Tatort: die Wohnung eines Mehrfamilienhauses in Altwiesloch. Foto: Friedrich
Von Sophia Stoye
Heidelberg/Wiesloch. Erst knapp acht Monate alt war der Säugling, als er von seinem Vater Christian H. in einer Wieslocher Wohnung getötet wurde. Deshalb muss sich der 40-Jährige seit Anfang dieses Monats vor dem Heidelberger Landgericht verantworten. Aufschluss über die unfassbare Tat erhofften sich die Richter am Freitag von einem rechtsmedizinischen und einem psychiatrischen Gutachten.
Der Angeklagte hatte zum Prozessauftakt bereits zugegeben, den kleinen Luca zur Tatzeit geschüttelt und einmal geschlagen zu haben, weil er beim zu Bett bringen nicht mehr aufgehört habe, zu schreien. Einblutungen unter der Hirnhaut, Sehnerven und im Gesicht bestätigten dies.
Während Zeugen den 40-Jährigen als liebevollen Vater wahrgenommen hatten, kam die Heidelberger Rechtsmedizinerin Professor Kathrin Yen zu einem anderen Ergebnis: "Die Befunde sind Folgen einer mehrfachen massiven, stumpfen Gewalteinwirkung, eines Schütteltraumas und einer gewaltsamen Abdeckung der Mund- und Nasenöffnung", fasste sie vor Gericht zusammen.
Anhand einer Puppe zeigte Yen den Verfahrensbeteiligten eindrücklich, wie der Vater zur Tatzeit wahrscheinlich gehandelt haben muss. "Man muss das Kind schon mit viel Kraft und Aufwand schütteln, damit man es schädigen kann", erklärte die Rechtsmedizinerin und ergänzte, dass dafür nur ein paar Sekunden ausreichen würden. Aber auch das Abdecken von Mund und Nase könnten ausschlaggebend für den Tod gewesen sein. Dafür sprechen Yen zufolge "strangulationstypische Befunde", die zu einem erhöhten Hirndruck führen. "Ein Würgen schließe ich aber aus", erklärte die Rechtsmedizinerin. Weiterhin habe es Befunde gegeben, die darauf hinwiesen, dass das Kind schon zuvor geschüttelt und geschlagen wurde.
"Wann und wie oft lässt sich nicht sagen", so Yen, aber manche Verletzungen seien zumindest ein paar Tage alt gewesen. Der Angeklagte hatte vor Gericht angegeben, nach der Tat nicht das Gefühl gehabt zu haben, dass es seinem Sohn schlecht gehe. Deshalb sei er schlafen gegangen und habe erst am nächsten Morgen den Tod des Kindes bemerkt.
Rechtsmedizinerin Yen schätzte den Todeszeitpunkt allerdings zwischen 5.30 und 9 Uhr morgens und hielt es für eher unwahrscheinlich, dass der Säugling nach einer solchen Tat noch für ein paar Stunden überlebte. "Ich gehe von wenigen Minuten aus, aber das ist anhand der Befunde nicht beweisbar", führte die Rechtsmedizinerin aus. Allerdings würde man es normalerweise deutlich merken, dass es dem Kind nicht gut gehe.
Für die Psychiaterin Iris Schick ist der Fall nicht ganz so eindeutig: Die vorher konsumierten Drogen – Amphetamine und Cannabis – würden Christian H. per se nicht daran hindern, zu sehen, dass bei seinem Sohn etwas anders ist. Dafür sei die nachgewiesene Menge zu gering gewesen. Deshalb ist sich die Psychiaterin nicht sicher, inwiefern die Drogen alleine die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten beeinflusst haben könnten. "Es ist nicht ein Faktor allein. Es ist alles, was sich kumuliert hat, das zu einer solchen Eskalation geführt hat", erklärte Schick.
Denn abseits vom Drogenkonsum habe sich Christian H. in einer Situation der Enttäuschung und chronischen Überforderung befunden: Zweieinhalb Monate zuvor hatte die Mutter des Kindes den Angeklagten verlassen, am Tag vor der Tat – seinem ersten Vatertag – wollte sie aber Ex-Freund und Sohn besuchen.
Ein Streit am Telefon eskalierte allerdings derart, dass die Säuglingsmutter auf der Fahrt mit dem Zug nach Wiesloch kehrtmachte. Zudem habe sie dem Angeklagten die Schuld am Tod seiner kurz zuvor verstorbenen Großmutter gegeben, bei der er als Kind aufgewachsen war. Und auch der Hang zum übermäßigen Drogenkonsum habe bei ihm zu einer prinzipiell erhöhten Aggressionsbereitschaft geführt. "Seine Einsichtsfähigkeit sehe ich nicht tangiert, aber diese Faktoren könnten die Steuerungsfähigkeit vermindert haben", sagte die Psychiaterin.
Das Geschehen bezeichnete Schick als "fast schon eine Stellvertreter-Tat": Schließlich hätte der Angeklagte "immer alles richtig machen, eine richtige Familie haben wollen", wie die Expertin anmerkte. "Er war wegen des vorherigen Telefonats wütend auf die Mutter des Säuglings", dann habe das Kind nicht mehr aufgehört zu schreien. Eine massive Affektentladung war die Folge. "Die Bewusstseinsstörung war tiefgreifend", erklärte Schick.
Dass es eine Tat im Affekt war, belege auch das nachfolgende Verhalten des Angeklagten: "Er hat das Kind noch nass gemacht, um es wieder ins Leben zu holen, und es liebevoll angezogen. Alles, um die Tat ungeschehen zu machen", so Schick.