Feuertanz statt Tagesschau. Die beiden Flamenco-Gitarristen Jan Pascal und Alexander Kilian, zusammen als "Café del Mundo" firmierend, präsentierten am Sonntagabend in der gut gefüllten Alten Mälzerei ihr neues Album. Programmatischer Titel: "Beloved Europa". Schöner kann man den alten Traum wohl kaum ins Hier und Jetzt transportieren. Foto: Peter Lahr
Von Peter Lahr
Mosbach. Sie sind mutig, erfolgreich und unwiderstehlich, die beiden Flamenco-Gitarristen Jan Pascal und Alexander Kilian. Seit zwölf Jahren unter dem Label "Café del Mundo" weltweit unterwegs, titeln sie ihr fünftes Album nicht nur "Beloved Europa". Nein, sie touren damit ausgerechnet auch durch Großbritannien - und das mitten in Brexit-Zeiten. Erfolgreich sind sie auf einschlägigen Festivals zwischen Polen, der Toskana und Samos unterwegs und geben jährlich bis zu 120 Konzerte.
Dass sie am Sonntagabend als Buchener in Mosbach spielen durften - und endlich "die Menschen hinter den vielen Ampeln" von der großen Kunst der "Guitarra flamenca" überzeugen konnten, das spricht ebenso für die beiden Ausnahmemusiker. Aus februargefrusteten Mitteleuropäern machten sie im Laufe von gut zwei Stunden begeisterte "Aficionados", die mitklatschten und sich mit stehenden Ovationen Zugaben erkämpften. Bei all den Höhenflügen kamen die Musiker wunderbar geerdet rüber und brachten bereits bei den Anmoderationen reichlich sokratische Ironie ins Spiel.
Womit wir mitten drin wären im großen Anliegen der beiden. Die unsterbliche Prinzessin Europa soll, nein, muss ebenso vor den Nachstellungen brünftiger Götterväter von einst wie nationalistischer Potentaten und Populisten von heute bewahrt werden. Was eignete sich hierzu besser als zwei Flamencogitarren?
Denn fast so vielfältig wie die Geschichte Europas erscheinen die Quellen des Flamencos - und folgerichtig die Quellen des neuen Albums. Gleichgültig, ob das Wort Flamenco nun von Flamingos, Flamen oder "Bauern ohne Land" abstammt. Eins ist sicher: 1881 eröffnete der Cantaor Silverio Franconetti in Sevilla das erste verbürgte Flamenco-Café der Welt. Und "Café del Mundo" wiederum ließ sich von den Reisen durch die Landschaften dieser Welt inspirieren zu einer Musik, die einen polnischen Tango aus der Feder von Jerzy Petersburski zum Mitweinen schön zelebriert oder mit Astor Piazzolas Meisterstücken wie etwa "Oblivion" oder "Libertango" haarscharf zwischen Bordell und Musentempel gratwandert. "Vater unbekannt, seine natürliche Mutter ist eine Andalusierin", so ordnete Ricardo Molina einst die große Flamencofamilie ein.
"Er ist heute dort, wo der Jazz vor 60 Jahren war, sehr speziell", mutmaßte Jan Pascal und erinnerte sich an die sehr gemischten Gefühle eines nordbadischen Gitarristenduos vor dem allerersten Auftritt in Madrid. So etwas wie eine Feuerprobe, die mit Bravour genommen wurde. Dazu passte eine Buleria, ein schneller Tanz, so etwas wie die Königsdisziplin.
Auch die "Geburtsstunde" des Albums sowie des Titelsongs "Beloved Europa" erläuterte Jan Pascal: "Wir spielten auf einem Festival auf Samos." Hier das Festival, dort die Flüchtlinge und Bewohner, die helfen wollten, aber überfordert waren. Bei einem nächtlichen Bad im Meer erschien plötzlich grau und unheimlich ein Boot - mit "Frontex"-Aufdruck. "Wir sahen in diesem Moment, Europa ist in Gefahr." "Es ist etwas sehr Wertvolles, mit dem wir liebevoll umgehen sollten", ergänzte Alexander Kilian.
Beide offenbarten zudem die "Making-of"-Geschichte um das liebevoll verspielt-barocke Cover mit lebendem Stier. "Zum großen Glück haben wir Sina Göppel mit ihrem Reitochsen Woodie kennengelernt. Das ist das Haustier der Dame, die Europa spielt." Dazu passte dann der Kommentar eines begeisterten Fans wie die Faust aufs Auge: "Ich hör’ sie immer beim Bügeln."
In die Alte Mälzerei kam aber niemand zum Bügeln. Da gab es filigranen Flamenco - nachdenklich, flirrend, spannungsvoll und immer wieder mit "Wow!-Effekt." Traumwandlerisch harmonische Balladen von schlafenden Löwen wechselten mit heißen Saitenwettkämpfen. Ein Hauch Wien hier, ein Hip-Hop-Crossover dort. Sogar Goethes Erlkönig adaptierten die beiden - per "kleinen schwarzen Kasten" gesungen von Bariton Henryk Böhm. Eklektische Klangcollagen wechselten mit "Klassikern", Ohrwürmer mit einprägsamen Eigenkompositionen.
Und spätestens, als die beiden Gitarristen bei der dritten Zugabe am Bühnenrand saßen und das "Girl of Ipanema" anschmachteten, war "el duende" spürbar, der viel besungene "Dämon des Flamenco". Oder wie Angel Alvarez Caballero pragmatisch herunterbricht: "Unter Duende verstehe ich jeden Künstler, der etwas rüberbringt." So gesehen ein echter Doppel-Duende! Mehr davon!