Ulrike Glatz ist unter anderem Referentin am Geistlichen Zentrum Lobenfeld. Foto: privat
Von Marion Gottlob
Neckargemünd. Ulrike Glatz aus Neckargemünd hat ihren Mann Volker im vergangenen Dezember durch eine Corona-Infektion verloren. Ohne Ärger oder Groll nimmt sie dieses Schicksal an. "Sterben, Tod und Trauer gehören zu unserem Leben dazu", sagt sie. Dieses tiefe Einverstanden-Sein hörte man ihrer Stimme an, sogar am Telefon. Die Seniorin lebt ein Leben, das erfüllt ist von großem und kleinem Glück. So kann sie aussprechen, was andere Menschen vielleicht verschweigen würden. "Trauer hat mich schon immer beschäftigt", betont die 72-Jährige. Allerdings zählt der Tod des Partners für sie zu den schwierigsten Erfahrungen.
Ihr Mann Volker Glatz war ein in der Region bekannter Mediziner und Maler. Er hatte viele Ausstellungen, und in seinem Atelier im Langenzeller Hofgut unterrichtete er seine Malschüler. Wie oft sagte der Mediziner, als die Corona-Krise begann: "Ich gehöre zur Hochrisiko-Gruppe. Wenn ich diese Infektion bekomme, werde ich daran sterben." In der Folge hielt sich das Paar daher präzise an alle Schutz- und Hygiene-Vorgaben. Doch dann musste er für eine medizinisch notwendige Operation ins Krankenhaus. Nach erfolgreicher OP infizierte er sich und verstarb wenige Tage später kurz vor Weihnachten. Neben dem Abschiedsschmerz leidet seine Frau bis heute daran, dass sie ihn weder in den Wochen vor seiner OP noch danach besuchen konnte. "Ich hätte ihn gerne zum Abschied berührt und ihn gesegnet." Ihre Stimme wird bei diesen Worten leiser, man spürt ihre Betroffenheit.
In der Trauerwoche und bei der Beerdigung weinte die Familie viel. "Wir umarmten uns und verhielten uns vielleicht nicht coronagerecht", erzählt sie. Darauf erkrankten sie, ein Sohn und die 19-jährige Enkelin an Corona. Sie selbst hatte nur leichte Symptome, die anderen waren etwas stärker betroffen. Die Folge war aber, dass Ulrike Glatz Weihnachten und den Jahreswechsel in der Quarantäne war und alleine verbringen musste. Viele hatten Mitleid mit ihr, doch sie selbst betrachtete diesen Umstand als eher positiv. Sie empfand ihn als Zeit des Abschiednehmens. "Ich habe Bilder meines Mannes betrachtet und so manches Mal vor einem Foto mit ihm gesprochen. Das hätte ihm gefallen", weiß sie. "An Heiligabend haben drei junge Familien geklingelt und mit ihren Kindern extra für mich Weihnachtslieder gesungen." Das habe sie sehr berührt.
Ulrike Glatz hatte schon sehr früh in ihrem Leben Erfahrungen des Abschieds machen müssen. Die Eltern waren Rheinschiffer, und ihr einziges Kind verbrachte die ersten Lebensjahre auf dem Schiff: Sie fand das toll. Mit sechs Jahren musste sie zwangsläufig von ihrem Zuhause auf dem Schiff Abschied nehmen, um an Land zur Schule zu gehen. "Ich hatte ständig Heimweh", erinnert sie sich.
Nach dem Abitur absolvierte sie an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg ein Lehramtsstudium und wurde Lehrerin. In den kommenden Jahren musste sie wieder Abschied nehmen – sie hatte fünf Fehlgeburten. Als sie nach den Geburten von drei gesunden Kindern in den Beruf zurückkehrte, entwickelte sie sich zur leidenschaftlichen Lehrerin: "Es war einfach die pure Liebe zu den Kindern und Freude am Unterrichten", sagt sie. Doch bald bestimmte wieder Trauer ihr Leben. Zunächst, als sie die von ihr so geliebte Schwiegermutter bei sich im Haus im Sterben begleitete und wenige Jahre später die gleiche Erfahrung mit ihren Eltern machen musste, die innerhalb von sechs Wochen beide an Krebs starben. Viele Jahre später verstarben drei gute Freundinnen innerhalb kurzer Zeit. Nun öffneten sich alte Wunden der Trauer, die sie nahezu überforderten. Ihre Familie spürte das, und sie wollte Mann und Kinder nicht zu sehr damit belasten. Ein Rückzug ins Kloster und Gebete halfen ihr dabei. Schon immer fand Ulrike Glatz Zuversicht und Hoffnung im christlichen Glauben. Deshalb machte sie eine Ausbildung zur Prädikantin und zur Trauerbegleiterin: "Das Christentum gehört zu den Religionen, die dem Tod und der Trauer Raum geben und gleichzeitig Hoffnung machen", betont sie.
Den Teilnehmern ihrer Trauer-Gruppen am Geistlichen Zentrum Lobenfeld macht sie Mut: "Ich begleite die Menschen beim Umgang mit dem Tod und ihrer Trauer und auf dem Weg zurück zu einem hoffnungsvollen Leben. Wer selbst Leid erfahren hat, kann andere Menschen oft besser verstehen. Man kann Trauer positiv umwandeln in eine Versöhnung mit sich selbst und anderen", lautet ihre Maxime.
Was Ulrike Glatz anderen sagt, lebt sie auch selbst. So achtet sie darauf, dass ihr Alltag eine gute Struktur hat: "Auch das gibt Halt", weiß sie. Die Großmutter von fünf Enkelkindern erkennt mitten in der Corona-Isolation und der Zeit der Trauer eine Chance zum Rückzug und zur Selbstbesinnung und entdeckt dabei neu eine große Freude auch an kleinen Dingen. "Nichts ist selbstverständlich. Vieles gewinnt eine neue Qualität. Man freut sich über jedes Lächeln hinter einer Maske und über jeden Kontakt beim Einkaufen, beim Spazierengehen oder über das Telefon."