Zeitlose Verlorenheit

In Heidelberg produziert: Der Film "Friedrich Hölderlin - Dichter sein. Unbedingt!" läuft auf Arte und im SWR-Fernsehen

19.03.2020 UPDATE: 19.03.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 41 Sekunden

In Heidelberg produziert: Der Film "Friedrich Hölderlin - Dichter sein. Unbedingt!" läuft auf Arte und im SWR-Fernsehen

Von Wolfgang Nierlin

Am 11. September 1806 wird Friedrich Hölderlin in Bad Homburg verhaftet und nach Tübingen verschleppt, wo er für 231 Tage in der Psychiatrie interniert wird. Angeblich hatte er nach einem konspirativen Treffen mit dem revolutionär gesinnten Isaac von Sinclair in der hessischen Stadt lautstark republikanische Ideen verkündet. Während sein Gesinnungsgenosse als Hochverräter im Kerker landet, muss sich der sensible Poet einer zweifelhaften "Therapie" mit einem giftigen Medikamentencocktail und psychischer Folter unterziehen. Als er nach acht Monaten als "unheilbar Wahnsinniger" entlassen wird, ist Hölderlin 37 Jahre alt und hat noch die "Hälfte des Lebens" – so der prophetische Titel eines seiner bekanntesten Gedichte – vor sich. Diese wird er in Tübingen unter der Obhut des Tischlers Ernst Zimmer in einer Turmstube am Neckar verbringen. Von dieser Zeit erfährt man in dem von Hedwig Schmutte und Rolf Lambert aus vielerlei Materialien kompilierten Fernsehfilm "Friedrich Hölderlin – Dichter sein. Unbedingt!" allerdings nichts. Vielmehr konzentriert sich das von der Heidelberger Produktionsfirma Along Mekong realisierte Dokumentarspiel auf die Stationen aus Hölderlins erster Lebenshälfte. Hat der Weg des Dichters zwangsläufig in die Isolation geführt? War der Tübinger Turm vielleicht sogar "Schutzraum" für einen am Leben gescheiterten und desillusionierten Revolutionär? Neben diesen Überlegungen widmet sich der informative Film vor allem Hölderlins künstlerischer Berufung. Sein widerständiges "Dichtungsprojekt mit dem allerhöchsten Lebensrisiko" sei, so der Lyriker Durs Grünbein, zeitlos modern.

Kurze Interviews mit Schriftstellern und Historikern beleuchten die Ideenwelt des Porträtierten, während die aus dem Off von Anna Thalbach erzählte Lebensgeschichte Hölderlins mit Bildern, Handschriften, Animationen und Zitaten illustriert wird. Dieser sehr dicht montierte, etwas gedrängt wirkende Informationsfluss wird zusätzlich ergänzt von Spielszenen, in denen der Schauspieler Thorsten Hierse die Lebensstationen des Dichters an realen Orten und Schauplätzen nachvollzieht. In Jeans und Sportschuhen sehen wir den hochbegabten Schüler in der Klosterschule von Maulbronn und unter der geistigen Elite des Tübinger Stifts. Wir folgen ihm in die intellektuelle "Kaderschmiede" von Jena und zu seinen diversen Hauslehrerstellen, von denen diejenige bei der Frankfurter Bankiersfamilie Gontard wohl am einschneidendsten ist. Denn hier erlebt der junge Dichter eine unmögliche, weil verbotene Liebe, die er in seinem Briefroman "Hyperion" verewigt.

Wie später in der einsamen Schneeeinöde der Auvergne gelingen den Filmemachern hier die einprägsamsten Bilder: Wenn sich auf freiem Feld hinter dem aus der Finanzmetropole Verjagten die mächtigen Hochhaustürme in den nebelgrauen Himmel recken, verbinden sich Gegenwart und Vergangenheit im Bild eines zeitlos Verlorenen.

Info: Arte strahlt die 53-minütige Fassung am 25. 3 aus (22 Uhr); der SWR nimmt die 90-minütige Fassung am 29. 3. ins Programm (20.15 Uhr).