Architektonische und historische Kleinode entlang des Jakobswegs von Rothenburg ob der Tauber bis Speyer, der vor zehn Jahren eröffnet wurde: das Kloster Schöntal an der Jagst und der Speyerer Dom mit dem bronzenen Jakobs-Pilger davor. Fotos: Rudi Kramer
Mühlhausen. (rka) "Sankt Jakob ruft, und alle, alle kommen!" Dieses Motto, das sich schon durch das Mittelalter zog, erfährt heute eine erstaunliche Wiederbelebung. Santiago de Compostela, Ort des legendären Apostelgrabs, meldet jedes Jahr neue Rekorde. So erlebt das Pilgern gerade einen ungeahnten Auftrieb. In vielen Teilen Europas sind alte Pilgerwege zu neuem Leben erwacht. Einer der letzten Lückenschlüsse in Baden-Württemberg war der Jakobsweg von Rothenburg ob der Tauber nach Speyer. Er ist Teilstück einer Hauptroute von Prag über Rotenburg, Speyer nach Santiago. Seit genau zehn Jahren gibt es nun diesen Weg, den der Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann bei der Einweihung 2009 als "Weg des Glaubens, Weg des Suchens und Findens" bezeichnet hatte.
Nach den Wünschen der "Jakobusinitiative Mühlhausen", federführend der ehemalige Pfarrer Manfred Tschacher, der leider verstorbene Bertold Ronellenfitsch und Rudi Kramer, sollte der Weg ein "spiritueller Weg" sein, ein "Weg zur Klärung tieferer Entscheidungen, zur Neuausrichtung des Lebens, zur Begegnung mit Menschen und mit der Natur". Der Weg führt durch zauberhafte Landschaften, zu idyllischen Fleckchen Erde und zeigt die ganze Größe und Schönheit der Schöpfung. Bewusst haben die Verantwortlichen die Stätten des christlichen Glaubens wie Kirchen, Klöster, Kapellen und Bildstöcke in den Weg eingebunden. Bewusst hat man im Jagsttal die "Hohe Straße" verlassen, um die Schritte zu diesen wertvollen Kunstschätzen zu lenken - auch auf Kosten eines Umwegs.
Begeistert äußern sich auch Pilger im Gästebuch der "Jakobusinitiative". So schreibt Klaus aus Sinsheim: "Allein zu pilgern ist ganz toll und gibt neue Lebenserfahrungen. Ich bin 39 Jahre alt und hatte schon vergessen, wie gut die Natur riecht und wie schön sie klingt. Kann den Weg nur weiterempfehlen." Und Pilgerin Inge aus Öttingen bemerkt: "Im letzten Sommer bin ich diese Strecke gepilgert - und war begeistert. Die Natur ist herrlich und die Wege sind nicht so überlaufen. Ich kann nur jedem Pilgerfreund empfehlen, diesen schönen Weg zu pilgern." Pilgerin Angelika ist schon viele Jahre auf Jakobswegen unterwegs und das gerne allein: "Wandern gehe ich gerne in der Gruppe, aber Pilgern, das ist nur für mich alleine." Für die Pilger wurde der Weg mit der gelben Jakobsmuschel auf blauem Grund oder dem gelben Pfeil markiert. Ehrenamtliche Wegepaten betreuen seit zehn Jahren Teilabschnitte des Pilgerwegs, überprüfen die Markierungen und erneuern sie notfalls.
Grüne, idyllische Flusstäler wie das Jagsttal und das Neckartal mit sehenswerten Städten, Dörfern und Pilgerstationen machen den Weg attraktiv. Ausgangspunkt ist im mittelalterlichen Rothenburg ob der Tauber die Stadtkirche St. Jakob, in der auf der Werktagsseite des Hochaltars die Jakobslegende dargestellt wird. Hohenlohe ist durch die Flüsse Jagst und Kocher, die Hochfläche der Hohenloher Ebene und einige Höhenzüge geprägt. Es ist eine Region wie aus dem Bilderbuch: Sanfte Hügel, Streuobstwiesen, satte Weiden, idyllische Täler, Burgen und Schlösser.
