Von Anjoulih Pawelka
Waibstadt. Es gibt Menschen, für die Rassismus zum Leben dazu gehört. Nadia Dallaway ist eine davon. Sie ist in Deutschland geboren und in Waibstadt aufgewachsen, ihr Vater stammt aus der Karibik. Im Interview erzählt die 26-Jährige über ihre Erfahrungen und warum sie aufgehört hat, mit Menschen über Rassismus zu diskutieren.
Frau Dallaway, wie oft in der Woche erleben Sie rassistische Vorfälle?
Das hängt immer auch davon ab, was man als Rassismus empfindet. Ich persönlich definiere das so, dass Unterschiede gemacht werden aufgrund von Hautfarbe, Religion oder der Herkunft generell. Ein bis zweimal die Woche erlebe ich das sicherlich.
Wie macht sich das denn bemerkbar?
Weniger indem ich beleidigt werde, das passiert eher selten. Es ist mehr so Alltagsrassismus. Leute reagieren zum Beispiel oft auf meine Haare. Sie wollen sie dann anfassen oder es wird kommentiert, dass sie anders sind. Gerade auf Festen werde ich regelmäßig auf mein gutes Deutsch angesprochen. Da sind die Leute immer sehr beeindruckt. Dabei bin ich ja hier geboren und aufgewachsen.
Was macht das mit Ihnen?
Ich bin das mittlerweile gewohnt. Daher bin ich nicht mehr jedes Mal traurig, wenn jemand fragt, woher ich komme oder einen Kommentar abgibt. Aber ich fühle mich direkt eingestuft und nicht zugehörig. Dadurch, dass ich eine weiße Mutter und einen schwarzen Vater habe, bin ich beides nicht wirklich. Ich bin zu weiß um schwarz zu sein, aber zu dunkel um weiß zu sein. Daher sage ich auch nicht so gerne, dass ich Deutsche bin, weil ich das Gefühl habe, dass viele Menschen das nicht so akzeptieren wollen, weil ich eben anders aussehe.
Als was würden Sie sich selbst bezeichnen?
Ich selbst sehe mich weder als schwarz noch als weiß, sondern einfach nur als Mensch. Ich möchte mich nicht kategorisieren lassen. Aber jedes Mal, wenn ich so etwas höre, werde ich wieder daran erinnert, dass es doch Unterschiede gibt. Ich selbst versuche ja auch, die Menschen als Menschen wahrzunehmen. Wahrscheinlich gehöre ich damit aber einer Minderheit an, die so denkt. Die Leute mögen es schon lieber, kategorisieren zu können.
Haben diese Kategorisierung und der Rassismus sich verändert?
Ich glaube schon. Es sind nicht die harten Parolen wie zum Beispiel "Ausländer raus"-Rufe, die zugenommen haben, sondern das Schwammige. Ich bin mir sicher, dass viele Leute, die mich auf mein Aussehen ansprechen, das gar nicht böse meinen, sondern dass sie denken, dass das okay ist. Aber alles, was direkt auf eine Hautfarbe oder auf irgendetwas abzielt, was das Ganze kategorisiert, ist für mich rassistisch.
Gibt es da noch mehr Beispiele?
In meiner Kindheit kamen meine Klassenkameradinnen nach jedem Urlaub und haben ihren Arm an meinen gelegt und sagten: "Jetzt bin ich schon fast so braun wie du."
Haben Sie diese rassistischen Erfahrungen aus der Kindheit geprägt?
Ja. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir von Sinsheim nach Waibstadt gezogen sind. Da war ich im Vorschulalter. Der Kindergarten war die Hölle für mich. Im Sinsheimer Kindergarten wusste ich nicht, dass ich anders aussehe. In Waibstadt waren meine Schwester und ich die neuen, und die Kinder haben richtig krasse Bemerkungen gemacht. Einmal hatte ich offene Haare. Da wurde dann gelacht und gesagt, dass das stinkt, eklig ist und ich wurde gefragt, ob ich in die Steckdose gelangt hätte. Das war für mich sehr schlimm. Aber auch im Turnen gab es solche Erfahrungen. Bei einem Auftritt sollten Zweierteams gebildet werden. Ich musste die Übungen alleine machen, obwohl es auch Dreiergruppen gab. Das prägt mich bis heute. Das war noch viel schlimmer, als das, was ich im Erwachsenenalter erlebt habe.
