Mit barockem Turm und gotischem Chor wacht die evangelische Stadtkirche über den Wieslocher Marktplatz. Foto: Diana Deutsch
Von Diana Deutsch
Wiesloch. Man sollte stets den Schlossweg nehmen. Auf ihm ist die Vergangenheit noch lebendig. Verwunschene Gärten schmiegen sich an die alte Wieslocher Stadtmauer, der Leimbach plätschert, das "Dörndl" beäugt trutzig jeden Ankömmling. Einst war es Gefängnis, jetzt ist es Museum. Dahinter: Modernes Leben auf mittelalterlichem Grundriss. Die Straßen krumm, die Häuser durcheinander, überall Treppen und Durchschlupfe. Und mittendrin die evangelische Stadtkirche. Hochaufgerichtet. Majestätisch. Stolz. Mit barockem Turm und bezauberndem gotischen Chor. Ein Gotteshaus, das alle Fährnisse seiner Stadt miterlebt hat. Und bis heute davon erzählt.
Wiesloch ist gesegnete Erde. Drei Landschaften treffen hier in einem großen Finale aufeinander: Der kleine Odenwald mit seinen sonnigen Hängen, der Kraichgau mit seinen masten Böden und die Oberrheinische Tiefebene mit ihren Verkehrswegen. Leimbach und Angelbach liefern Wasser in Fülle. Den Weinbau kannte Wiesloch schon, bevor die Römer kamen.
965 erhielt die Stadt Marktrecht. Das war früh, aber nicht verwunderlich. Wo sich wichtige Fernstraßen kreuzen, herrscht viel Verkehr. Das ist in Wiesloch bis heute so geblieben. Der Markt machte die Handwerker und Gastwirte reich. Schon im 11. Jahrhundert zierte den Marktplatz eine romanische Pfeilerbasilika mit drei Schiffen.
Die Kirche hat Wiesloch kein Glück gebracht. Im Winter 1077 kam der Salierkaiser Heinrich IV. in die Stadt. Er war auf dem Rückweg von Canossa und entsprechend schlecht gelaunt. Die Verärgerung steigerte sich zur Raserei, als der Regent erfuhr, dass Wiesloch zum Gegenkaiser übergelaufen war. Heinrich IV. ließ über hundert Männer in die Kirche sperren, zündete sie an und sah zu, wie sie lebendig verbrannten. Im Boden der heutigen Stadtkirche erahnt man unter Glas die Grundmauern des Schmerzenskirchleins.
So präsentiert sich der Kirchenraum nach der Modenisierung 2001. Foto: Diana DeutschDie gotische Stadtkirche datiert um 1500. Da gehörte Wiesloch schon zur Kurpfalz. Weshalb die Truppen des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. die Stadt im Januar 1689 komplett niederbrannten. Nur der Chor hat überlebt. Ein Wunder.
Man gab der Kirche ein barockes Langhaus, das im Laufe der Jahre immer neu nach Westen erweitert wurde. Ab 1705 nutzten Katholiken und Reformierte das Gotteshaus sogar gemeinsam. Die einen den Chor, die anderen das Schiff. Dazwischen: Eine raumhohe Mauer. Glücklich war mit diesem "Simultaneum" niemand. Die Reformierten klagten über Finsternis. Die Katholiken störten die lauten Predigten. 1740 zogen sie aus. Das Licht durfte wieder fluten.
Das Kirchenfenster zeigt Luther und Calvin. Foto: Diana DeutschSonst änderte sich nichts. Kanzel und Altar drängelten sich weiter an der südlichen Langhauswand. Erst 1821 – nach der Badischen Kirchenunion – kehrten die evangelischen Prinzipalien in den Chor zurück. Wieslochs Honoratioren waren darüber so stolz, dass sie ihrer Kirche schöne historistische Bleiglasfenster spendierten.
2001 schließlich die Moderne. Der Chor wurde tiefer gelegt. Mobile Stühle ersetzten die sperrigen Bänke. Der federleichte Künstleraltar und der Ambo scheinen im gotischen Rund zu schweben.