Bei der Explosion am 16. Oktober 2016 auf dem Gelände des Chemiekonzerns BASF starben fünf Menschen. Archiv-Foto: Einsatzreport Südhessen
Von Alexander Albrecht
Frankenthal. Im Frankenthaler Prozess um die Explosionskatastrophe bei der BASF im Oktober 2016 hat ein Gutachter des Tüv Süd am Mittwoch den Chemiekonzern entlastet. Gemessen an der Störfallverordnung habe der Unglücksort - der Rohrleitungsgraben im Nordhafen - damals "im Wesentlichen" den üblichen Sicherheitsstandards entsprochen. Doch mit dieser Botschaft geben sich Richter, Ankläger und Anwälte nicht zufrieden und haken immer wieder nach. Mehrfach räumt der Experte ein: "Man kann immer mehr machen". Und der Leiter der Abteilung Störfallrecht beim Tüv gibt der BASF auch einige Empfehlungen.
"Wie Zinnsoldaten aufgereiht" seien die fast 40 Leitungen in dem Rohrgraben dicht nebeneinander verlaufen, sagt der Sachverständige. Manche mit giftigen, brennbaren und explosiven Inhalten gefüllt, andere mit ungefährlichen Stoffen, berichtet der Experte. Dann folgt eine entscheidende Aussage: Die Pipelines seien sehr übersichtlich und "alles andere als kompliziert" angeordnet gewesen, die Gefahr einer Verwechslung der Rohre schätzt der Chemiker aufgrund "ausreichender Kennzeichnungen" durch Edding-Striche und Schilder als minimal ein. Und trotzdem kam es zur Katastrophe, die der angeklagte Leiharbeiter (64) bei der Demontage eines Dehnungsbogens mit einem Schnitt in die falsche Leitung verursacht haben soll.
Wäre es nicht besser gewesen, die Rohre mit den hochgefährlichen Stoffen durchgehend farblich zu markieren? Das sieht der Tüv-Mann zunächst anders. Er verweist auf den hohen Aufwand, außerdem verwittere die aufgesprühte Farbkennzeichnung recht schnell. Nun ist Zeit relativ. Auf Nachfrage von Anwalt Alexander Klein, der die Eltern eines verstorbenen Werkfeuerwehrmanns vertritt, beziffert der Chemiker die Dauer auf "fünf bis zehn Jahre". Überraschend rät der Experte dann doch noch dazu, die Leitungen im Rohrgraben künftig mit Farbe zu markieren.
"Das Gefährdungspotenzial ist an dieser Stelle sehr hoch", gesteht der Tüv-Mitarbeiter. Gesetzliche Regelungen gebe es aber nicht. Klein hat dagegen im Internet eine DIN-Norm gefunden, nach der dazu geraten wird, Leitungen alle zehn Meter zu kennzeichnen. Ein Hafenmeister hatte beim vergangenen Prozesstag angegeben, die Pipelines mit einem Abstand von 200 Metern per Edding-Stift markiert zu haben. Klein hat auch eine EU-Richtline aufgestöbert, die Schilder mit Piktogrammen fordert. Diese Quelle und auch die DIN-Norm sagen dem Sachverständigen nichts. Er warnt stattdessen vor einem "amerikanischen System": So würden US-Firmen ihren Mitarbeitern nicht vertrauen. In Deutschland dagegen seien qualifizierte Fachkräfte am Werk.
Doch kam es auf dem BASF-Gelände schon fünfeinhalb Jahre vor dem Unglück zu einer Verwechslung, die der Gutachter fast beiläufig in seiner Expertise erwähnt. Im März 2011 sei ein irrtümlich gesetzter Flex-Schnitt an einem Rohr für verflüssigtes Ammoniak entdeckt worden. Dieser Stoff ist dem Tüv-Experten zufolge besonders gefährlich, weil er giftig ist und mit hohem Druck austreten würde. Allerdings war das Metall an der Stelle zwar "aufgeritzt", aber noch nicht aufgeschnitten.
Aus der schweren Explosion im Herbst 2016 mit fünf Toten leitet der Gutachter eine weitere und von der BASF offenbar schon umgesetzte Verbesserungsmaßnahme ab. "Eine Ethylen-Leitung ist sehr hitzeempfindlich und muss besser isoliert werden", betont der Sachverständige. Die Pipeline war bei dem Unglück durch den Brand am Nebenrohr gerissen, herumgewirbelt und mit ihrem tonnenschweren Gewicht auf das erste Feuerwehrauto vor Ort gekracht und explodiert. Allerdings schränkt der Experte ein: "Die Isolierung ist kein Schutz, sondern gibt den Einsatzkräften mehr Zeit." Vier der fünf Verstorbenen waren Werkfeuerwehrleute und unter anderem dabei, einen Wasserwerfer aufzubauen. Wie vor Gericht bekannt wird, gibt es auch stationäre Werfer im Hafen, doch ist deren Reichweite zu kurz, um den Rohrleitungsgraben im Brandfall zu versorgen.
Handlungsbedarf sieht der Gutachter beim Ausstellen von Erlaubnisscheinen für potenziell gefährliche Arbeiten wie Flexen oder Schweißen. Vor der Katastrophe unterschrieb ein Aniliner ein fehlerhaftes Dokument und verließ sich dabei blind auf seinen Vorgesetzten. Dieser hatte den Schein jedoch auch nicht geprüft. Entsprechend fordert der Tüv-Mann von der BASF, die Mitarbeiter hier zu schulen.
Zudem sollen dem Brandschutzposten genauere Vorgaben gemacht werden. Der beim Unglück zuständige Angestellte eines externen Unternehmens hatte es damals für ausreichend gehalten, Brandschutzdecken nur über den Kabelschacht, nicht jedoch über die Rohre zu legen.