Doris Söhner (geb. Stecher) lebt heute in Stuttgart. Mitte November fand Pfarrer Volker Wahlenmeier ihr Sparbuch von 1963 in einem Buch, machte die Besitzerin via Youtube ausfindig und brachte es ihr zurück. Foto: Arno Meuter
Von Noemi Girgla
Aglasterhausen/Stuttgart. Ein Pfarrer wird binnen weniger Tage zum Medien-Liebling und YouTube-Star, und eine 82-jährige Frau bekommt nach 57 Jahren ihr altes Sparbuch zurück, auf dem sich ein stattliches Guthaben befindet: Was das Internet alles möglich macht, und wie es zu solchen kleinen (Vor-) Weihnachtswundern kommen kann, hat Volker Wahlenmeier, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Aglasterhausen, in den vergangenen Wochen selbst erlebt. Normalerweise predigt Wahlenmeier in Aglasterhausen, Breitenbronn oder Daudenzell. Seit einigen Monaten hat er auch einen eigenen YouTube-Kanal. Diesem sollte nun eine besondere Rolle zukommen.
"Während meines Studiums, haben mir viele nette Leute viele tolle Bücher geschenkt", erzählt Wahlenmeier. Darunter war auch eine alte Luther-Biografie. "Als ich die vor einigen Wochen in die Hand nahm, fiel etwas heraus. Ich konnte es kaum glauben, als ich sah, dass es ein Sparbuch war, auf das im Jahr 1963 das letzte Mal etwas eingezahlt worden war." Das Sparbuch der Sparkasse Heidelberg-Handschuhsheim lief auf den Namen Doris Stecher. 500 D-Mark befanden sich darauf. Mit Zins und Zinseszins beläuft sich der Wert laut Wahlenmeier heute auf 1377 Euro.
"Ich gebe zu, dass mir erst einmal finstere Gedanken kamen", räumt der Pfarrer ein. Die Kirche in Daudenzell müsse umfangreich saniert werden (gesonderter Bericht folgt). "Aber mir war sofort klar, dass ich das nicht machen kann. Ich musste tun, was rechtens ist, und das Geld seiner Besitzerin zurückgeben."
Am 15. November startete Wahlenmeier auf seinem YouTube-Kanal den Aufruf "1377 Euro! Ich hab dein Geld, Doris!". In einem kurzen Video erzählte er, wie er an das Sparbuch gekommen war und bat die Internet-Gemeinde um Hilfe, um Doris ausfindig zu machen. "Schon am Nachmittag ging der erste Hinweis ein. Der Großvater einer Konfirmandin erinnerte sich an Doris. Sie war die Tochter von Freunden seiner Eltern." Der Mann konnte sich noch erinnern, dass Doris einen Pfarrer geheiratet und nach Marbach gezogen war.
"Ab hier half mir der Marbacher Dekan Ekkehard Graf weiter", berichtet Wahlenmeier. Ein Gemeindeglied konnte sich noch daran erinnern, dass 1963 ein Vikar nach Marbach kam, dessen Frau Doris hieß. Die Spur war heiß. Am 25. November, nur zehn Tage nach Veröffentlichung des ersten Videos, stellte Pfarrer Wahlenmeier ein weiteres Video auf YouTube: "Neues von Doris".
Vor laufender Kamera rief er Doris (inzwischen) Söhner an und erzählte ihr von seinem Fund. Sie war sprachlos. Jedoch nur bis zu dem Punkt, an dem der Pfarrer seine Gemeinde erwähnte. "In Aglasterhausen habe ich einmal Praktikum gemacht", erinnerte sich die 82-jährige ehemalige Lehrerin – was Wahlenmeier ein "Ich glaub’, ich spinn’" entlockte.
"Wie verrückt ist das denn? Ich habe in Tübingen studiert und dort das Buch bekommen, komme danach nach Aglasterhausen, finde das Sparbuch einer Handschuhsheimerin, die nach Marbach am Neckar gezogen ist und inzwischen in Stuttgart lebt – und eines meiner Gemeindeglieder kennt diese Frau dann tatsächlich." Der Pfarrer ist von dieser Entwicklung immer noch "geplättet".
Am 30. November, Doris’ 82. Geburtstag, fuhr Volker Wahlenmeier dann nach Stuttgart, wo die Frau heute in einer Seniorenresidenz lebt. Im Gepäck hatte er das Sparbuch, die Luther-Biografie, einen Blumenstrauß – und natürlich die Kamera. Wie das Sparbuch in die Biografie kam, kann sich Doris Söhner nicht erklären. Vermutlich habe sie es während des Examens als Lesezeichen verwendet, mutmaßt sie. Vermisst hat sie das Geld laut Wahlenmeier nie.
"Ich glaube an das Rundtausch-Prinzip", erklärt der Pfarrer in dem dritten Video "Doris – das Finale". "Wenn ich in etwas investiere, geht das auch an Gottes Augen vorbei und von irgendwoher kommt es dann irgendwann wieder zurück." So hat auch Doris Söhner in ihrem Leben viel Gutes bewirkt. Sie engagierte sich im Gustav-Adolf-Werk, dem ältesten evangelischen Hilfswerk in Deutschland, gründete in Stuttgart den "Dienst der Grünen Damen", die ehrenamtlich in Kliniken und Altenheimen Menschen besuchen und begleiten. Söhner wurde mit dem Bundesverdienstkreuz, der landeskirchlichen Brenz-Medaille, dem baden-württembergischen Landesverdienstkreuz und dem Goldenen Kronenkreuz der Diakonie ausgezeichnet. Zuletzt fand nun also ihr altes Sparbuch den Weg zurück zu ihr.
Pfarrer Wahlenmeier ist indes zum regelrechten Medien-Liebling avanciert. "Der evangelische Pressedienst hat berichtet und ,Bild der Frau’ hat die Geschichte zum ,Herzensmoment der Woche’ gekürt – in der Ausgabe vor Weihnachten. Auch der SWR hat angefragt und die Folge soll am (heutigen, Anm. d. Red.) Montagabend ausgestrahlt werden", erzählt Wahlenmeier der RNZ.
Info: Laut Pfarrer Wahlenmeier soll der Beitrag in der SWR-Landesschau am heutigen Montagabend zwischen 18.45 und 19.30 Uhr gesendet werden.
Das erste Video vom 15. November 2020:
Das zweite Video vom 24. November 2020
Das dritte und letzte Video vom 6. Dezember 2020: