Johann und Maria Schmitz, Großeltern des seit rund 14 Jahren vermissten Felix Heger, im Wohnzimmer ihres Hauses in Schwetzingen und zeigen eine Bildmontage, wie ihr vermisster Enkel heute mutmaßlich aussehen könnte. Foto: Uwe Anspach/dpa
Von Susanne Kupke
Schwetzingen. Ein sympathisches Gesicht, braune Augen, braune Haare und ein leichter Flaum auf der Oberlippe: So könnte Felix Heger heute mit 17 Jahren aussehen. Vor 14 Jahren verschwand der damals zweijährige Felix aus Oftersheim. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen von ihm. Aber es gibt auch keinen Beweis, dass er tot ist. Seine Großeltern suchen weiter. Mit Fotos, die den Enkel virtuell gealtert zeigen. "Wir sind überzeugt: Das Kind lebt irgendwo", sagt Großvater Johann Schmitz. "Es gibt so viele Ungereimtheiten."
Der 85-Jährige erinnert sich noch genau an den 6. Januar 2006. Der Ex-Mann seiner Tochter holte damals Felix für ein "Papa-Wochenende" ab. Kurz davor hatte Schmitz mit seinem Enkel telefoniert: "Opa, komm mich holen, ich möchte heute nicht zu meinem Papa", habe der Kleine gesagt. Dass er das weinende Kind bestärkte, mit dem Papa zu fahren, darüber kommt Johann Schmitz heute noch nicht weg. Denn sein sonst so fröhlicher Enkel war schon seit Silvester wie ausgewechselt: "Er hatte Angst."
Hatte er beim Vater etwas mitbekommen, was seine Zukunft anging? Schmitz hält das für möglich: "Felix war ein pfiffiges Kerlchen." Der Knirps konnte zur Freude seines Opas schon komplizierte Worte wie "Rasenkantenschneider" fehlerfrei aussprechen. Und er schaffte es mühelos, selbst kurz vor dem Mittagessen dem Großvater noch einen Schokoriegel abzuluchsen. "Das Kind war mein ein und alles. Wir waren so eine glückliche Familie."
Johann Schmitz hält im Wohnzimmer seines Hauses einen roten Aktenordner mit dem Bild des zweijährigen Kindes in den Händen. Foto: Uwe Anspach/dpaBis zu jenem Wochenende nach Dreikönig. Als Felix nicht zurückkam. Die Leiche des Vaters wurde am 26. Februar im Schwarzwald nahe Bühlertal im Kreis Rastatt gefunden. Von Felix keine Spur. Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden vermutet, dass er tot ist. Nach intensiver Suche und jahrelangen Ermittlungen stellte sie das Verfahren im November 2014 ein. Bei neuen Ansätzen könnten die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. "Solche neuen Erkenntnisse liegen hier allerdings nicht vor", betont ein Sprecher.
Abschiedsbrief, leere Schnapsflaschen, Schlaftabletten-Packung: Die Ermittler gingen davon aus, dass der Vater erst das Kind getötet hat und dann sich selbst das Leben nehmen wollte. Doch die Obduktion ergab, dass der Vater vor seinem Tod keinen Alkohol im Blut hatte. Und gestorben ist er laut Staatsanwaltschaft "wahrscheinlich" an schweren Brust- und Lungenverletzungen durch einen Sturz. Letztlich geklärt ist das nicht. Fremdeinwirkung wird jedoch ausgeschlossen.
Für den Anwalt der Familie, Alexander Moser, deutet hingegen alles auf ein Verbrechen hin. Er geht davon aus, dass der Vater getötet wurde und sein Ableben als Suizid dargestellt werden sollte. Was den Jungen angeht, meint er: "Es existiert nicht der geringste Beweis, dass Felix körperlich zu Schaden gekommen ist." Doch das beweist auch nicht, dass Felix lebt. "Eine fehlende Leiche sagt überhaupt nichts aus", so Kriminalbiologe Mark Benecke.
Tag für Tag werden Kinder als vermisst gemeldet. Die meisten tauchen wieder auf. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes wurden die 15.395 Fälle der im Jahresverlauf 2019 als vermisst registrierten Kinder zu 97,9 Prozent geklärt. Ungewisse Schicksale wie das von Felix oder der kleinen Britin Maddie sind die Ausnahme. Auch wenn Ermittler dann Angehörigen keine große Hoffnung mehr machen - manche Kinder sind noch am Leben. So wie die Österreicherin Natascha Kampusch. Sie war als Zehnjährige auf dem Schulweg entführt und mehr als acht Jahre in einem Keller gefangen gehalten worden, bevor ihr die Flucht gelang.
Schmitz schließt nicht aus, dass sein Ex-Schwiegersohn mit Felix untertauchen wollte. Er habe viel Geld dabei gehabt - und einen Hang zum Aussteigertum. So sei er 1997 sieben Wochen in Portugal bei einer Sekte gewesen. "Als er zurückkam, war er richtig umgepolt. Dort hat es ihm gefallen. Er wollte wohl langfristig nach Portugal."
Links liegt ein Foto des damals zweijährigen Felix, rechts eine Bildmontage, wie er heute möglicherweise aussehen könnte. Foto: Uwe Anspach/dpaDoch warum dann der Schwarzwald? Vielleicht wurde er dort erwartet und abgeholt, meint Schmitz. Seine Frau Maria erinnert an drei Zeugen, die Felix mit dem Vater am 11. und 12. Januar am Grenzübergang Iffezheim auf französischer Seite am Kreisel gesehen haben wollen. "So, als hätten sie auf jemanden gewartet." Wurden absichtlich falsche Fährten gelegt? Schmitz schließt das nicht aus. Er ist sich nur sicher, dass sein Ex-Schwiegersohn Felix zu keiner Zeit Leid zufügen wollte.
Dass verlassene Männer ihre geliebten Kinder umbringen, ist für den Kriminologen Christian Pfeiffer allerdings nichts Ungewöhnliches. "Bei der Kindstötung geht es Männern darum, die Frau für immer zu beschädigen, sodass sie ihres Lebens nicht mehr froh wird. Das Rachebedürfnis ist extrem hoch." Er hält es für wahrscheinlich, dass der Vater seinen Sohn tötete und die Leiche versteckte, um seinen eigenen Tod planen zu können, "nachdem er das Entsetzliche hinter sich gebracht hat".
Zugleich betont der Kriminologe: "Es kann auch anders gewesen sein: Der Vater kann falsche Spuren gelegt haben, um ein Höchstmaß an Leiden zu verursachen. Für die Mutter sollte Felix tot sein." Ausschließen könne man das nicht, doch die Wahrscheinlichkeit sei gering. "Die Polizei ist dem ja nachgegangen. Sie hat für diese tröstliche Variante keine Hinweise gefunden."
Aus Sicht der Großeltern wurde dies aber nie richtig in Betracht gezogen. "Alle unsere Einwände wurden weggewischt", sagt Maria Schmitz. Ihr Mann ist überzeugt: "Wäre man frühzeitig den Spuren nachgegangen, wüsste man heute, was geschehen ist."
Mit Privatdetektiven, Anwalt, der Öffentlichkeit und einer Belohnung in Höhe von 75.000 Euro suchen sie seit Jahren nach ihrem Enkel. Auch zu Maddies Eltern hatten sie Kontakt; mögliche Verbindungen zu einer Sekte in Portugal wurden geprüft. Alles bislang vergebens.
Die Suche hat viel Geld und Nerven gekostet. Die Altersversorgung ging drauf. Die Großeltern sind an ihre Grenzen gekommen. Doch sie geben jetzt erst recht nicht auf: Denn wenn Felix noch irgendwo lebt, ist er mit 17 Jahren nun alt genug, um Fragen zu stellen. "Er will vielleicht wissen, wo seine Wurzeln sind", meint Maria Schmitz. Es ist nur eine "Mini-Hoffnung", sagt Kriminologe Pfeiffer. Aber die will er dem Großeltern-Paar aus Schwetzingen nicht rauben.