrag riskiert, als "vor mir selbst das Gesicht zu verlieren".
Die Zahl älterer Herrschaften, die man ohnehin auf dem nun regennassen, schlüpfrigen Boden gerne in Begleitung sähe, ist in dieser Nacht besonders hoch.
Ein Pärchen hat sich mit Fahrradschlössern an einen Baum gefesselt. "Diese Schlösser empfehlen wir in der Diebstahlprävention", sagt ein Polizeiführer, die Frauen tragen sie stolz wie eine Trophäe. Man muss einen hydraulischen Spreizer rufen, so stabil sind die Dinger, aber die Polizei kennt das schon: Die beiden Aktivistinnen hatten sich Mitte Januar, als es um den abzureißenden Südflügel ging, schon ähnlich fixiert.
Weit weniger Zeit als gedacht nimmt die Räumung des mit Paletten, Latten, Draht und tonnenweise Sperrmüll befestigten Zeltdorfs in Anspruch, weit mehr Zeit hingegen die Befreiung zweier Demonstranten, die sich armtief in eine Grube betoniert haben. Bäuchlings liegen sie nebeneinander, man hat ihnen Kunststoffhelme und Ohrschützer angelegt gegen den Lärm des Bohrhammers.
Und Arbeit macht auch das knappe Dutzend Baumbesetzer: Mit dem Hubá steiger werden sie noch am Nachmittag aus den Kronen geholt, nachdem die Polizei Stück für Stück ein Geflecht aus Stahlseilen durchtrennt, das den Korb behindern soll. Doch auch diese Männer sind einsichtig: Sie sind Profi-Kletterer wie die Polizisten, sie wissen um die Gefahren, in die sie sich gegenseitig bringen und steigen schließlich freiwillig in den Korb.
"Zwei Tage" war er oben, sagt der Mann von Robin Wood wortkarg und steif, und er scheint sichtlich erleichtert, nun wieder ins Warme zu kommen. Ein paar Hunderter kostet ihn die Rettungsaktion gleichwohl.
"Verantwortlich" lautet die anklagende Banderole auf den Politikerfotos, die die Demonstranten noch schnell in die Höhe halten, während eine Guggenmusik "Wer soll das bezahlen?" intoniert. Unter den Bildern sind Köpfe der neuen Landesregierung, allen voran Winfried Kretschmann. Noch während er den Einsatz als "umsichtig und professionell" lobt, sind die Bäume schon markiert: mit V für versetzbar, K für Künstlerholz und T wie tot.



