Eine der fünf Windkraftanlagen des Energiekonzerns Entega auf dem Stillfüssel bei Siedelsbrunn im Odenwald. Die Windräder drehen sich hier seit Anfang 2018 und haben seitdem nach Unternehmensangaben rund 97 Gigawattstunden Strom erzeugt. Windkraftgegner fürchten, dass jetzt weitere Anlagen in der Umgebung gebaut werden. Zumindest Entega hat zurzeit aber kein Interesse daran. Foto: Kreutzer
Von Carsten Blaue
Darmstadt/Oberzent. Der 30. März war ein schwarzer Tag für die Windkraftgegner im Odenwald. An diesem Tag trat im Regierungsbezirk Darmstadt der "Sachliche Teilplan Erneuerbare Energien" in Kraft – verbunden mit der Ausweisung von 2649 Hektar Fläche im Odenwald als Vorranggebiete für den Bau von Windkraftanlagen. Die Gegner der Windräder sehen das Ende des Naturparks Odenwald. Das Regierungspräsidium Darmstadt (RP) hält Windkraft in der bis dato unberührten Natur prinzipiell für machbar.
Einmal mehr trifft also die Energiewende als politischer Wille auf die Ablehnung der Aktivisten. So ist es schon lange, und so wird es weitergehen. Was eine Sprecherin des RP auf RNZ-Anfrage sagte, klingt wie eine Prophezeiung: "Konfliktfreie Flächen gibt es nicht." Dass sie richtig liegt, sieht man schon am Beispiel der Stadt Oberzent.
Der Sprecher der Bürgerinitiative "Rettet den Odenwald", Richard Leiner, ist völlig bedient von der Entwicklung in Südhessen. Diese Menge und Dichte an Windkraftflächen übertrumpfe sogar den Hunsrück, der bereits seinen Ruf als Beispiel für den "Windkraftwahnsinn" erworben habe, sagt er. Hunderte Windturbinen inmitten der Lebensräume bedrohter Arten sieht er auf den Odenwald zukommen: "Wir können jetzt nur noch zuschauen, wie in den nächsten Jahren die Windräder aus den Wäldern sprießen." Der "Run der Projektierer" auf die Flächen sei schon im Gange.
Für die Gegner, sagt Leiner, komme erschwerend hinzu, dass im Zuge der Corona-Pandemie die Öffentlichkeitsbeteiligung "massiv ausgehöhlt" worden sei. Außerdem seien Genehmigungsverfahren vereinfacht worden. Planungsunterlagen müssten nicht mehr in Papierform ausgelegt werden, meist von Bürgern gut besuchte Erörterungstermine vor Ort könnten ausfallen und durch schriftliche Online-Formate ersetzt werden. Alles, so Leiner, um die Energiewende durch Corona nicht ins Stocken kommen zu lassen. Zu Demonstrationen konnten "Rettet den Odenwald" und andere Initiativen im Zuge der Pandemie-Verordnungen nicht mehr aufrufen: "Wir sind ja vernünftige Menschen", sagt Leiner. Es werde nun aber bald wieder losgehen müssen, um die Windkraftprojektierer zu stoppen.
Den Gegnern geht es um den Schutz der Natur, um die Naherholungsfunktion des Odenwalds, um den Schutz der Menschen, die in der Nähe der Anlagen leben müssen. Und auch darum, dass die Folgen der Umweltzerstörung durch den Bau der "Windkraftwerke" in keinem Verhältnis zu deren Energieertrag stehen. Leiner spricht von "homöopathischem Nutzen". Die Argumente haben sich also nicht geändert. Wohl aber ist die Lage für die Gegner durch die amtliche Ausweisung der Vorranggebiete ernster geworden. Dabei haben sie schon lange schlechte Erfahrungen. Bei konkreten Konflikten habe es für die Behörden immer nur eine Richtung gegeben: den Abbau des Naturschutzes. Regelungen zu Umwelt- und Naturschutz seien abgeschafft oder rechtswidrig übergangen worden, so Leiner.
Der Ausgangspunkt der ganzen Diskussionen ist der politische Wille, bis zum Jahr 2050 den Energiebedarf in Hessen möglichst nur noch aus Erneuerbaren zu decken. Dafür sollen zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie zur Verfügung stehen. Die Regionalversammlung hat für Südhessen 1,5 Prozent freigemacht. Im RP in Darmstadt versteht man derweil die ganze Aufregung nicht. Die Vorranggebiete habe man nach einem "schlüssigen Konzept" festgelegt. Auch aus natur- und artenschutzrechtlicher Sicht seien die ausgewiesenen Flächen am geeignetsten, so die Sprecherin.
