Von Alexander Albrecht
Wiesloch/Speyer. Der Rhein-Neckar-Kreis hat es knapp zwei Jahre lang Kfz-Dienstleistern leicht gemacht, ein lukratives und mitunter dubioses Geschäft mit sogenannten Kurzzeitkennzeichen zu machen. Denn während anderswo Originaldokumente vorgelegt werden mussten, reichte es bei der Zulassungsstelle in Wiesloch seit Frühjahr 2012 aus, eine E-Mail zu schreiben und die eingescannten Dokumente der Nachricht anzuhängen. Ob die Papiere allerdings auf ihre Echtheit geprüft wurden, ist fraglich.
Die Ausgabepraxis rief zunächst Mitarbeiter von Verkehrsbehörden aus dem ganzen Bundesgebiet auf den Plan. Der Rhein-Neckar-Kreis betonte hingegen stets, das Verfahren sei vom Gesetzgeber gedeckt. Doch der Unmut blieb, und inzwischen ermittelten auch die Fahnder. Anfang Mai 2014 dann der große Schlag: Mehr als 100 Polizisten durchsuchten in ganz Deutschland über 40 Objekte. Der Schwerpunkt lag auf der Metropolregion Rhein-Neckar. Auch der Wieslocher Zulassungsstelle statteten die Beamten einen unangekündigten Besuch ab.
Die Zahl der Beschuldigten stieg im Laufe der weiteren Recherchen auf 39. Einer davon ist bereits am 5. Juni vom Amtsgericht Wiesloch wegen missbräuchlichen Erwerbs und Vertriebs von Kfz-Kennzeichen sowie Urkundenfälschung zu einer eineinhalbjährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Der vor Gericht voll geständige Mann betreibt ein Unternehmen in Speyer. Über das Online-Verfahren des Rhein-Neckar-Kreises orderte er innerhalb eines Jahres fast 2150 Kurzzeitkennzeichen, wie der Wieslocher Amtsgerichtsdirektor Andreas Schlett der RNZ sagte. In nachweislich 128 Fällen ging es nicht mit rechten Dingen zu. Laut Gericht legte der Unternehmer im Onlinezulassungsverfahren kopierte Ausweispapiere von im Ausland lebenden Menschen vor - die davon gar nichts wussten.
Weil der Firmensitz nicht im Rhein-Neckar-Kreis liegt, erhielten zunächst dort ansässige "Zustellungsbevollmächtigte" die Schilder. Gegen eine "Provision" von 54,50 Euro je Kennzeichen hatte der Geschäftsführer eines Walldorfer Kfz-Dienstleisters dem Pfälzer die Bevollmächtigten vermittelt. Der Speyerer verkaufte die Schilder gewinnbringend für 80 bis 120 Euro pro Stück an beliebige Kunden weiter.
Der Walldorfer wiederum ist im Gesamtverfahren der Hauptbeschuldigte. Er soll nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Mannheim alleine 2013 mehr als 100.000 Kurzzeitkennzeichen im benachbarten Wiesloch gehortet haben. Den Gesamterlös beziffert die Behörde dabei auf rund 2,6 Millionen Euro. Laut Staatsanwaltschaftssprecher Peter Lintz sollen die Beamten der Zulassungsstelle von dem Stammkunden statt den üblichen 10,20 Euro pro HD-Schild lediglich die Hälfte verlangt haben.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen zwei Führungskräfte der Zulassungsstelle. Wegen Bestechlichkeit. Die beiden Frauen sollen dem Walldorfer Geschäftsmann den "Mengenrabatt" eingeräumt haben. Über Jahre hinweg soll eine insgesamt sechsstellige Summe auf ein Konto des Landratsamts geflossen sein. Weitere Angaben dazu will Lintz nicht machen.
Kurzzeitkennzeichen sind eigentlich nur für Probe-, Prüfungs- und Überführungsfahrten zulässig. Sie gelten für maximal fünf Tage und wurden im Rhein-Neckar-Kreis schon vor dem Start des Onlineverfahrens deutlich öfter ausgegeben als im Rest der Republik. Nach Angaben der Verkehrsbehörde und der Polizei in Nürnberg sind HD-Schilder im Fränkischen unverhältnismäßig oft im Zusammenhang mit Straftaten wie Tankbetrug oder Unfallflucht aufgetaucht. In allen Fällen waren die Kennzeichen auf ahnungslose Personen im Ausland angemeldet.
Ob auch Straftaten mit den von dem Speyerer verkauften Schildern verübt worden sind, konnte Schlett nicht sagen. Der Rhein-Neckar-Kreis hatte das Onlinezulassungsverfahren im November 2014 gestoppt - nach zwei Razzien in der Wieslocher Zulassungsstelle wenige Tage beziehungsweise mehrere Monate zuvor. Und erst auf Druck der Aufsichtsbehörden. Diese hatten schon früher das Ende der vereinfachten elektronischen Zulassung verlangt. Doch waren sie über die Einhaltung der Weisungen offenbar getäuscht worden. Von wem genau, das wollen weder die Aufsichtsbehörden noch die Staatsanwaltschaft verraten.