Das Buch "Die fünf Bücher Moses" wird der Familie Gogol in Israel übergeben. Fotos: Lenhardt
Von Stefan Kern
Schwetzingen. Auf den ersten Blick ist es nur ein Buch. "Die fünf Bücher Moses", 524 Seiten stark und 1936 in sechster Auflage erschienen. Doch mit diesen dürren Daten kann man die Bedeutung dieses Buches nicht erfassen. Ist dieses Werk doch auf das engste mit 80 Jahren jüdisch-deutscher Geschichte verbunden.
Seit 1936 im Besitz von Theresa Bermann ist das Werk während der Deportationen aller Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland ins südfranzösische Gurs 1940 in Schwetzingen zurückgeblieben. Dass dieses Buch - gefunden im Bestand des Schwetzinger Museums - vor wenigen Tagen den Nachfahren der Familie in Israel übergeben werden kann, ist für Oberbürgermeister René Pöltl und Museumsleiter Lars Maurer genau wie für Kurt Glöckler, "ein Gänsehautereignis". Glöckler, der sich seit vielen Jahren für die deutsch-israelische Freundschaft einsetzt, stieß vor zwei Jahren im Rahmen seiner Arbeit für die Ausstellung "Simon Eichstetter (1865 bis 1927) - Jüdisches Leben in Schwetzingen" auf dieses Buch. Ihm fiel eine persönliche Widmung auf, die sowohl auf die Empfängerin als auch die Geberin hinweist und sogar Ort, Jahr und Monat nennt.
Im Oktober 1936 bekam Theresa Bermann das Buch von einer gewissen Johanna Wallach in Gailingen geschenkt. Von Letzterer wisse man derzeit leider noch nichts, so Glöckler. Aber Theresa Bermann ist die Tochter von Frieda und Jakob Bermann aus Schwetzingen. "Theresa, 1911 geboren, wuchs hier auf und besuchte die Volksschule." Anschließend hatte sie in Baden verschiedene Anstellungen. Unter anderem von 1933 bis 1939 bei einer Familie in Gailingen als Köchin und Haushaltshilfe.
Hier muss sie als 25-Jährige Johanna Wallach begegnet sein, die sich wohl gemüßigt fühlte, Theresa das Buch "Fünf Bücher Moses" zu schenken. 1939 nahm Theresa das Buch mit nach Schwetzingen, wo es nach der Deportation Theresas, zweier Schwestern und ihrer Mutter zurückblieb. Theresa und ihrer Mutter wurden im August 1942 in Auschwitz ermordet. Die Schwester Paula wurde mit ihrem Mann und ihrer einjährigen Tochter Eva in einem Vernichtungslager bei Lublin ermordet, und der Bruder Max starb als Zwangsarbeiter in Posen.
Nur der Schwester Ruth gelang die Flucht aus dem Lager Gurs. Sie überlebte das Terrorregime der Nationalsozialisten versteckt in Südfrankreich. Dort traf sie Shmuel Gogol aus Warschau, wanderte mit ihm nach Israel aus und gründete eine Familie. Sie starb vor zwei Jahren. Aber ihr Sohn Danny Gogol lebt, und zu ihm und seiner Familie kehrt dieses Buch nun nach 78 Jahren zurück. Das Buch, eine Art Zeugnis dunkelster und unmenschlichster Stunden in Deutschland, verwandelt sich mit dieser Rückkehr zu einem Symbol der Menschlichkeit. Für den Oberbürgermeister gerade jetzt ein wichtiges Ereignis. Nicht nur wegen der Lage in Nahost, sondern auch, weil die Stadt gerade versucht, einen Jugendaustausch mit Israel auf die Beine zu stellen.
Am 1. Juli reist Stadtchef René Pöltl mit einer zwölfköpfigen städtischen Delegation nach Israel. Es sei wichtig, miteinander und nicht nur übereinander zu reden. Dabei ist dieses Buch keine große Sache. Aber symbolisch, so der Oberbürgermeister, sei es von fundamentalem Wert. Den Transport übernimmt übrigens das Ehepaar Ulrike und Albrecht Lohrbächer, die im Rahmen einer Israelreise Danny Gogol und seine Familie besuchen. Der frühere Religionslehrer am Hebel-Gymnasium gehört genau wie Glöckler zu der Gruppe von Menschen, die die Aussöhnung mit den Juden nach 1945 früh vorantrieben. Eine anständige Zukunft, so die Überzeugung der beiden, gelinge nur miteinander und niemals gegeneinander. Mit der Familie Gogol verbindet die Lohrbächer seit langem ein Band der Freundschaft. Ein Band, so hofft Pöltl, das in Zukunft noch weit umfassender geknüpft wird.
Lars Maurer, Kurt Glöckler und Oberbürgermeister René Pöltl (v. l.) mit dem Werk "Die fünf Bücher Moses".