Leitender Notarzt Dr. Patrick Schottmüller in der Sonne am Neckarlauer. Dort fand auch unser Pressegespräch statt, auf einer Bank (natürlich mit Abstand) umgeben von Schwanengeschnatter. Foto: Martina Birkelbach
Von Martina Birkelbach
Eberbach. "Sie sind so braun gebrannt – waren Sie beim Skifahren"? Diese Frage stellte kürzlich ein Patient dem Notarzt. "Soweit sind wir schon", sagt Dr. Patrick Schottmüller, dem diese Frage gestellt wurde. Schottmüller ist Leitender Notarzt im Rhein-Neckar-Kreis und ärztlicher Leiter im Notarztwesen in Eberbach. Der 50-Jährige hat 30 Jahre Rettungsdienst- und 20 Jahre ärztliche Erfahrung. Er hat auch in diesen Corona-Zeiten eine leicht gebräunte Hautfarbe. Weil er "jeden Sonnenstrahl nutzt", nicht weil er in einem Risikogebiet Skifahren war.
"Wir müssen raus. In den Garten, auf den Balkon. Die Kinder müssen raus an die frische Luft. Einen Ball mitnehmen oder eine Frisbeescheibe, alleine, zu zweit, mit der Familie – das ist alles möglich. Wir müssen Sonne und Vitamin D tanken und uns bewegen, unser Immunsystem stärken", sagt Schottmüller.
Ein anderer Patient sagte jetzt zu ihm: "Ich bin alleine. Was mache ich, wenn Corona kommt?". Schottmüller: "Das zeigt, wie die Virus-Angst schon um sich gegriffen hat." Er betont: "Wir müssen diese Angst bekämpfen". Auch dazu sei es gerade jetzt wichtig, Sonne zu tanken und sich zu bewegen. "Die Tödlichkeit des Virus liegt bei ungefähr einem Prozent", betont der Notarzt. Das heißt: "99 Prozent der Patienten mit Krankheitszeichen überleben Corona". Nur die Hälfte der Infizierten zeigt überhaupt Krankheitssymptome, "es kann sein, sie haben das Virus schon durchgemacht und merken nichts". Schottmüller betont: "Das Risiko an Herzstillstand zu sterben, ist immens höher als an Corona zu sterben". Das Virus ist nicht so tödlich, "wie es vielfach erscheint". "Wir sind alle zu sehr fokussiert auf den Corona-Liveticker, die Letalität (die Tödlichkeit) ist niedrig."
Natürlich, so Schottmüller, seien alle derzeit aufgestellten Regeln richtig und auch sehr wichtig, "um dem Virus keinen Platz einzuräumen". Aber: "Der Mensch ist ein Herdentier. Unterhaltungen auf Distanz sind möglich und immens wichtig. Locker bleiben, lachen, all’ das ist nicht verboten." Schottmüller macht es vor und lacht herzhaft: "Mein Sohn würde sagen, cool bleiben". "Nur mit einer positiven Einstellung können wir die Virus-Angst besiegen. Jede Krise geht vorbei – Das war schon immer so."
Fast täglich finden laut Schottmüller derzeit Krisensitzungen in Eberbach statt. Neben ihm mit dabei sind Bürgermeister Peter Reichert, Gerd Lipponer (Revierleiter der Polizei), Markus Lenk (Gesamtkommandant der Freiwilligen Feuerwehr), Rainer Menges (Leiter Ordnungsamt) und weitere Amtsleiter der Stadt. Dabei geht es um die allgemeine Lage, Zahlen des Rhein-Neckar-Kreises und Maßnahmen der Stadt und des Landkreises. "Die bis jetzt beschlossenen Maßnahmen sind super", so Schottmüller, der hauptberuflich als Oberarzt in der Narkoseabteilung der GRN-Klinik arbeitet und dazu die Notdienste mit anderen Kollegen absolviert.
"Wir haben eine Pandemie. Wir haben einen sehr ausbreitungsfreudigen Virus, der aber eben nicht die Letalität wie bei anderen Seuchen hat." Bei Ebola, Lassa-Fieber, Gelbfieber sind viel höhere Letalitäten zu beobachten. Bei dem Ebola-Virus sogar bis zu 80 Prozent. Corona, das Covid 19-Virus, jedoch hat eine ganz andere Letalität. Und man darf sicher auch nicht vergessen, dass an Malaria immer noch weltweit fast eine Million Menschen jährlich sterben. 500 Millionen Menschen hungern weltweit – eine schreckliche Zahl. "Wir müssen uns jetzt als Menschen auf das Wesentliche konzentrieren. Wir leben noch und wir leben noch lange. Wir sterben nicht alle an Corona", so der Notarzt, der täglich mit dem Kampf zwischen Leben und Tod beschäftigt ist.
"Jeden Tag gibt es in Deutschland zwischen 200 und 250 Herztote. Das wären jetzt seit Januar grob 20.000. Die Anzahl der Corona-Toten liegt noch weit darunter", rechnet Schottmüller vor. Dafür steigen derzeit die Einsätze wegen hohen Blutdrucks, Herz-Kreislauf-Problemen und Panikattacken "deutlich an". "Das ist die innere Unruhe der Menschen. Diese führt unter anderem auch zu Hyperventilation (schnelles Atmen). Die Leute meinen dann, sie haben Corona, dabei wird alles durch eine Panikattacke verursacht." "Wir müssen auch jetzt in der Krise leben, eben anders und mit Einschränkungen", sagt Schottmüller. Er rät dazu, die Zeit mit der Familie zu nutzen, eine engere Bindung zu den Kindern aufzubauen – und zu lernen positiv zu denken. "Am Schluss kann jeder einzelne aus den Krisen lernen, wie das geht, das lernen wir jetzt gemeinsam."
Wenn der Notarzt derzeit ausrückt, geht zuerst immer nur eine Rettungskraft mit Schutzausrüstung zum Patienten. Dann wird entschieden, ob der Rest auch Schutzanzüge braucht. Alle GRN-Kliniken haben laut Schottmüller vorgesorgt und ihre Intensivbetten erweitert. Die Uniklinik Heidelberg werde ihren Neubau der Chirurgie als Intensiv-Corona-Zentrum ausbauen. "Ab 1. April ist alles fertig." Schottmüller betont: "Wir sind im Rhein-Neckar-Kreis hervorragend aufgestellt."
Sein Rat an alle: "Zwischendurch immer wieder eine Corona-Auszeit nehmen, den Frühling nutzen, raus auf den Balkon mit einer Tasse Tee oder Kaffee, in den Garten, spazieren gehen, Bewegung – die Sonne hat eine Super-Energie, wir brauchen das Vitamin D für unser Immunsystem." Auch Sportmediziner warnen laut Schottmüller derzeit vor zu viel Homeoffice; "Bewegung ist wichtig, auch um Kreislauferkrankungen, Thrombosen, Lungenembolien und Schlaganfällen vorzubeugen". Abends sind auch mal zur Förderung des Wohlbefindens ein Glas Wein oder "ein oder zwei Bier" erlaubt. Und vor allem: "Keine Angst haben, Angst lähmt und macht krank."