Machen Sie die Leute dann darauf aufmerksam?
Ich hatte eine Phase, in der ich das öfter getan habe und mich dafür eingesetzt habe, dass man bestimmte Wörter nicht sagen sollte. Das hat dann oft in Diskussionen geendet, in denen man mir erklären wollte, warum das gar nicht rassistisch gemeint war. Darauf habe ich einfach keine Lust mehr.
Sie sagten, es gibt auch so etwas wie positiven Rassismus. Was genau meinen Sie damit?
Positiver Rassismus ist für mich, wenn Menschen sich mit anderen Menschen schmücken. Wenn es zum Beispiel plötzlich cool ist, eine schwarze Freundin oder einen schwarzen Freund zu haben.
Haben Sie eine Theorie, woher der Rassismus kommt?
Ich glaube, dass das über Generationen hinweg einfach weitergegeben wurde, oft auch unterschwellig. Das fängt doch schon damit an, dass man zum Beispiel im Türkeiurlaub sagt, dass man mehr Trinkgeld geben soll, weil die Leute dort so arm sind. Dabei trifft das doch gar nicht auf jeden Türken zu. Die Masse aus diesen vielen Kleinigkeiten trägt dazu bei, dass Rassismus entsteht. Mein Neffe ist jetzt vier Jahre alt, der geht völlig unvoreingenommen auf Menschen zu. Das macht ein achtjähriges Kind schon weniger.
Was müsste sich in der Gesellschaft ändern?
Man sollte offen sein und nicht versuchen, krampfhaft etwas zu kategorisieren. Man sollte doch erst einmal schauen, was für ein Mensch einem dort gegenübersteht und ob man seinen Charakter mag. Was ich auch ganz wichtig finde, ist, dass jeder einzelne viel mehr darüber nachdenkt, was er mit bestimmten Aussagen suggerieren möchte. Mir fällt da ein Beispiel ein, das meinem Vater passiert ist. Ihm wurde einmal gesagt, dass er voll nett sei, obwohl er schwarz ist. Solche Aussagen verletzen einfach.
Würden Sie sagen, dass Weiße Privilegien haben?
Ja, auf jeden Fall. Vor allem im Beruf. Ich habe manchmal schon das Gefühl, dass ich mehr tun muss, um dasselbe zu bekommen wie eine weiße Frau in meinem Alter. Ich muss einfach besser sein als sie, um genauso behandelt zu werden.
Nun gibt es ja auch Leute, die die Rassismusdebatte für übertrieben halten. Sie argumentieren dann damit, dass es auch Rassismus gegen Weiße gebe. Warum hinkt dieser Vergleich?
Ich habe mal ein Bild gesehen, das es ganz gut trifft. Darauf waren drei Menschen zu sehen. Der eine hatte sich sein Bein gebrochen. Ein anderer wollte ihm helfen. Der Dritte, der völlig gesund war, sagte dann: "Was ist denn mit meinem Bein?" Das fasst es ganz gut zusammen. Es gibt hier ein Problem, das schwarze Menschen hier in Deutschland haben. Nun sollte man nicht anfangen, an sich selbst zu denken, obwohl man das Problem selber vielleicht noch nie so erlebt hat. Man sollte vielmehr schauen, was da gerade schief läuft.
Wie wichtig ist es für Sie, dass diese Debatte geführt wird?
Für mich ist das richtig und wichtig. Ich glaube, je mehr man darüber redet, desto mehr Menschen denken auch ein bisschen mehr über Rassismus nach. Aber mir ist auch wichtig, dass die ganze Thematisierung nicht dazu führt, dass sich die Situation verschlimmert, weil Leute mit Menschen wie mir nichts mehr zu tun haben wollen. Weil sie womöglich den Eindruck haben, dass man im Umgang mit uns nur alles falsch machen kann.