Leiners Behauptung, es gehe dabei rechtswidrig zu, weist sie zurück: "Es ist nicht ersichtlich, worauf die BI ihre Behauptung stützt." Bei Zulassungsentscheidungen würde alles sorgfältig und "nach bestem Wissen" geprüft und entschieden. Die Bilanz bisheriger Streitverfahren belege das auch. Außerdem müssten für ein Windrad im Schnitt 0,3 Hektar Wald gerodet werden. Ob sie das viel oder wenig findet, sagt die Sprecherin nicht. Dass jedes Windrad mit Beeinträchtigungen für Natur und Landschaft verbunden sei, räumt sie aber ein.
Oberzent ist klar dagegen
Deshalb seien Schutz- und Bannwälder, Naturschutzgebiete, Naturdenkmale, Kernzonen der Welterbestätten sowie Gewässerbereiche von der Windkraftnutzung ausgeschlossen. Insgesamt habe man 1129 Hektar im Teilplan dem "Ausschlussraum" zugeordnet. Diese Bereiche würden also nicht angetastet.
Außerdem teilt die Sprecherin Leiners Sorge nicht, die Bürger hätten wegen Corona nichts mehr zu sagen. Das RP rechne weder mit einer Reduzierung der Öffentlichkeitsbeteiligung noch mit einer Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Eher rechne man mit Verzögerungen, weil die Offenlage von Plänen und Erörterungstermine zu konkreten Projekten "infektionsschutzgerecht" organisiert werden müssen. In diesem Zusammenhang betont die Behördensprecherin: "Bislang wurde im Bereich des hessischen Odenwalds noch kein einziger Erörterungstermin zu Windkraftanlagen durch ein Online-Format ersetzt oder entsprechende Antragsunterlagen nicht offengelegt." Die Aussage der BI dazu sei "nicht fundiert".
Es wird also weitergehen mit verhärteten Fronten. Leiner sieht sie schon, die ersten Brennpunkte. Er rechnet mit Bauanträgen für weitere Flächen bei Wald-Michelbach, wo sich am Stillfüssel bereits fünf Windräder drehen. Darüber hinaus rechnet Leiner hier im Bereich oberhalb der Kirchenruine Lichtenklingener Hof sowie zwischen Aschbach und Dürr-Ellenbach mit Ärger.
Auch Oberzent haben Firmen wie Juwi (Wörrstadt), NWind (Hannover), PNE (Cuxhaven) und Enercon (Aurich) im Blick. Begehrte Gebiete sind der Finkenberg-Höhenzug für sieben Anlagen, der kleine Stadtteil Etzean für fünf Windräder oder die verlängerte Hirschhorner Höhe zwischen Rothenberg und Beerfelden. Aber der hessische Teilplan Erneuerbare Energien öffnet den Energieversorgern dabei nicht Tür und Tor. In den Genehmigungsverfahren werden die Kommunen ein Wörtchen mitzureden haben, und in der Odenwald-Stadt Oberzent ist die Haltung klar: "Der Stadtrat hat im Januar sehr klar entschieden, dass wir auf kommunalen Flächen unserer Gemarkung keine Windkraftanlagen wollen", sagt Bürgermeister Christian Kehrer.
Ja, es gebe den Klimawandel. Aber die Windkraft vor Ort müsse schon Sinn ergeben, "und wir sehen bei aller Subventionsgetriebenheit die Wirtschaftlichkeit nicht", so Kehrer. Schließlich sei der Windertrag auf den Höhenzügen "nicht so prickelnd". Außerdem sei man gegen die Landschaftszerstörung. Die neue Idee von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), Kommunen mit einer Windkraftabgabe zu ködern, lässt Kehrer daher kalt.
Dass die Unternehmen bereit sind, mit harten Bandagen zu kämpfen, zeigt der Fall Juwi. Die Firma zog laut Kehrer zwar die Klage gegen die städtische Verweigerungshaltung in Etzean wieder zurück, probiert es aber nun von Mossautal her, das Projekt doch noch in vollem Umfang zu realisieren. Auch Leiner glaubt, dass kein einziges Unternehmen kleinbeigeben wird: "Die kommen wieder."