Besangen den "Junimond" schon einen Abend zu früh: Bassist Kai Sichtermann (r.) und Drummer Funky K. Götzner (l.) von "Ton Steine Scherben" musizierten zusammen mit "Gymmick" (Mitte). Damit machte sich Herbert Bender (am Mikro), unermüdlicher Organisator der "fideljo"-Konzerte, ein besonderes Abschiedsgeschenk. Foto: Peter Lahr
Mosbach. (lah) "Was ich fand, waren Ton, Steine, Scherben", berichtete einst Troja-Ausgräber Heinrich Schliemann. Bis heute umstritten ist allerdings die schöne Legende von Rio Reiser, dass der Name der legendären Deutschrock-Politband tatsächlich über archäologische Wurzeln verfügt. Denkbar wäre auch der "VEB Ton Steine Scherben" als Namensquell. Egal, woher der Name stammt. Das Konzert von Kai Sichtermann (seit 1970 Ur-Bassist der "Scherben") und Drummer Funky K. Götzner (auch schon seit 1974 mit dabei) zusammen mit dem Nürnberger Songpoeten "Gymmick" am Freitagabend im ausverkauften "fideljo" war ein außergewöhnliches Ereignis.
"Die ‚Scherben’ haben mich durchs ganze Leben begleitet, mir ist ganz warm ums Herz", begrüßte Herbert Bender das Trio. Und sprach damit sicher für viele Zuhörer im häufig textsicher agierenden Publikum. Bender hatte sich mit den "Scherben" ein Abschiedsgeschenk gemacht: Nach Jahrzehnten des Organisierens verlässt er nun die fideljo-Bühne.
Mit grünem Sofa, Räucherstäbchen und Super-8-Projektor im Hintergrund hatte sich die Bühne in ein veritables WG-Zimmer verwandelt. Mit einer Cajón und kleinen Trommel beschied sich Götzner, während Sichtermann ruhig und konzentriert den Bass bediente. Beide spielten souverän, sangen manchmal auch mit, überließen die Show aber ganz klar dem Sänger Gymmick.
Mit Batschkapp auf dem Kopf und - meistens - einer Gitarre zwischen den Händen, erwies sich dieser schnell als "Glücksgriff". Denn so wurde der Abend mit seinen fast 30 Scherben-Liedern alles andere als eine verstaubte Revue. Der Sänger bemühte sich nicht auf Teufel komm raus, Rio nachzuahmen, sondern setzte auf seine Persönlichkeit. Und Schelm, der er auch sein kann, gelang ihm die Gratwanderung zwischen Original und Heute, zwischen Respekt und Autonomie, hervorragend.
Gelungen war nicht nur die "Übersetzung" in ein kleineres, akustisch anmutendes Bandformat. Auch die Auswahl des Repertoires wusste klug zwischen Laut und Leise, Kampfsong und Liebeslied zu wechseln. "Macht kaputt was euch kaputt macht" von der ersten "Scherben-Scheibe" war ebenso zu hören wie "König von Deutschland."
Dass Rio den Titel bereits in den 1970er-Jahren komponiert, ob des eher bescheidenen Erfolgs aber schnell wieder ad acta gelegt hatte, berichtete Gymmick. Der Schwerpunkt des Konzerts lag aber weniger auf Anmerkungen, sondern eindeutig auf der Musik. Dabei klang mancher "Klassiker" heute aktueller denn je.
Ins Fake-Zeitalter passt "Alles Lüge!" prima. In die Phalanx der "Menschenfresser" konnte Sänger Gymmick mühelos Erdogan und Trump mit einfügen. Beim "König von Deutschland" gelang der Relaunch nicht minder mühelos.
Am anderen Ende der Chronologie standen "Der Traum ist aus" oder der "Rauch-Haus-Song", 1972 erschienen auf der zweiten LP "Keine Macht für Niemand". Vorausgegangen war die zweite Berliner Hausbesetzung. Den Refrain "Das ist unser Haus", sangen auch in Mosbach viele lautstark mit. Doch so weit, wie beim letzten Tübinger Scherben-Konzert ging es im Badischen dann doch nicht. Hier wurde im Anschluss kein Haus besetzt. Die überaus friedliche Bilanz: Nur eine Flasche Bier ging zu Scherben. Dafür nahm der Bassist das Running-Gag-"Olé" der Zwischenruferin als ironischen Schluss-Kommentar mit auf.