Sinsheim

Ein neues Stadtviertel im Westen?

Auf dem ehemaligen Magdeburger-Areal könnten bis zu 170 Wohnungen entstehen. Es ist das größte Wohnbauprojekt der letzten Jahrzehnte.

31.08.2021 UPDATE: 01.09.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 7 Sekunden
Auf dem rund 1,2 Hektar großen Grundstück hat die Firma Werkzeugmaschinenbau Sinsheim ihren Sitz. Foto: Tim Kegel

Von Tim Kegel

Sinsheim. Bis zu 500 Menschen mehr in der Werderstraße. In mehrgeschossigen Häuserblocks auf dem Gelände der früheren Firma Magdeburger, heute Werkzeugmaschinenbau Sinsheim. Und das sei möglicherweise nur der Anfang des größten Wohnbauprojekts, das Sinsheim in den vergangenen 40 Jahren gesehen hat. Ein Schnäppchen sei dies für die europaweit operierende Frankfurter Wohnbau-Gesellschaft, die vergleichsweise günstig an die Gewerbeflächen komme und "hochwertiges Wohnen" plane, das sich kaum einer leisten könne. Und damit sei noch nicht Schluss – Begehrlichkeiten gebe es auch bei umliegenden Grundstücken. Das Stadtviertel könne schneller wachsen, als zurzeit vorstellbar. Und mit ihm der Verkehr. Und die Probleme. So klingen einige der Bedenken zu dem Vorhaben, die seit mehreren Wochen in der Stadt die Runde machen.

Bis zu 170 Wohnungen. Ein Großprojekt am Rand der Gartenstadt. Seit etwa einem Dreivierteljahr laufen Hintergrundgespräche mit der Stadtverwaltung, wurde das Projekt nicht-öffentlich im Gremium vorberaten. Der Gemeinderat stimmte schließlich mit drei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen für die Aufstellung eines auf das Vorhaben bezogenen Bebauungsplans.

Doch gebaut sind die Mehrfamilienhäuser – über deren Baustil sich jeder grob auf dem Webauftritt der Frankfurter Tenbrinke AG informieren kann – zwar noch nicht, aber doch fast: Das derzeit 1,2 Hektar große Plangebiet gilt, zumindest Umweltbelange betreffend, als unbedenklich, da seit Jahrzehnten sowieso Firmengelände, mitten in der Stadt gelegen und schon weitestgehend versiegelt.

Zwar würden Artenschutzaspekte bedacht und auch Altlasten gelten als eher wahrscheinlich; eine Umweltprüfung mit -bericht könnten aber wegfallen. Von den üblichen Stellungnahmen der Kreisbehörden und Angrenzer abgesehen, könnte das Verfahren planungsrechtlich verkürzt werden. Binnen eines Zeitraums von zwei bis drei Jahren könnte das Viertel bei guten Bedingungen emporwachsen.

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Empor, das heißt nach Schilderungen von Stadtplaner und Amtsleiter Sebastian Falke, "vier, vielleicht viereinhalbstöckig". Die höchsten Häuser in dem Straßenzug, darunter die Blocks der Baugenossenschaft in der Gerhard-Hauptmann- und Mehrfamilienhäuser mit Arztpraxen in der Werderstraße haben diese Höhe. Allerdings umgeben auch zahlreiche Bungalows, Ein- und Zweifamilienhäuser das Plangebiet. Kritiker fürchten nun, dass sich die geplanten Blocks schlecht ins Umfeld einfügen. Andererseits hat man sich bei Verwaltung und Gemeinderat für Innenverdichtung und Geschosswohnbau sowie für Lückenschlüsse im Innerstädtischen als Gebote der Stunde entschieden, woran auch Baudezernentin Katharina Scherhag erinnert. Die Fläche in der Werderstraße sei eine der wenigen in der Innenstadt, auf der dies überhaupt noch möglich sei.

Nun laufen Gespräche zwischen Investor und Anliegern im Hintergrund bezüglich weiterer Flächen. Über deren Stand wisse Falke nichts. Rein theoretisch ließe sich das Plangebiet über mehrere tausend Quadratmeter erweitern, nach Westen bis an den Stadtrand an der Bundesstraße, nach Osten bis zur Einbiegung der Gerhard-Hauptmann-Straße. Allerdings haben dort Firmen ihren Sitz, die bis zuletzt aktiv sind. Darunter ein Handel für Metall und Handwerksbedarf, ein Landwirtschaftsbetrieb und auch ein Nackt-Saunaclub mit Bordellbetrieb. Dass alle diese Flächen erworben werden können, hiervon ist zumindest mittelfristig nicht auszugehen.

Dass in dem Viertel ein neuer sozialer Brennpunkt entstehen könnte, auch diese Befürchtungen gibt es. Angesichts der zehn Prozent geplanten, wie auch immer ausgestalteten, "bezahlbaren Wohnraums" wirken die Bedenken relativ weit weg. Im Lager der Freien Wähler und speziell der Grünen wird eine Steigerung auf "bis zu 20 Prozent" günstiger Wohnungen gefordert.

Ob dies realisierbar ist, müsse man noch sehen "und durchrechnen", schätzt Falke. Schließlich sei Maßgabe, dass im Zuge des Bauvorhabens sowohl ein Parkhaus für die Fahrzeuge der Bewohner, eine Kindertagesstätte für deren Nachwuchs und ein kleiner Anteil "verträglichen Gewerbes" geschaffen werden. Dies könne "einen kleinflächigen Nahversorger bedeuten oder Büroflächen". Was die Kinderbetreuung betrifft, werde zurzeit "Kontakt zu entsprechenden Trägern gesucht". Die Werderstraße ist durchgängig ans Fernwärmenetz der AVR angeschlossen; laut Falke habe der Bauherr in Sachen energetischer Standards "durchaus ehrgeizige Ziele" geäußert.

Der Bodenrichtwert im Planungsgebiet liegt nach der neuesten Kartierung bei 130 Euro pro Quadratmeter, in allen unmittelbar angrenzenden Gebieten werden zwischen 380 und 420 Euro angegeben. Dass die Flächen weiterhin vornehmlich gewerblich genutzt werden – auch solche Forderungen gibt es im Gemeinderat. Mancher Stadtrat will von "Anfragen von Kleinbetrieben" bei der Stadtverwaltung wissen, was Oberbürgermeister Jörg Albrecht so nicht bestätigt. Falke kenne lediglich "Anfragen, die sich aber nicht konkret auf das Gebiet richten" würden. Vorhaben dieser Art sehe man in den Stadtteilen besser untergebracht.

Die Werkzeugmaschinenbau Sinsheim kommt voraussichtlich im Gewerbegebiet der Neulandstraße unter, wird dort dann neu bauen. Gedacht wird an eine Fläche in Privatbesitz bei der früheren Halle 6 der ehemaligen Messe. Die städtische Wirtschaftsförderung hatte die Kontakte hergestellt.

Um Verträglichkeit der Planung bei Anwohnern und Beteiligten bemüht zeigt man sich bei der Stadt: "Was hätten wir davon, wenn es unverträglich wäre?", fragt Falke. Für ihn ist der Zeitpunkt am Verfahrensbeginn "zu früh", um über konkrete Zahlen zu sprechen. Zu Ende geplant, könnten aus den kursierenden 170 Wohnungen schließlich "120 bis 150" werden, der Zuzug von bis zu 500 Menschen reduziere sich dann entsprechend.

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