Von Anna Manceron
Hockenheim. Nach seinem Amtsantritt im September 2019 wollte Marcus Zeitler (CDU) als neuer Oberbürgermeister in Hockenheim richtig durchstarten. Nur sechs Monate später wurde er von der Corona-Pandemie eingeholt. Im RNZ-Interview erklärt der Rathauschef, wie er die Rennstadt trotzdem voranbringen will, und warum er auch in Krisenzeiten keine Angst vor großen Investitionen hat.
Herr Zeitler, beim Neujahrsempfang haben Sie gesagt, dass 2020 ein schwieriges Jahr wird. Und das war noch vor Beginn der Corona-Pandemie ...
Damals habe ich an die finanziellen Herausforderungen und an unsere GmbHs gedacht, die wir mittragen müssen. Aber auch an die Rückstände im Bereich der Instandhaltung und bei der Erfüllung von Pflichtaufgaben. An die Sorge um unsere Schulen und Kindergärten, die erheblichen baulichen Nachbesserungsbedarf haben. Und an die begonnenen Bauarbeiten im Straßen- und Kanalbereich. Das waren die Themen, die mich im Januar beschäftigt haben.
Und dann kam Corona ...
Das macht das Ganze nicht leichter. Aber: Man sollte nicht um das trauern, was man nicht verändern kann, sondern sich auf das konzentrieren, worauf man Einfluss nehmen kann.
Ist Ihnen das trotz aller Schwierigkeiten in diesem Jahr gelungen?
Ja, das hat sich im April, Mai und Juni hier in der Verwaltung ganz deutlich gezeigt. Uns war klar: Wir müssen weitermachen – trotz Corona und der ganzen Probleme und Herausforderungen, die dieses Virus mit sich bringt.
Welche wichtigen Projekte konnten Sie denn 2020 umsetzen?
Ich glaube, in Hockenheim wurde noch nie so viel gebaut wie in den letzten drei oder vier Monaten. Schauen Sie sich um: Wir haben an fast jeder Ecke eine Baustelle. In den vergangenen Monaten konnten wir alle Bauanträge sehr gut abarbeiten und haben kaum noch Rückstände. In der Verwaltung habe ich einige Umstrukturierungen vorgenommen, die immer noch im Gange sind.
Was meinen Sie damit?
Wir digitalisieren sehr viel. Der Bürgersaal wird umgebaut und für das digitale Zeitalter fit gemacht. Außerdem haben wir eine Online-Sprechstunde für Bürger und ein papierloses Ratssystem eingerichtet. Den Bürgersaal werden wir so ausstatten, dass man dort Gemeinderatssitzungen per Videokonferenz abhalten kann – falls die Corona-Auflagen nichts anderes zulassen.
Und wie kam der digitale Bürgerchat bisher bei den Hockenheimern an?
Eigentlich ganz gut. Mittlerweile haben schon mehrere hundert Personen auf diesem Weg zu uns Kontakt aufgenommen. Bei den Fragen ging es zum Beispiel um aktuelle Baustellen oder die Corona-Verordnungen.
Apropos: Wie laufen denn die Arbeiten auf der Mammutbaustelle in der Oberen Hauptstraße?
Super! Die Firma ist top, und wir liegen sehr gut im Zeitplan.
Noch immer gebe es einen „wahnsinnigen Investitionsstau“ bei den Schulen, sagt Zeitler. Im nächsten Jahr soll die Sanierung der Schule am Kraichbach angegangen werden. Foto: lenZurück zu Corona: Wie viel Nerven hat Sie dieses Jahr gekostet?
Es hat mich keine Nerven gekostet, aber viel Zeit. Ich musste mich in viele Dinge einarbeiten, über die ich vorher nichts wusste. Zum Beispiel, dass es einen Unterschied zwischen medizinischer und kosmetischer Fußpflege gibt. Welche Berufe systemrelevant sind und welche nicht. All das war neu für uns. Gleichzeitig mussten wir den normalen Verwaltungsbetrieb aufrechterhalten. Das ist noch immer eine riesige Herausforderung, auf die ich gerne verzichtet hätte.
Können Sie dieser Krise auch etwas Positives abgewinnen?
Ja, das bürgerschaftliche Engagement. Die Agenda-Gruppe hat zum Beispiel angeboten, für Menschen einzukaufen, die dazu nicht mehr in der Lage sind oder die Angst davor haben, sich mit dem Virus anzustecken. Auch Menschen in Quarantäne mussten versorgt werden. Der Kümmerfaktor ist bei uns allen größer geworden: Die Leute telefonieren mehr und bemühen sich stärker um einander. Was mich persönlich in dieser Krise am meisten schmerzt, sind die fehlenden sozialen Kontakte und das gesellschaftliche Miteinander.
Wie schlimm sind denn die finanziellen Folgen der Corona-Krise?
Sehr schlimm, da brauchen wir nicht drum herumzureden. Die Stadt hat vier Aushängeschilder: den Hockenheimring, das Aquadrom, die Stadthalle und das Landesgartenschaugelände. Aber in der Stadthalle gab es seit März keine einzige Veranstaltung, und auch das Aquadrom ist seitdem zu. Das führt zu Millionenverlusten. Dass wir keine Veranstaltungen durchführen können, ist ein Riesenproblem. Auch das Hotel am Motodrom hat stark unter der Krise gelitten, kann aber als kommunales Unternehmen nicht auf Fördermittel des Bundes zugreifen.
Und wie sieht es mit den anderen Einnahmen aus?