Nach der Jagst-Brücke in Heimhausen beginnt das Jagsttal mit seinen mittelalterlichen Wallfahrtsstätten wie St. Anna in Mulfingen, St. Wendel zum Stein, die Heilig-Kreuz-Kapelle vor Altdorf, die Wallfahrtskirche Neusaß an der "Hohen Straße". Die St.-Gangolf-Kapelle bei Neudenau ist eine der schönsten Stationen auf dem 185 Kilometer langen Weg von Rothenburg nach Speyer. Fast genau in seiner Mitte liegt sie, umgeben von alten Quellen und bunten Wiesen. Die Jakobsmuschel weist den Weg. Sie ist das Erkennungszeichen der Pilger, ein gelbes Symbol auf blauem Grund. Ihre zusammenlaufenden Rippen geben die Gehrichtung an.
Das gewaltige Bauwerk des ehemaligen Zisterzienserklosters Schöntal ist die schönste, geistliche Residenz der Barockzeit im Norden Baden-Württembergs. Zur Anlage gehören neben der Barockkirche mit ihrer reichen Ausstattung und dem ebenso prunkvollen Konventgebäude zahlreiche Wirtschaftsgebäude, Torhäuser, der Mohrenbrunnen, ein großer Klostergarten sowie die barocke Heiliggrabkapelle. Die meisten Jakobswege verbinden historische Stationen, nur selten können die alten Strecken noch begangen werden. In vielen Fällen sind die Straßen der Neuzeit auf den Spuren der Vergangenheit gebaut worden. Nicht so die Hohe Straße zwischen Neudenau und Bad Friedrichshall. Inmitten von Feldern schlängelt sich der Weg durch die Landschaft, gesäumt von alten Obstbäumen und Wegkreuzen. Direkt nach Jagstfeld führt der Weg über den Neckar nach Bad Wimpfen im Tal.
Wo einst ein römisches Kastell stand, befinden sich heute die Ritterstiftskirche und das Kloster Bad Wimpfen. Die alte Abtei ist eine der Pilgerunterkünfte auf dem Weg, fast 1000 Jahre Geschichte ruhen in ihren Mauern. Bad Wimpfen am Berg mit der ehemals größten Kaiserpfalz nördlich der Alpen ist eine weitere Sehenswürdigkeit. Die historische Altstadt mit mittelalterlichen Türmen und Toren, den Pfalzarkaden, der evangelischen Stadtkirche sowie vielen Fachwerkhäusern steht unter Denkmalschutz und lädt zum Verweilen ein.
Jetzt zieht der Jakobsweg von Osten nach Westen durch den Kraichgau, die "Toskana Deutschlands", über Bad Rappenau nach Sinsheim. Das historische Wahrzeichen der Stadt ist von alters her das imposante Stift Sunisheim auf dem Michaelsberg. Vom Kloster Schöntal ist es auch möglich, auf einer Nordroute durch den Odenwald nach Sinsheim zu pilgern. Auf diesem Weg erreicht der Pilger Adelsheim mit seiner mittelalterlichen Jakobuskirche, anschließend die Stadt Mosbach mit der Stiftskirche, der historischen Altstadt und der Gutleutkapelle, in der wohl Pilger Rötelzeichnungen von Muscheln hinterlassen haben. Bevor der Pilger in die Rheinebene hinabsteigt, erwartet ihn am Rande des Kraichgaus der Letzenberg mit seiner Wallfahrtskapelle. Von hier aus ist es noch eine Tageswanderung zum Kaiserdom in Speyer. In der Fußgängerzone vor dem Dom grüßt der bronzene Jakobspilger. Von hier aus führt ein Weg durch das Elsass und Burgund, ein anderer durch Lothringen in Richtung Spanien.
Man nennt das Pilgern auch gerne "Beten mit den Füßen". Es ist für viele eine spirituelle Erfahrung, ein Anlass zu innerer Einkehr und Innehalten. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Konfession man angehört.
Info: Jubiläumswanderung, Samstag 20. Juli, Start 9 Uhr, Kirche Mühlhausen. Ziel: Kirche Rettigheim; ab 11.30 Uhr Beisammensein an der Dorfscheune.