Bei der Gewerbesteuer rechnen wir mit Verlusten in Höhe von drei bis sechs Millionen Euro. Wir gehen auch davon aus, dass die Rück- und Vorauszahlungen vieler Firmen auf Null zurückgehen. Außerdem wissen wir nicht, was passiert, wenn das Insolvenzrecht im nächsten Jahr wieder greift. Natürlich haben wir als Stadt zurzeit auch steigende Ausgaben im Bereich der Kinderbetreuung und der Schulsanierungen.
Wo sehen Sie im Moment den größten Investitionsbedarf?
Wir haben noch immer einen wahnsinnigen Investitionsstau bei Straßen, Kanälen, Schulen und Kindergärten. Allein das sind zwischen 50 und 100 Millionen Euro, die in den nächsten zehn Jahren auf dem Tableau stehen. Auch in Wasser, Abwasser und die Kläranlage müssen wir investieren. Wenn gleichzeitig die Einnahmen sinken, läuft das leider auf eine Verschuldung hinaus. Und ja, das wird uns Millionen kosten.
Sind solche großen Investitionen in Krisenzeiten nicht etwas riskant?
Wir verdummbeuteln dieses Geld ja nicht, sondern stecken es in unsere Infrastruktur. Wie lange sollen wir diese notwendigen Projekte denn noch schieben? Wenn ein Kanal oder eine Schule kaputt ist, muss ich sie reparieren. Wenn ich Kindergartenplätze brauche, muss ich sie bauen. Schließlich haben wir eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die in städtischen Gebäuden arbeiten oder untergebracht sind. Außerdem steigen die Unterhaltungskosten mit der Zeit an. Je länger wir warten, desto teurer wird es.
Was sind die großen Projekte für 2021?
Zum einen die Sanierung der Oberen Hauptstraße und ihrer Seitenstraßen, allein da investieren wir 7,5 Millionen Euro. Ein weiteres großes Projekt ist der Bau der neuen DRK-Rettungswache. Außerdem haben wir den Wald- und den Albert-Einstein-Kindergarten auf der Agenda. Die Kläranlage braucht ein neues Regenüberlaufbecken, und einige Brücken sind sanierungsbedürftig. Außerdem beginnen wir mit der Sanierung der Schule am Kraichbach. Und wir wollen endlich den Bau der Skateranlage für Jugendliche angehen. Unser Bauamt wird nächstes Jahr keine ruhige Minute haben.
Und wie wollen Sie diesen Schuldenberg langfristig wieder abbauen?
Bei modernen Gebäuden ist die Instandhaltung günstiger. Darüber hinaus müssen wir uns überlegen, welche Aufgaben wir künftig an Partner aus der freien Wirtschaft abgeben können. Wenn wir dann noch die Einnahmen optimieren, werden wir dieses Delta langsam wieder schließen. Aber das ist ein Prozess, der zehn bis 15 Jahre dauern wird.
Das Aquadrom wird 2020 voraussichtlich mit einem Minus von 3,2 Millionen Euro abschließen. Schon vorher schrieb das Bad rote Zahlen in Millionenhöhe. Wie lange kann sich die Stadt einen solchen Geldschlucker noch leisten?
Das Aquadrom ist eine tolle Einrichtung für unsere Bürger und trägt zur Attraktivität der Stadt bei. Fakt ist aber: Dieses hohe Defizit ist nur noch ein bis zwei Jahre hinnehmbar. Solange müssen wir an Lösungen arbeiten, um die Kosten zu senken. Die Gastronomie haben wir schon komplett ausgelagert. Und wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um das Bad zu behalten.
Die Sanierung der Oberen Hauptstraße und ihrer Seitenstraßen gehört auch 2021 zu den finanziellen Großprojekten. Rund 7,5 Millionen gibt die Kommune dafür aus. Foto: lenEigentlich wollten Sie, dass dieses Jahr auch eine Entscheidung über die Zukunft des Hockenheimrings fällt ...
Das ist jetzt natürlich nicht mehr möglich. Aufgrund der Corona-Krise kann man die Finanzen des Rings für die nächsten Jahre nur schwer vorplanen. Aktuell sind wir weiterhin im Austausch mit der Emodrom Group bezüglich der zukünftigen Zusammenarbeit und wohin die Reise führen soll.
Welche Wünsche haben Sie für die neue Zugstrecke, die zwischen Mannheim und Karlsruhe geplant ist?
Ich wünsche mir, dass die Bahn erst einmal ihr Versprechen aus dem Jahr 1970 einlöst und erste Lärmschutzmaßnahmen ergreift. Wenn die da sind, sage ich Ihnen, was ich mir für die neue Strecke wünsche.
Ihr Kollege René Pöltl kann sich ein Geothermie-Werk auf Schwetzinger Gemarkung gut vorstellen. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Im Moment würde ich einem solchen Projekt in Hockenheim nicht zustimmen. Erstens sind mir die Diskussionen zu diesem Thema in Brühl noch sehr lebhaft in Erinnerung. Zweitens haben die Erdbewegungen in Staufen gezeigt, dass man über solche Projekte im Voraus sehr sehr gründlich nachdenken und die Bürger vorher mit einbeziehen muss.
In ein paar Tagen ist Weihnachten – eigentlich ein Fest der Begegnung. Das wird dieses Jahr anders sein. Freuen Sie sich trotzdem auf die Feiertage?
Ich müsste lügen, wenn ich sage, dass ich mich nicht auf Weihnachten freue. Für mich als Katholik ist es nach Ostern das zweithöchste Fest im Jahr. Natürlich freue ich mich auf die Feiertage und werde sie zusammen mit meinen Kindern und meiner Partnerin verbringen. Weihnachten bleibt Weihnachten, Corona hin oder her. Für mich geht es bei diesem Fest vor allem darum, zur Besinnung zu kommen und das Jahr Revue passieren zu lassen.